Sogenannte Emulgatoren geben dem Teig Volumen und machen ihn gefügig für die Knetmaschine. Phosphate bestimmen die Größe der Poren. Die Laibe werden weiß gebleicht. Sollen sie eine dunkle Kruste bekommen, färbt man sie braun. Damit das Brot riecht wie frisch gebacken, werden Aromen beigegeben. Aromen simulieren Früchte, die nicht da sind, peppen fade Fertiggerichte auf oder garantieren den immer gleichen Geschmack, einerlei, wie die Ernte war.” Sandra zeigt nun auf Fotos von präparierten Äpfeln.
“Manche Zusatzstoffe sind regelrechte Appetitverderber: Holzspäne geben Joghurt-Geschmack. Explosivstoffe röten Wurst. Hormone frischen Obst und Gemüse auf.“
„Explosivstoffe?“
„Ja, leider. Einige Zusatzstoffe sind so giftig, dass sie nur in bestimmten Mengen genutzt werden dürfen. Dazu zählen Konservierungsmittel. Listen und Erläuterungen finden Sie auf unseren web-Seiten im Internet”, sagt die Beraterin. „Beschriftungen auf Verpackungen, die die Aufsichtsbehörden vorschreiben, sind ungenau. “
Dann macht Sandra noch auf Tricks aufmerksam, wie die Lebensmittel-Industrie Zusatzstoffe tarnt. “Zucker gilt als ungesunder Dickmacher. Verbraucher kaufen deshalb gerne Produkte 'ohne'. Süß soll es dennoch schmecken. Aus dem Dilemma helfen sich die Hersteller, indem sie Sacharin zusetzen. Sacharin verursacht kein Karies. Doch Nebenwirkungen gibt es trotzdem: zum Beispiel Blähungen. Außerdem wird der Appetit angeregt. Der Zusatzstoff ist also ein indirekter Dickmacher und wird gern bei der Schweinemast eingesetzt.”
“Wie heißt der Zusatz beim Brot? Emul...”
“Emulgatoren. Das sind Wirkstoffe, die zwei nicht miteinander mischbare Flüssigkeiten zu einem Mix vermengen. Sie machen den Teig gefügig”, antwortet Sandra und verweist auf einen Leitfaden, der anleiten soll, wie man Zusatzstoffe reduzieren kann.
“Selbst kochen anstelle von Tütensuppe,” heißt es da. “Je häufiger ein Produkt weiterverarbeitet wird, desto mehr Zusatzstoff braucht es. Ganz wichtig: Frisches oder Tiefgefrorenes kaufen. Je länger ein Produkt haltbar sein soll, desto mehr Konservierungsstoffe sind nötig. Und: Bio Lebensmittel kaufen. Die sind zwar teurer. Aber die Bio-Bauern verwenden weniger Zusatzstoffe als alle anderen,”
Nach einer halben Stunde hat Sandra das Gefühl, ein gutes Werk getan zu haben. Die alte Dame verabschiedet sich mit einem 'Dankeschön'. “
„Die Broschüre mit den 'Tricks der Lebensmittel-Industrie '– könnt' ich die haben? Mit dem Internet hab' ich nämlich so meine Probleme.”
Wenn Florian Schröder Langeweile hat, läuft sein Smartphone heiß. Florian klickt und wischt darauf herum, springt von einer „App“ zur nächsten. Neugier, das hat Florian herausgefunden, verdrängt seine Langweile. Er hat einen regelrechten Hunger nach Augenkitzel entwickelt. Dazu beigetragen hat, dass in der globalisierten Welt Bilder aus Fernost oder aus Süd-Amerika ebenso schnell auf seinem Display sind wie Videos aus Surabaya oder Texte von seinem Bruder, die Stefan auf dem PC im Nebenzimmer schreibt.
Dass sich in der Fülle bunter Bilder Schein und Wirklichkeit vermischen, darüber macht sich Florian nicht viel Gedanken. Und dass die virtuelle Wirklichkeit das Unterhaltende sehr viel mehr in den Vordergrund rückt als seriöse Informationen, ist für ihn kein Thema. Hauptsache, die sozialen Netzwerke funktionieren, meint er. Er will, dass seine Nachrichten schnell bei seinen Freunden ankommen, und dass er möglichst sofort Antwort erhält. Dass seine Daten missbraucht werden können, ist für ihn Nebensache. Florian hat einen Facebook Account und ein paar Hundert „Freunde“. Mit einem harten Kern von einem Dutzend ist er fast täglich in Kontakt.
Heute wartet Facebook mit einer nicht alltäglichen Mitteilung auf. Katrin will einen Rekord aufstellen. An ihrem 15. Geburtstag will die Schülerin die 'größte Geburtstagsparty der Welt'
feiern. Alle sind dazu eingeladen. Jeder kann weitere Gäste mitbringen. Treffpunkt ist der Garten vor dem Haus, in dem Katrin bei ihren Eltern wohnt. Termin ist der nächste Freitag.
Florian feixt als er in seine Facebook-Runde auf die Einladung aufmerksam macht: „Von Freibier hat sie nichts geschrieben.“ Mit drei Dutzend Mails, die innerhalb weniger Minuten ausgetauscht werden, gibt es ein reges 'Für und Wider' die Teilnahme an der Party einer 'Möchtegern-Guinness-Rekordlerin'. “Wir lassen uns nicht als Stimmvieh missbrauchen“. „Auch nicht als Stimmungsmacher.“ „Schon gar nicht als Reinigungskraft nach dem Fest.“ „Gibt's denn 'nen Geburtstagskuchen?“
Florian schlägt eine Wette vor. „Mehr als 50 Leute werden bestimmt nicht kommen.“ „Mindestens hundert,“ gibt ein Facebook-Freund zu bedenken. „Was, wenn tausend kommen?“ Bald ist man sich einig, dass es wahrscheinlich zu schwierig werden würde, die Zahl der Partygäste zu ermitteln. Besonders wenn es mehr als tausend Personen werden. So lassen sie die Wett-Idee fallen. Doch weil alle ein Stück vom Geburtstagskuchen abhaben wollen, beschließt die Facebook-Truppe, dass man sich bei Katrin m Garten trifft.
Die Party wirft lange Schatten voraus. Als Florian in den Bus steigt, setzt lautes Geklatsche ein. An jeder Haltestelle nimmt die Zahl der Feierfreunde zu. Auf dem Platz am Bahnhof drängen sich hunderte junger Leute. Mehrere Busse sind so sehr eingekeilt, dass sie nicht weiterfahren können. Weder die Busse, aus denen Partygäste quellen – noch ein Fahrzeug der Linie 99, in das die meisten umsteigen wollen. Der Fahrer der 99 wäre – selbst wenn er es gekonnt hätte – auf keinen Fall gestartet. An Bord seines Busses sind mindestens 30 Personen zu viel. Erfolglos hat er versucht, die Türen zu schließen. Doch der Ansturm war zu groß. Hilflos ruft er nun nach der Polizei. Seine Rufe gehen unter im Gelächter. Es dauert nicht lange, bis alle Zufahrten zum Bahnhof blockiert sind. Der Stau greift dann auf das halbe Bahnhofsviertel über. Er löst sich erst auf, als Polizisten ein großes Areal in der Innenstadt weiträumig absperren.
Schon als er aus dem Bus aussteigt, muss Florian erkennen, wie falsch er die Feierlaune seiner Facebook-Freunde eingeschätzt hat. Von der Endhaltestelle der 99 bis zum „Ort der Feierlichkeiten“ benötigt man normalerweise fünf Minuten. Um sich zu Katrins Garten vorzukämpfen, braucht Florian jetzt drei mal so lange. Schulter an Schulter tänzeln junge Leute auf der Straße. Schüler, Berufsschüler, Studenten, Gelegenheitsjobber, arbeitslose Jugendliche. Einige haben ihre Karnevals-Kostüme aktiviert. Andere tragen bunte Hütchen. Manche pressen ihre Handys ans Ohr. Aus den Mobiltelefonen krächzen rhythmische Töne. Wieder andere haben Posthörner mitgebracht, aus denen sie Halali-ähnliche Töne blasen. In der Menge sind auch einige Vermummte. Kaum einer kennt das Geburtstagskind. Was sie alle verbindet, sind „Facebook“ und die Feierlaune.
Ein paar Dutzend Netzwerk-Freunde sind in den Garten vor dem Haus vorgedrungen, in dem die Jubilarin wohnt. Sie warten auf die Gastgeberin. Sie skandieren „Happy birthday“. Und sie rufen „Wo bleibt der Geburtstagskuchen?“ Doch Katrin lässt sich nicht blicken. Als jemand die Fensterläden von innen schließt, setzt Gejohle ein. Was die Menschen draußen nicht wissen: Katrin hat einen handfesten Krach mit ihrem Vater. Als sie die Einladung verschickte, hat sie vergessen, auf ihrer Facebook-Seite ein Häkchen zu setzen. Ein Häkchen hätte die Geburtstags-Versammlung zur privaten Party erklärt. Katrins Vater beklagt sich, dass die Tochter ihren Eltern nichts von der Einladung gesagt hat. Die Tochter macht dem Vater Vorwürfe, dass er zu spießig sei. Aber das sei ja auch kein Wunder. Er sei schließlich aus dem letzten Jahrtausend und habe keine Ahnung, was junge Leute heute interessiert.
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