1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Von dem getroffenen Dach schlugen in kürzester Zeit helle Flammen meterweit in den Himmel und auch in Richtung der anderen Gebäude. Schwarzer Rauch quoll unheilvoll auf. Alle Gäste rannten durcheinander und versuchten sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Die Knechte des Hausherrn bildeten auf seinen Befehl sofort eine Wasserkette vom Brunnen bis zu dem getroffenen Gebäude. Es war der verzweifelte Versuch den Hof und das Dorf zu retten. Wenn jetzt noch Wind aufkam, war das Gehöft so gut wie verloren. Da galoppierte plötzlich mitten in dem Aufruhr auf einem riesigen Pferd eine zarte Gestalt auf den Hof. Ihr weiter Mantel flatterte um sie her.
„Zurück“, rief sie mit heller Stimme, „ geht mir aus dem Weg .“ Alle Leute, die noch in der Nähe waren, flohen schreiend und auch die Knechte wichen angstvoll bis zum Tor zurück. Die mutige Reiterin trieb das Pferd an, geradewegs auf die Flammen zu. Es war eine zierliche Frau mit leuchtend rotem Haar, das wie Flammen hinter ihre her wehte. Sie galoppierte auf das brennende Gebäude zu. Dreimal umrundete sie den flachen Bau, wobei sie mit lauter Stimme unablässig Worte rief, die aber bei dem lauten Prasseln des Feuers niemand verstand. Doch die Flammen auf dem brennenden Strohdach schienen plötzlich inne zu halten und zu lauschen. Die Menge starrte fasziniert auf das Schauspiel, bereit jederzeit zu fliehen, falls der Brand auf die anderen Gebäude übergreifen sollte. Die junge Frau auf dem hohen Pferd jagte bereits zum dritten Mal rund um den Hof, da bildete sich hinter ihr eine Art wabernde Feuersäule, die rot und bläulich züngelnd rotierte und dann zuerst zögernd, dann immer rascher der mutigen Reiterin folgte.
Die Feuersäule baute sich etwa zwei Meter hoch auf und zog dann so etwas wie eine feurige Schleppe hinter sich her, die einen glühenden, wabernden Ring um den alten Bauernhof bildete. Als die rothaarige Reiterin zu dritten Mal den Hof vollkommen umrundet hatte und der Kreis geschlossen war, drehte sie in rasendem Galopp ab, sprengte durch das noch immer weit geöffnete Tor und bog in den nächsten Feldweg ein, der von dem Hof wegführte. Alle stöhnten entsetzt auf. Doch dann sahen die Hochzeitsgäste, dass die Feuersäule samt brennender Schleppe der Reiterin immer schneller folgte. Die Flammen verließen das bereits verloren geglaubte Gebäude und wandten sich allesamt der Reiterin zu, selbst kleinere Funken, die noch hier und da glommen, folgten der Amazone.
Die Gäste hielten den Atem an. Würde es der mutigen Frau gelingen schnell genug zu sein, um der feurigen Säule und ihrer lodernden Schleppe zu entkommen? Und wenn nicht, was würde dann geschehen? Schon leckten einige der Flammen bereits am Schweif des fliehenden Pferdes und einige Flammen schlugen hoch hinauf und versuchten sich scheinbar mit den flammenroten Locken der Reiterin zu verbinden.
Doch die mutige Frau trieb ihr Pferd mit gemurmelten Worten noch immer unbarmherzig an und zog hinter sich die Feuersäule und die glühende Schleppe aus dem Hof hinaus und auf den nahen Feldweg, der zu den Wiesen an der Hardau führte. Das Feuer folgte der tapferen Frau auf dem Pferd, die das Feuer vom Hof abgezogen hatte, noch immer nach. Es war eine sehr furchtlose Tat, die sie vielleicht mit dem Leben bezahlen würde, wenn sie nicht schnell genug entkommen konnte, oder das Pferd, das angstvoll wieherte, die Kraft verließ.
Mit lauten Rufen in einer fremden Sprache trieb sie jetzt ihr Pferd, weit über den Hals des Tieres gebeugt zum Äußersten an. Das Tier musste bereits die Nähe des Feuers an seinen Hinterläufen spüren, so nahe waren ihm die Flammen gekommen. Dann beugte sich die Frau im rasenden Galopp nach vorne und schien etwas in das Ohr des Tieres zu flüstern, das ein schrilles Wiehern ausstieß und einen gewaltigen Satz nach vorne machte. Mit gestreckten Beinen schien das Pferd förmlich durch die Luft zu fliegen und kam tatsächlich glücklich am gegenseitigen Ufer des Flüsschens Hardau wieder auf festen Boden. Die Feuersäule raste fauchend und brüllend hinter der Reiterin her, direkt in das eiskalte Wasser der Hardau hinein, wo es zischend und dampfend in einer hohen Säule aus Wasserdampf erlosch.
Auch die Schleppe erlosch rauchend und brodelnd in dem Flüsschen, das in diesem Moment zu kochen schien. Im selben Augenblick sanken auch auf dem Bauernhof die letzten Flammen zischend in sich zusammen und verglühten. Die Feuerreiterin hatte gesiegt und das Hofgut des Hochzeiters und seiner Eltern vor den Flammen gerettet. Vielleicht hatte sie sogar das ganze Dorf vor dem Untergang bewahrt.“ „Wie schön“, sagte Paula ergriffen, „eine hübsche Geschichte.“
„Ja“, lachte Ruth etwas bitter, „später hat man natürlich in der Dorfchronik einen mutigen Soldaten und Reiter zum Retter gemacht. Doch die alten Leute und die, die an jenem Tag dabei waren, wussten es besser und die Sage von der Feuerreiterin hielt sich noch lange in den Gedanken der Leute.“Paula hatte über der Geschichte ihre Schmerzen, die von den Blessuren am Rücken herrührten beinahe vergessen. Trotzdem nahm sie dankbar die Salbe an, die Ruth ihr für ihre Prellungen und Hämatome mitgab. „Arnika und noch ein bisschen mehr“, sagte Ruth auf Paulas fragenden Blick hin und Paula nickte, dankte Ruth mit einem Kuss auf die Wange und machte sich noch ganz in Gedanken bei Bernadette und ihrer mutigen Tat wieder auf den Weg nach Hause.
Um nicht an der Gärtnerei des Michael Gabler vorüber zu müssen nahm sie den etwas weiteren Weg über die Burgstraße zur Hauptstraße und die alte Celler Heerstraße, die ebenfalls zum Wehrbrink führte und ihr das unangenehme Gefühl ersparte, das sie stets beim Anblick der Gärtnerei überkam, die sie früher so gerne besucht hatte. Seit einiger Zeit hatte allerdings auch die ‚Alte Celler Heerstraße‘ ihre Tücken. Regelmäßig hatte Paula dort das Gefühl nicht alleine zu sein. Es war fast, als hätte sich mit den Aktivitäten ihres Gartens, der sich ausdehnte auch so etwas wie ein Tor zur Vergangenheit geöffnet und würde ihr kurze Momente und Einblicke auf die einst stark frequentierte Post- und Heerstraße gewähren, die von Hannover nach Celle führte.
Am nächsten Morgen rief ziemlich früh Ruth an, um zu fragen, wie Paula geschlafen habe und was ihre Blessuren machten. Sie sagte, als Paula versicherte, dass sie dieses Mal gut geschlafen habe: „Ich habe übrigens heute Morgen schon einiges über Friederike Bornhoff in Erfahrung gebracht!.“ Paula konnte bereits an ihrer Stimme hören, dass Ruth wichtige Neuigkeiten erfahren hatte.
„So früh, wer hat denn da schon angerufen?“, fragte Paula. „Frau Mechler“, bestätigte Ruth ihren Verdacht. „Ich komme heute noch vorbei“, sagte Paula neugierig und unterdrückte ein Gähnen.
Gegen Mittag, als Paula aus Uelzen zurück kam, fuhr sie darum weiter zu Ruth, um zu hören was es über die Inhaberin ihres Nachbargrundstückes Neues gab. Ruth beugte sich verschwörerisch vor und sagte so leise, als würde sie jemand belauschen: „Es geht um Friederikes Ehe, man munkelt anscheinend neuerdings, dass es da ein paar Probleme gäbe.“ „Aha“, sagte Paula und dachte, dass der Tobel womöglich doch Recht hatte. „Uwe, ihr Mann, ist neun Jahre jünger“, fuhr Ruth fort.„Er war zuerst bei Friederikes erstem Mann in der Kanzlei beschäftigt und hat dort rasch Karriere gemacht. Dann ist Martin, der erste Mann, überraschend gestorben und der smarte Uwe hat sich aufopfernd um die Witwe gekümmert. Jetzt drängt er seit einiger Zeit auch in die Politik. Er soll ganz dicke mit dem Landrat Dr. Hasselfeld sein. Hat wohl mal einen Prozess für ihn geführt.
„Also haben der Tobel und der Wehrkamp vielleicht doch Recht“, bemerkte Paula fast befriedigt, obwohl es ja keine erfreulichen Neuigkeiten waren. Ruth nickte stirnrunzelnd. „Ja“, erwiderte sie leise, „es sieht fast so aus.“ „Du weißt noch etwas“, vermutete Paula und sah Ruth streng an. „Ich sehe es dir an.“ Ruth lächelte. Dann begann sie geheimnisvoll: „Es gibt noch etwas anderes, das Friederikes Familie betrifft.“ Paula saß plötzlich kerzengerade, „was ist daran Besonderes?“ fragte sie scharf. „Es ist eine alte Uelzener Familie“, begann Ruth und sah Paula aufmerksam an, als überlegte sie, ob sie ihre Neuigkeiten verraten sollte oder nicht. „Paula“, sagte sie dann eindringlich. „Friederikes Großmutter war Agnes, Johannas Tochter.“
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