„Seine Akte ist tatsächlich weitgehend sauber. Jetzt hat er sich auch wieder fein rausgehalten. Er hätte nur die Jungs im Transporter durch die Gegend gefahren. War angeblich überhaupt nicht in der Kneipe mit drin.“
Am Samstag schlief Walter glatt bis sechs Uhr durch. Nach dem Frühstück packte er ein paar Sachen zusammen, schwang sich aufs Rad und machte eine Kapitel schöne Tour in die Stromberger Berge. Als er abends zurückkam, wählte er voller Hoffnung erneut die Nummer, wurde aber wieder bitter enttäuscht. Also haute er sich vor die Glotze und ging ziemlich früh in die Koje. Morgen musste er unbedingt in die Firma, in Ruhe die Situation checken und alles für Montag vorbereiten. Vehement wehrte sich Walter gegen den Gedanken, dass der Betrieb zwei ganze Tage lang ohne ihn überlebt haben sollte. Er würde den Sonntagmorgen nutzen, um in aller Ruhe die Bautagebücher und die Lagerbestände zu überprüfen und alles für Montag vorzubereiten, damit die Teams genau so in die Woche starten konnten, als wäre er nie weg gewesen.
Auch Dierk-Helge war am Samstagmorgen früh auf. Zunächst ging er zur Autovermietung und tauschte den Daihatsu gegen einen Suzuki-Jeep. Dann suchte er die Touristeninformation auf und erstand mehrere Wanderkarten. Pünktlich zum Frühstück war er zurück im Hotel. Anke war gerade aufgestanden und setzte sich wortkarg zu ihm. Sie war halt ein Morgenmuffel und vor neun Uhr einfach nicht genießbar. Dierk-Helge wusste und akzeptierte das ohne jegliches Wenn und Aber, was ihm wiederum Ankes uneingeschränkte Zuneigung einbrachte.
Nach dem Frühstück breitete er die Karten aus, während Anke ihr Tablet startete und sich in das WLAN des Hotels einloggte. Eine Minute später hatte sie den betreffenden Küstenabschnitt bei Google-Earth angeflogen. Mit Feuereifer verglichen sie die unterschiedlichen Topografien. Schließlich bekamen sie Luftbild und Karte übereinander. Tatsächlich gab es an dem betreffenden, vornehmlich felsigen Küstenabschnitt eine einzelne Bucht mit Sandstrand, die aber nicht wirklich erschlossen schien. Lediglich einige Wanderwege waren dort eingezeichnet. Dierk-Helge hielt die Fotos vom Flyer daneben. Ja, tatsächlich, das konnte die Bucht sein. Anke schickte einige Druckbefehle an den hoteleigenen Netzwerkdrucker, dann brachen sie auf. Den Waldparkplatz erreichten sie ohne Schwierigkeiten. Anstatt der beschriebenen Schotterpiste führte jedoch eine gut geteerte Straße weiter in den Wald, der hier auffallend dicht und grün stand. Allerdings versperrte eine solide Kette die Durchfahrt. „Prohibido Pisar“ und „Propriedad Privada“ stand auf mindestens drei Schildern.
Anke und Dierk-Helge stellten den Wagen ab, checkten kurz die Info-Tafel und wählten von den drei Rundwanderwegen denjenigen, der am weitesten hinunter zum Meer führte. Anke hatte die Navigation auf ihrem Smartphone aktiviert und kontrollierte ständig ihren Standpunkt im Gelände. Nach etwa 30 Minuten Fußmarsch schwenkte der Weg bergan, um der Karte zufolge im Bogen zum Parkplatz zurückzuführen. Ein kleiner Pfad zweigte hier nach links zum Meer ab, dem sie entschlossen folgten. Sie hatten im immer dichteren Unterholz schon fast die Hoffnung aufgegeben, da trat der Pinienbewuchs plötzlich zurück und gab den Blick auf eine malerische Bucht frei. Sie war nur knapp 200 m breit und hatte einen schönen Badestrand aus feinen, runden Kieseln. Von ihrem erhöhten Beobachtungspunkt aus konnten sie die kleine Straße sehen, die zu einer Gruppe von Ferienhäusern führte. Die Anwesen, es waren eher gediegene Landhäuser als Ferienheime, lagen im Wald an der linken Flanke der Bucht. Zwei weitere dieser Anwesen waren weiter rechts zu sehen. Offensichtlich hatten es einige äußerst gut betuchte Leute verstanden, dieses Eldorado für ihr ganz persönliches Wohlergehen zu erschließen. Das Ganze war mit Bedacht, Augenmaß und Geschmack geschehen und fiel in der traumhaften Natur keineswegs negativ auf.
Im Gegensatz zu der Großbaustelle in der Mitte der Bucht, die aufdringlich nahe am Wasser lag. Hier hatte jemand eine hässliche Wunde in die Idylle geschlagen. Schotter und Beton beherrschten das Bild, Bäume und Buschwerk waren großflächig gerodet, der Waldboden von schweren Fahrzeugen aufgepflügt.
Anke zückte automatisch ihre Canon und begann, eine erste Serie zu schießen. Nach längerem Hinschauen erschloss sich den beiden das Projekt. Zehn imposante Einzelvillen und ein größeres, zentrales Objekt waren hier in unterschiedlichen Bauphasen zu erkennen. Bei drei Häusern waren lediglich die Fundamente zu erkennen, vier weitere waren offensichtlich mitten im Rohbau, der bei den restlichen drei Objekten seiner baldigen Fertigstellung entgegensah. Das spätere Haupthaus hatte bereits Dach, Fenster und Türen und schien fertig für den Innenausbau. Alle Häuser waren geschickt am Hang verteilt, jedes stand quasi für sich allein, mit freier Sicht auf das Meer. Wer immer das hier geplant hatte, verstand sein Handwerk. Anke hatte einen Blick für so was. Zwei Baukräne waren zentral aufgestellt, sodass sie vier der Objekte gleichzeitig bedienen konnten, drei große, graue Baucontainer standen daneben. ‚Arenero SL.‘ stand in großen roten Lettern darauf. „Arenero, der spanische Sandmann“, sinnierte Anke. „Also, eins ist klar“, sagte sie dann, „wenn das hier die ‚Villas Selva y Mar‘ sind, dann hat Sandmann sich ‘ne echte Sahneschnitte an Land gezogen. Ich hab zwar keine Ahnung, was er dafür auf den Tisch gelegt hat, aber diese Bucht ist das pure Gold. Ich kenne Leute, die würden für so eine Hütte ihre rechte Hand geben.“
Dierk-Helges Laune sank schlagartig. Er hatte gehofft, Sandmanns Projekt würde sich als Lachnummer entpuppen. In Wirklichkeit schien er richtig dick im Geschäft zu sein. Dann kam ihm ein Gedanke.
„Weißt du, was ich hier komisch finde?“ Anke sah ihn fragend an. „Wie kann es sein, dass es in einer Touristenhochburg wie Málaga so ein Fleckchen Erde gibt, und es ist noch nicht bis auf den letzten Zentimeter zugebaut?“
„Tja, das ist hier der springende Punkt. Du hast es doch unten selbst gelesen: Privatbesitz! Die Leute, denen das hier gehört, wollen eben nicht, dass hier gebaut wird. Die sind so reich, dass sie es sich locker leisten können, alles so schön und ursprünglich zu lassen, wie es ist. Überleg mal, was für einen unglaublichen Prestigewert es bringt, mitten in diesem Touristenmoloch ein solches Juwel zu besitzen. Am Arsch der Welt völlig normal. Aber hier? Unbezahlbar.“
„Jau. Und dann kommt ausgerechnet ein zweitklassiger Bauunternehmer aus Deutschland daher und schwatzt diesen Superbonzen ihr Herzstück ab. Im Leben nicht!“
Anke überlegte scharf. Es war ein altes Spiel zwischen ihnen, dass der eine in einer Diskussion grundsätzlich die gegensätzliche Position des anderen einnahm. Man konnte sich herrlich streiten, ohne böse aufeinander zu sein.
„Du weißt ja nie, was so alles passiert bei Rockefellers. Die haben doch auch alle an der Krise zu knapsen. Vielleicht hat sich ja auch einer von denen verzockt. Da muss man in der Not mal ans Eingemachte gehen und den Familienschmuck verhökern. Vielleicht hat hier jemand die nötigen Millionen zusammengekratzt, um eine drohende Insolvenz abzuwehren?“
Anke ahnte nicht, wie nahe ihr Schuss ins Blaue an der Wirklichkeit lag.
Dierk-Helge gestand sich ein, dass er zu wenig über Wirtschaftskriminalität wusste, um sich hier ein kompetentes Urteil zu erlauben. Vor allem aber wusste er zu wenig über diese Bucht, die Eigentümer und die baurechtlichen Gegebenheiten.
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