Ich schleiche zur Tür, um durch den Spion zu schauen. Insgeheim hoffe ich, es ist Isabell in meinem Körper.
Als ich die Wohnungstür erreiche und durch den Türspion sehe, kann ich niemanden entdecken.
Derjenige muss noch unten sein!
Ich spiele mit dem Gedanken, den Türöffner zu drücken, aber irgendetwas hält mich davon ab. Zunächst bleibe ich wie angewurzelt stehen. Als es plötzlich still ist, laufe ich zum Küchenfenster, lehne mich an die Wand daneben und bewege zaghaft meinen Kopf nach vorn, um hinauszuschauen.
Isabell hat in ihrer Küche nur Scheibengardinen, die aus zwei Streifen, einer oben und einer unten, bestehen. In der Mitte ist ein größeres Stück frei. Ich frage mich, warum man überhaupt Gardinen hat, wenn sie nicht mal die Scheibe verdecken. Isi mag keine. Sie meint, diese kleinen Stofffetzen wirken wohnlicher, als kahle Fenster zu haben.
Eine Weile bleibe ich wie angewurzelt stehen, bis mich ein erneutes Klingeln und ein anschließendes Klopfen zusammenschrecken lasen.
Da ist jemand an der Tür! , sage ich mir in Gedanken voller Panik.
Ich atme tief durch, bevor ich mich aus der Küche zurück in den Flur schleiche. Die Tür ist nur noch zwei Meter von mir entfernt, bis ich eine Stimme rufen höre. »Isabell, bist du da?«
Oh Shit! Alex!
»Isi, komm mach auf!«
Voller Panik atme ich tief ein und aus. Mein Herz hämmert wild gegen meine Brust. Mich würde es nicht wundern, wenn ich vor lauter Aufregung einfach umkippe.
Was soll ich tun?
Bevor ich mir weitere Gedanken machen kann, ertönt der Klingelton von Isabells Smartphone. Ich will gerade ins Wohnzimmer, um nachzuschauen, wer mich anruft, als Alex erneut ruft. »Süße, ich weiß, dass du da bist. Ich kann dein Handy hören.«
Oh ja, Isi lässt ihr Mobiltelefon nie zu Hause. Ist es zu Hause, ist sie es auch.
Normalerweise würde ich die Situation aussitzen und so lange warten, bis Alex verschwindet. Aber zum einen tut er mir leid und zum anderen will ich seine Beziehung durch mein Verhalten nicht gefährden. Also atme ich tief ein, straffe die Schultern und gehe zur Tür. Bevor ich sie öffne, setze ich ein Lächeln auf.
»Hey Süße, warum hat es so lange gedauert?«, begrüßt er mich. Als er mich auf den Mund küssen will, drehe ich den Kopf weg.
»Ä-Äh«, stammle ich. »Ich habe Migräne und lag im Bett«, versuche ich mich aus der Situation zu retten.
»Migräne? Das hattest du doch noch nie.« Alex schaut mich misstrauisch an.
»Was machst du überhaupt schon hier?«, lenke ich ab. »Musst du nicht im Studio sein?«
Alex arbeitet als selbstständiger Fotograf. Sein Auftragsbuch ist immer voll. Normalerweise ist er in der Woche von morgens bis abends mit seiner Kamera unterwegs.
Deshalb wundert es mich, ihn um diese Uhrzeit außerhalb des Studios oder einer der Locations zu sehen.
»Ein Paar hat abgesagt. Da dachte ich, ich mache eine kleine Pause bei dir.«
Ich nicke und gehe langsam ins Wohnzimmer, um mich dort auf den Sessel fallen zu lassen.
Alex folgt mir und setzt sich auf die Lehne. Er mustert mich. »Geht es dir so schlecht?«, fragt er und schaut mich besorgt an.
Erneut nicke ich nur.
»Mm. Wie lief es heute mit Kasper und Serena?«
»Du wusstest …« Als mir klar wird, was ich da sage, breche ich mitten im Satz ab.
Natürlich wusste Alex davon!
»Was wusste ich?« Alex schaut mich verirrt an.
Ähm, ja. Serena, denk nach! Du brauchst eine schlüssige Antwort.
»Na ja, du kennst ja Serena«, versuche ich die Situation zu retten.
»Ja, allerdings. Und ich kann mir auch vorstellen, dass sie wenig begeistert war.«
»Stimmt. Trotzdem hat sie für ein Probetraining zugesagt.«
Alex zieht die Augenbrauen hoch. »Ist nicht wahr?«
»Doch.«
Er legt mir den Arm um die Schulter. Sein Kopf nähert sich meinem. Bevor er mir zu nahe kommt, springe ich auf und renne ins Bad.
Nachdem ich das Badezimmer betreten habe, schließe ich die Tür ab und setze mich auf die Badewanne. Ich halte mir die Hände vors Gesicht.
Mir war klar, dass mir die Sache mit Alex einiges abverlangen würde, aber so schwer stellte ich es mir nicht vor.
»Verschwinde, du Mistvieh!«, schreit Isabell den Kater an, der sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Seit sie in Serenas Bett lag und so lange heulte, bis sie keine Tränen mehr hatte, weicht er ihr nicht von der Seite.
Sobald sie stehen bleibt, reibt er seinen Kopf an ihr.
Sie rennt in den Flur und sucht Serenas Handtasche. Irgendwo darin muss ihr Handy sein.
»Hier ist es ja«, flüstert sie, nachdem sie es aus der Tasche gezerrt hat. »Was für ein Vorkriegsmodell«, schimpft sie.
Isabell hat sich schon oft über das alte Mobiltelefon ihrer Freundin lustig gemacht. Zu der Zeit wusste sie nicht, dass sie dieses Handy irgendwann benutzen müsste.
Fluchend tippt sie auf den Tasten herum. Sie sucht nach dem Telefonbuch, damit sie ihre Freundin anrufen kann.
Nachdem sie sich erfolglos durch das halbe Menü geklickt hat, stöhnt sie auf. Sie ist kurz davor, ihre Nummer so ins Tastenfeld einzugeben, allerdings ist sie unsicher, ob sie die Zahlen zusammenbekommt. Schließlich ruft sie sich selbst nie an. Zum Glück entdeckt sie dann das Telefonbuch und atmet erleichtert auf. Sie sucht unter I nach ihrem Namen, doch sie wird nicht fündig.
»Unter was hat sie mich denn eingespeichert?«, erklingt Serenas Stimme wütend und lässt Isabell zusammenzucken.
Sie springt zurück zum A und geht die Einträge in alphabetischer Reihenfolge ab. Unter B findet sie endlich ihre Nummer.
Sie hat mich tatsächlich unter Beste Freundin abgespeichert. Auf so etwas muss man erst mal kommen!
Hektisch wählt sie die Nummer und lauscht den Ruftönen. Es klingelt mehrmals, bis der Anruf endlich angenommen wird.
»Serena, du musst …«, setzt sie an.
»Warte, Isabell ist im Bad. Ich hole sie«, meldet sich Alex.
Verdammt! In Zukunft muss ich mich mit Serena melden !, versucht sie sich einzuschärfen.
»Süße, Serena ist für dich am Telefon«, hört sie Alex im Hintergrund rufen.
Es tut ihr gut seine Stimme zu hören, doch es versetzt ihr auch einen Stich, dass er eine andere als Süße bezeichnet. Innerlich seufzt sie auf. Sie hofft auf baldige Umkehr des Tauschs.
»Ja«, erklingt eine ihr vertraute Stimme. Es ist ihre Eigene, die von ihrer Freundin gelenkt wird.
»Was macht denn Alex bei dir?«, zischt Isabell.
»Er hat so lange geklingelt und geklopft, bis ich ihm aufgemacht habe. Er hat einfach nicht locker gelassen«, flüstert Serena. »Was hätte ich tun sollen?«
»Wehe, du fasst ihn an!«, warnt Isabell.
Bisher ist sie nie eifersüchtig gewesen. Es gab auch nie einen Grund dafür, aber nun sieht die Sache anders aus.
»Mache ich doch gar nicht! Ich habe ihm gesagt, ich hätte Migräne, nur damit er mich in Ruhe lässt. Sag mir bitte, was ich tun soll! Lange halte ich es nicht mehr aus.«
»Mann, ich habe keine Ahnung!«, antwortet Isabell genervt. »Ich weiß nur, dass du die Finger von ihm lassen sollst. Denk dir etwas aus! Und verrate mir, was ich machen soll, um deine Katze loszuwerden! Das Vieh verfolgt mich die ganze Zeit.«
»Nenn ihn nicht Vieh!«, ertönt eine schrille Stimme.
»Süße, ist alles in Ordnung?«, fragt Alex im Hintergrund.
»Ähm. Ja, es ist alles gut«, antwortet Serena.
»Mist! Schrei nicht rum! Also was mache ich mit ihm?«
»Hast du ihn schon gefüttert?«
»Äh, nö.«
»Das Futter findest du im unteren Schrank neben dem Kühlschrank. Das Wasser musst du auch regelmäßig austauschen beziehungsweise nachfüllen. Ach ja, das Katzenklo solltest du mindestens ein Mal am Tag sauber machen. Unter …«
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