„Was wollt Ihr damit sagen?“ erwiderte Aramis schärfer, als er es beabsichtigt hatte und war damit schon halb auf den lauernden Tonfall des Gardisten hereingefallen. Saint-Marc trank ungerührt, dann zuckte er mit den Schultern. „Gehört es nicht zu den Aufgaben eines Leutnants, seinen Hauptmann zu vertreten?“
„Ja.“ fügte jetzt Villeneuve ebenso harmlos hinzu. Er hatte ein spitzes Gesicht und dazu passend den dünnen Schnurrbart einer Ratte. „Ist das nicht eine wesentliche Pflicht dieses Postens? Besonders zu solchen Zeiten.“
Athos legte Aramis eine Hand auf den Arm, bevor sein Freund hitzig etwas antworten konnte. Porthos, der drauf und dran war von seinem Stuhl aufzuspringen, hielt er mit einem schnellen Blick im Zaum. Er selbst musterte die beiden Gardisten kühl. „Ich bin mir nicht sicher, worauf ihr hinauswollt. Allerdings meine ich mich zu erinnern, dass auch Hauptmann des Essarts einen Leutnant zur Seite hätte, dem ihr Respekt schuldet.“
Moissac, der nicht recht zu verstehen schien was vor sich ging, blickte von einem Gesicht zum anderen und meinte unsicher: „Im Augenblick ist unsere Kompanie zwar ohne Leutnant, aber ich denke, gäbe es einen, so wären seine Pflichten vielfältiger Natur.“
Saint-Marc lehnte sich überlegen lächelnd zurück und überließ es Villeneuve, zu antworten. „Solange diese Pflichten auch erfüllt werden.“
Aramis war von Natur aus ein eher sanftes Gemüt, ein Feingeist. Doch nun ließ er sich nicht länger von Athos beschwichtigen, sondern fuhr die Gardisten an: „Ihr solltet Euch deutlicher ausdrücken, Eure Worte könnten sonst zu einem unschönen Missverständnis führen!“
Saint-Marc winkte unbeeindruckt ab. „Ein solches Missverständnis möchten wir natürlich vermeiden. Ihr habt es wohl noch nicht gehört?“
„Was gehört?“ fragte Moissac völlig arglos dazwischen.
„Nun, mein Freund. Es geht das Gerücht, dass die maroden Staatskassen nicht mehr alle Kompanien tragen können. Der König lässt nicht umsonst zu, dass so unerfahrene, junge Männer den Posten eines Leutnants einnehmen.“
Villeneuves Barthaar zitterte vor Vergnügen, als er hinzufügte: „Die Hauptleute müssen lernen, sich mit der zweiten Wahl zufriedenzugeben. In manchen Einheiten ist das schon seit einigen Jahren der Fall.“
Selbst Athos wurde blass vor Zorn und seine Hand ruhte gefährlich auf dem Griff seines Degens.
„Was, bitte, ist seit einigen Jahren der Fall?“ Die Köpfe aller Männer am Tisch ruckten herum, als plötzlich eine neue Stimme, scheinbar vergnügt und doch sehr scharf, sprach. „Ah, ich hörte nur das Wort 'Kompanie' und es ist meine verflucht neugierige Art, bei manchen Begriffen aufzuhorchen.“
An den Tisch trat ein weiterer Mann, bei dem es sich unverkennbar um keinen einfachen Soldaten handelte. Er stand entspannt, doch seine ganze Haltung strahlte Autorität aus. Er schien gewöhnlich Befehle zu erteilen, die stante pede ausgeführt wurden. Seine markanten Gesichtszüge entbehrten nicht einer gewissen Attraktivität, die von den Damen sicher als aufregend empfunden wurde. Bei seiner Rede hatte er kaum die Stimme heben müssen, um sich Gehör zu verschaffen, ihm war sofort alle Aufmerksamkeit sicher.
Moissac sprang beinahe von seinem Stuhl auf und rief überrscht: „Monsieur des Essarts, Hauptmann...!“
Der Hauptmann der Gardisten des Königs ging über den Gruß seines jungen Untergebenen hinweg, Saint-Marc und Villeneuve traf allerdings ein stählernen Blick. Des Essarts schien die letzten Gesprächsfetzen durchaus aufgefangen zu haben und auch die Musketiere machten keinen Mucks. Seine Stimme bekam etwas schneidendes, keinen Widerspruch duldendes, als er nachfragte: „Was also ist seit einigen Jahren in Frankreichs Kompanien der Fall und entzieht sich vollkommen meiner Kenntnis, während meine Soldaten erstaunlich gut Bescheid zu wissen scheinen?“
Saint-Marc und Villeneuve wagten es nicht, zu antworten. Der Hauptmann wartete noch einen Augenblick länger und als er überzeugt schien, dass seine Untergebenen lange genug geschmort hatten, sagte er: „Wir werden uns darüber morgen früh ausführlicher unterhalten, nachdem die Herren ihren Wachdienst beendet haben. In meinem Arbeitszimmer, pünktlich!“
Villeneuve schien protestieren zu wollen, doch als ihn der Blick seines Vorgesetzten traf, machte er den Mund sofort wieder zu. Essarts trug eine schwer zu deutende Miene. Ihn schien mehr als nur Villeneuves und Saint-Marcs Unverschämtheit verärgert zu haben. „Geht!“
Saint-Marc schien etwas blasser um die Nasenspitze zu werden, seine Pockennarbe zeichnte sich noch deutlicher ab. Villeneuve und er standen eilig auf und trollten sich. Sie vermieden es im Vorbeigehen, den Musketieren finstere Blicke in Gegenwart ihres Hauptmanns zuzuwerfen. Auf einen der frei gewordenen Stühle ließ sich nun überraschend des Essarts nieder und maß die anderen Männer mit einem abschätzenden Blick. „Villeneuve und Saint-Marc mögen zwei Unruhestifter sein, doch ich hoffe sehr, ihr habt euch nicht provozieren lassen?“
Athos neigte respektvoll den Kopf. „Nein, Monsieur le capitaine .“ Aramis und Porthos nickte bestätigend. Von des Essarts schien damit die letzte Anspannung abzufallen und er lehnte sich bequem zurück. „Sehr gut. Andernfalls hätte ich diesen Vorfall meinem Schwager melden müssen. Doch ich glaube, ein Streit zwischen Gardisten und Musketieren ist das Letzte, wovon Tréville im Augenblick erfahren möchte. Zumal es sich nicht einmal um die Männer des Kardinals gehandelt hat.“
Selbst der vorhin noch so eingeschüchterte Moissac lachte bei dieser Bemerkung auf und die Angelegenheit schien damit erledigt. Des Essarts wandte sich dem jungen Gardisten zu, der sofort wieder verstummte. „Ihr seid vernünftig geblieben, lobenswert. Im Übrigen bin ich nicht zufällig in diese Schenke gekommen.“
„Hauptmann?“
„Ihr seid mehrere Male an mich herangetreten mit der Bitte um einen geringen Gefallen. Er wird Euch gewährt.“
Moissac starrte sprachlos, dann jedoch hellte ein erfreutes Lächeln seine Miene auf. „Ihr meint, Ihr habt tatsächlich für meine Base eine Stelle als Gesellschafterin gefunden?“
„Beinahe. Wir werden ebenfalls morgen darüber reden. Jetzt solltet Ihr Eure Kameraden einholen und beruhigen, bevor sie weitere Dummheiten begehen. Ich will mich nicht in der Position wiederfinden sie aus dem Arrest holen zu müssen. Obgleich sie ein paar Tage bei Wasser und Brot verdient hätten.“
Moissac nickte eifrig, verabschiedete sich und schob sich ein weiteres mal durch den überfüllten Schankraum zum Ausgang des 'Tannenzapfens'. Die drei Musketiere sahen sich nun allein mit dem Hauptmann der Gardisten und es war Athos, der behutsam fragte: „Gilt Eure Sorge tatsächlich nur Saint-Marc und Villeneuve?“
Des Essarts lächelte dünn und verneinte. „Ihr habt mich durchschaut, wie nicht anders zu erwarten. Natürlich würde ich nicht Moissac endlich geben, was er verlangt, nur damit ich ungestört mit dreien der besten Musketiere meines Schwagers reden könnte.“ Unbewusst rückten die Männer zusammen und Aramis stellte nüchtern fest: „Es ist mittlerweile wohl ein offenes Geheimnis, dass mit- der Kompanie der Musketiere etwas nicht stimmt.“
„Ja. Es gehen die unterschiedlichsten Gerüchte, doch niemand weiß, was wirklich geschieht. Auch ich nicht.“
Porthos schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber Ihr seid Familie!“
„Das bin ich und in der Regel erzählt mir meine Schwester davon, wenn sie etwas bedrückt. Aber nicht einmal sie scheint nun zu wissen, woher das auffällige Verhalten ihres Mannes rührt.“ Des Essarts schmunzelte, aber es schien mehr verbittert als amüsiert. „Ganz sicher wurden weder ihm noch mir gedroht, dass unsere Kompanien die Staatskassen zu stark belasten würden. Es muss einen anderen Grund geben.“
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