Isabell schüttelt den Kopf, als würden dadurch die Probleme verschwinden. Sie atmet noch einmal tief ein, bevor sie durch Serenas Wohnung schlendert. Sie beginnt im Badezimmer und schaut sich dort in aller Ruhe um.
Nachdem sie sich sattgesehen hat, geht sie ins Schlafzimmer. Vor dem Kleiderschrank bleibt sie stehen und betrachtet Serenas Körper im Spiegel. Dabei dreht sie sich hin und her, um ihre Figur genau zu begutachten.
Nun kann sie eindeutig sagen, dass man sich mit zu viel Gewicht auf den Rippen unwohl fühlt. Da kann ihr Serena noch so oft erzählen, wie zufrieden sie mit ihrer Figur ist.
Spätestens jetzt müsste sie es selbst gemerkt haben, wie schön und leicht so ein schlanker sportlicher Körperbau ist.
Isabell öffnet den Kleiderschrank und wühlt sich mit rümpfender Nase durch die Klamotten. Sie mochte den Kleidungsstil ihrer Freundin noch nie. Umso schrecklicher ist die Vorstellung, nun selbst diese Sachen zu tragen.
Isabell macht sich gedanklich die Notiz, in den nächsten Tagen shoppen zu gehen. Und wenn sie schon die Möglichkeit hat, will sie auch einen Termin bei ihrer Friseurin Edda machen.
»Jetzt kann ich dich verändern, wie ich es möchte. Das ist der einzige Vorteil an dem Tausch«, flüstert sie, nachdem sie den Schrank wieder geschlossen und einen weiteren Blick in den Spiegel geworfen hat.
Ihr nächster Weg führt sie ins Wohnzimmer. Vor der hässlichen dunklen Eichenschrankwand bleibt sie stehen und starrt das Ungetüm an.
Seit Serena in ihre Wohnung eingezogen ist, besitzt sie dieses Monstrum. Die Schrankwand hat Serena von ihrer Oma bekommen. Damals hatte Isabell noch Verständnis dafür. Immerhin hat man als junger Mensch nicht viel Geld und ist froh über jedes Möbelstück, das man in seiner ersten eigenen Wohnung hat. Aber nach all den Jahren hätte sie sich längst neue Möbel anschaffen können.
Isabell hatte Glück. Ihre Eltern sind gut betucht. Sie waren mit ihr damals im Möbelhaus, damit sie sich ihre erste Wohnungseinrichtung aussuchen konnte. Sie entschied sich für helle moderne Möbelstücke. Inzwischen hat sie etliche Teile ausgetauscht, weil sie sich an manchen Stücken einfach sattgesehen hat.
Unschlüssig starrt Isabell auf die Schranktüren. Sie wollte schon immer in Serenas Schrank schauen. Bisher hatte sie sich nicht getraut und auch jetzt ist sie unsicher. Sie wägt ab, ob es in Ordnung ist, in der Privatsphäre ihrer Freundin zu schnüffeln.
Nach einer Weile kommt sie zu dem Entschluss, dass sie nun in Serenas Haut geschlüpft ist und alles nutzen kann, was ihr gehört.
Sie öffnet eine Schranktür nach der anderen und wühlt darin herum.
Eine halbe Stunde später kennt sie den Schrankinhalt. Es gibt etliche Bücher, Fotoalben, Ordner mit Papieren, einiges an kitschigem Kram und natürlich eine ordentliche Menge Fresszeug.
Isabell ist drauf und dran die Süßigkeiten zu entsorgen, bis ihr eine Tafel ihrer Lieblingsschokolade ins Auge sticht. Seit Jahren hat sie auf die Schokolade mit Nugatfüllung verzichtet. Sie schaut an sich herunter und murmelt: »Nun ist es auch egal.« Mit den Worten holt sie die Schokoladentafel aus dem Schrank und plumpst damit auf die Couch. Sie reißt das Papier auf, bricht ein Stück ab, stopft es sich gierig in den Mund und lässt es auf der Zunge schmelzen. »Mmmmh, ist das gut«, flüstert sie und schließt die Augen.
Als das Schokostück verschwunden ist, schiebt sie ein weiteres nach. Das macht sie so lange, bis sich die Tafel eine halbe Stunde später aufgelöst hat.
Isabell erhebt sich und setzt ihren Rundgang fort. Der nächste Weg führt sie in die Küche, die gleichzeitig das letzte Zimmer ist. Schwungvoll öffnet sie den Kühlschrank.
Als sie den Inhalt sieht, bleibt ihr der Mund offen stehen. In den Fächern liegen nur ungesunde Lebensmittel.
Kein Wunder, dass Serena nicht abnimmt! , sagt sie gedanklich.
Sie sucht in der Küche nach einem Müllbeutel. Als sie endlich eine Tüte gefunden hat, schmeißt sie den gesamten Kühlschrankinhalt und alle ungesunden Lebensmittel, die sie sonst noch findet, hinein. Anschließend geht sie ins Wohnzimmer zurück und schreibt eine Einkaufsliste.
Auf einmal spürt sie etwas Weiches an ihrer Hand und schreit vor Schreck auf. Panisch erhebt sie sich und reißt die Augen auf. Auf der Couch steht Perry und miaut lautstark. Er springt vom Sofa und schmust schnurrend mit ihren Beinen.
»Geh weg!«, kreischt Isabell und flüchtet vor dem Kater. Doch dieser lässt sich nicht abhängen, er folgt ihr kreuz und quer durch die Wohnung. Zum Schluss rennt sie ins Schlafzimmer und schmeißt sich auf das Bett.
Perry springt ebenfalls hinauf und stupst sie unermüdlich an.
Isabell stöhnt auf, sie gibt nach und berührt seinen Kopf mit dem Zeigefinger. »Ganz ruhig! Es ist Serenas Körper, den er benutzt!«, flüstert sie sich mit gerümpfter Nase leise Mut zu.
Für den Kater scheinen ihre Worte die Aufforderung zu sein, noch näher zu kommen.
Perry scheint nicht zu merken, dass sein Frauchen nur körperlich anwesend ist.
Ich stehe in Isabells begehbarem Kleiderschrank und probiere ein Outfit nach dem anderen an. Nach jedem Klamottenwechsel betrachte ich mich in dem großen Spiegel und drehe mich im Kreis.
In dem Körper meiner Freundin ist alles so verdammt leicht. Ich wollte schon immer wissen, wie es ist, dünn zu sein. Es ist besser, als ich je geglaubt hätte. So sexy, wie ich mich fühle, habe ich es nicht eilig meinen alten Körper zurückzubekommen.
Wenn ich ehrlich bin, hoffe ich, Isabell gelingt es schnell, ihn in Form zu bringen. Bis dahin genieße ich mein neues Leben. Na ja, fast. Es gibt zwei Punkte, die mich etwas stören. Einer davon ist Alex, dem ich die nächste Zeit aus dem Weg gehen werde, damit ich nicht mit ihm schlafen muss. Und dann ist da der Job in der Werbeagentur. Ich habe keinen Schimmer von Werbung und weiß nicht, was Isabells Aufgabe in der Agentur ist. Ehrlich gesagt hat es mich nie interessiert.
Ich hasse Werbung. Sehe ich sie im Fernsehen, schalte ich um. Höre ich sie im Radio, wechsele ich den Sender. Im Internet und in Zeitschriften ignoriere ich sie konsequent.
Von den Werbeversprechen halte ich überhaupt nichts und noch schlimmer finde ich diese vielen heruntergehungerten Models, die in Werbekampagnen eingesetzt werden. Es hat für mich etwas Heuchlerisches, genau wie die Frauenzeitschriften, die uns weismachen wollen, dass wir mit der dort vorgestellten Diät ganz schnell abnehmen. In der gleichen Zeitschrift sind Rezepte für Torten und andere kalorienhaltige Speisen enthalten. Da frage ich mich immer, ob ich erst Gewicht verlieren soll, damit ich anschließend die Kalorien durch Nachkochen wieder aufnehmen kann. Oder sind die Diäten dafür gedacht, um die durch die Zeitschrift verursachten Kilos wieder herunterzubekommen? Was natürlich in beiden Fällen sinnlos ist. Jeder kennt doch den Jo-Jo-Effekt, er verschwindet auch nicht automatisch, wenn er totgeschwiegen wird.
Nachdem ich eine hautenge Jeans aus Isabells Kleiderschrank angezogen habe, betrachte ich begeistert meinen Hintern im Spiegel. In der Hose kommt er perfekt zur Geltung. Bei dem Anblick bin ich ausreichend motiviert, auf die Ernährung zu achten und mir nur hin und wieder etwas zu gönnen.
Apropos Essen: Ich schlendere in die Küche und schaue in den Kühlschrank. Mir fällt die Kinnlade herunter. Es befinden sich ausschließlich gesunde Lebensmittel darin. Dabei könnte ich jetzt ein bisschen Nervennahrung in Form von irgendwas Schokoladigem gebrauchen.
Ein Klingeln holt mich aus den Gedanken. Erst glaube ich, es ist mein … nein, Isabells Handy. Doch dann wird mir bewusst, dass es die Wohnungsklingel ist.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Also bleibe ich wie angewurzelt stehen, in der Hoffnung, der Besucher verschwindet wieder. Aber das Glück ist nicht auf meiner Seite. Mittlerweile klingelt es Sturm.
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