„Alles Quatsch, was der da erzählt!“ Eines der Mädchen wurde jetzt laut und kam auf die Polizisten zu. „Die Typen sind einfach hier reingekommen, als wir mit unseren Boys Wiedersehen gefeiert haben. Die sind gleich auf die Tanzfläche und haben uns voll an die Titten gepackt. Mir ist sogar einer unter den Rock gegangen!“
„Da hatte er ja keine allzu großen Schwierigkeiten dran zu kommen“, meinte Manni und guckte belustigt auf den etwas breiteren Gürtel, den die Grazie um ihre kräftigen Hüften gespannt hatte.
„Ja und? Is doch egal!“ Die Schöne wurde jetzt wütend und stampfte mit dem Fuß auf. Dabei rutschte der knappe Rock ein weiteres Stück nach oben und gab den Blick auf einen knallroten Tanga frei, der die ihm anvertrauten Körperteile allerdings nur unvollständig zu bedecken vermochte.
„Unsere Jungs haben uns nur beschützt gegen diese Affen. Aber da tauchten auf einmal vier, fünf andere aus dem Nichts auf und haben uns die Fresse poliert. Damon, Mike und Barny sind sofort auf die Bretter gegangen, ein paar andere auch. Ich dachte schon: Das war’s. Aber dann sind sie plötzlich wieder hoch, haben ein paar Stühle zerkloppt, und dann haben sie es den Arschlöchern ordentlich gezeigt. Das war voll Notwehr, Mann!“
„Ah, und die Deutschen haben richtig eingesteckt?“ fragte Henry interessiert.
„Aber hallo!“ Das Mädchen kam jetzt richtig in Fahrt. „Einer hat hier die ganzen Zähne ausgespuckt. Und ein anderer hat das Bierglas ins Gesicht gekriegt. Der blutete tierisch am Auge. Zwei von denen konnten überhaupt nicht mehr gehen. Die sind dann in so ‘nen alten schwarzen Transporter und Richtung Innenstadt abgehauen.“
Manni funkte sofort die Leitstelle an und gab eine Fahndung nach dem schwarzen Transporter mit sechs oder sieben verletzten jungen Männern raus. Er brauchte nicht lange zu warten. Franzl von der Wache funkte zurück. „Du Manni, die sind alle hier!“
„Wie hier? Auf der Wache?“
„Jau. Ein gewisser Richard Kalinowski, genannt „Richie“ und seine komplette Mischpoke. Wollen Anzeige erstatten wegen gefährlicher Körperverletzung. Das müsst ihr sehen. Das ist hier wie bei Asterix, wenn die Römerpatrouille aus dem Wald zurückkommt. Komplett aufgeklatscht. Der Blinde stützt den Lahmen!“
Henry grinste feist. „Manchmal gibt es eben doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt“, sagte er zu dem langen Sergeant. „Nix für ungut, John, aber wenn das meine Jungs wären, dann wäre ich jetzt verdammt stolz auf sie. Hier ist Belobigung angesagt.“
„Stolz? Die haben Zivilisten mit Waffen verletzt. Das heißt bei uns auf jeden Fall erst mal Bau. Auf das Gequatsche der feinen Ladies dort gebe ich nicht allzu viel, die halten doch sowieso zu ihren Kerlen.“
„Nee, John, hier ist die Lage eindeutig anders. Wir kennen die Truppe. Die ziehen durch die Gemeinde und schlagen Leute zusammen. Wir sind schon eine ganze Weile hinter denen her. Und die Sache läuft immer nach demselben Muster ab. Haargenau, wie die Dame es eben beschrieben hat. Einer geht vor und macht die Mädels an, bis sie schreien. Sobald Hilfe kommt, tauchen plötzlich sechs bis sieben Gestalten aus dem Hintergrund auf und hauen alles um, was bei drei nicht auf den Bäumen ist.“
„Und du meinst, das war hier auch so?“
„Ja sicher, genau so. Nur mit einem gravierenden Unterschied: Im Gegensatz zu allen bisherigen Opfern sind eure Jungs wieder hochgekommen, obwohl sie ein paar ordentliche Dinger einstecken mussten. Die sind im Gegenteil erst richtig warm geworden, haben sich bewaffnet und voll zurückgeschlagen. Damit sind unsere Helden überhaupt nicht klargekommen. Das sind halt nur Schläger und keine Fighter. Die sind es gewohnt, dass jemand liegen bleibt, wenn er eins aufs Maul gekriegt hat. Als sie plötzlich selber was abgekriegt haben, haben sie gemerkt, dass das weh tut und sind abgehauen wie die Karnickel.“
Johns Gesicht hellte sich deutlich auf und er griff zum Handy. „Das ist ein Fall für den Chief“, entschied er. Fünf Minuten später hielt ein Land Rover mit langem Radstand vor der Kneipe. Der diensthabende Sergeant der RMP stieg aus, von der Ladefläche krochen sechs ramponierte junge Männer, zwei hielten sich Taschentücher vor die Nase, ein dritter hatte ein völlig zugeschwollenes Auge, ein vierter eine aufgeplatzte Lippe. Sie bauten sich schweigend und offensichtlich verwirrt in einer Reihe auf. Ein schlanker, mittelgroßer Mann in Trainingsanzug betrat die Kneipe. Alle Soldaten sprangen in stramme Hab-Acht-Stellung und salutierten. Der Mann erwiderte den Gruß nicht, da er Zivil trug. Er nickte nur höflich und machte mit einer Geste deutlich, dass man bequem stehen möge. Dann sah er den Sergeant fragend an. Der nickte seinem Corporal zu und John machte zackig Meldung. Dabei verschwieg er nicht, dass die Soldaten sich trotz eigener Verletzungen heldenhaft gegen den Überfall einer kriminellen Übermacht erwehrt und die Angreifer in die Flucht geschlagen hatten. „Uns haben sie einen großen Gefallen getan“, ergänzte Henry. „Auf Grund der Verletzungen konnten wir die ganze Bande endlich identifizieren und anklagen.“
Captain Jeff Turner überlegte einen Moment. Dann kam seine Entscheidung kurz und knapp: „Three days off for the lads, and a beer on my account!“
Es dauerte keine Minute, dann standen sieben frisch gezapfte Ales auf dem Tresen. Der Offizier prostete den Verwundeten zu, leerte sein Glas in einem Zug und ging genau so unspektakulär, wie er gekommen war.
Auf der Wache ließ Henry sich noch mal von Franzl haarklein berichten, wie die Mischpoke dort aufgelaufen war.
„Also, unsere englischen Freunde haben ‘ne ordentlicher Handschrift geschrieben. Vier von den sauberen Jungs sind in stationäre Behandlung gegangen. Wir haben einen Kieferbruch, der gedrahtet werden muss, einen komplizierten Unterarmbruch, der gerade operativ versorgt wird und einen Verdacht auf Leberriss. Am schlimmsten hat es diesen Burschen erwischt. Der hat ein zerbrochenes Bierglas ins Gesicht gekriegt. Liegt gerade im Elly auf dem OP-Tisch und wird notdürftig zusammengeflickt.“
Henry sah sich die Fotos an, die Franzl von der Römerpatrouille gemacht hatte. Er zog scharf die Luft ein, als er die Verletzungen auf den Bildern sah. Mit einem Mal stutzte er. „Wer ist denn das?“ fragte er Franzl und zeigte auf einen Mann in Army-Tarnjacke, der augenscheinlich als einziger unverletzt war.
„Der hat den schwarzen Transit gefahren. Ich komm grad nicht auf den Namen. Warte, ich hab ihn hier irgendwo.“
„Das ist doch Marko. Marko Hessenberg.“
„Ja, stimmt“, meldete Franzl mit einem Blick auf seinen Zettel. „Woher kennst du den denn?“
„War mal bei den Glatzen in jungen Jahren. Weißt du nicht mehr, damals die hiesige Szene Ende der Neunziger?“
„Doch klar, an die Skinheads kann ich mich noch gut erinnern. Aber der Name und das Gesicht sagen mir nichts.“
„Marko war damals fünfzehn und eigentlich nur ‘ne Randfigur. Irgendwie war der nicht Fleisch und nicht Fisch. Dümpelte so hin und her zwischen Deutschnational und Sozialrevolutionär. Hat zwischendurch auch bei den Linken rumgehangen und ein paar Mal richtig ordentlich Mist gebaut. Dann war er aber beizeiten weg von der Szene und hat sein eigenes Ding gemacht. Rannte dann mehr so survivalmäßig durch den Wald, meistens mit Tarnklamotten an. Die Kollegen vom Staatsschutz sagten damals, die Skins seien ihm zu lasch gewesen. Nur Saufen und Kloppen. Die befürchteten, Marko würde in harte politische Kreise abrutschen. Ich hab aber nie mehr irgendwas von dem gehört.“
Читать дальше