Als die drei Musketiere nun eintraten, sahen sie gleich, dass es schwer für sie werden würde, noch einen Tisch zu ergattern.
„Sehr viele Gäste heute Abend.“ stellte Porthos mürrisch fest. Er hielt Ausschau und da er seine Begleiter um fast einen Kopf überragte, kam er recht schnell zu dem Schluss, dass alle Tische besetzt waren und auch alle Bänke, Holzbretter, die der Wirt aufgebockt hatte, belegt.
„Gibt es wirklich keine freien Plätze mehr für uns?“ versicherte sich Aramis bei dem Hünen, der nur bedauernd den Kopf schüttelte. Fragend sahen sie beide zu Athos, als plötzlich eine Stimme aus dem Schankraum über den fröhlichen Lärm der Zecher hinweg in ihre Richtung rief: „Messieurs!“
Wenn sie ihn nicht besser gekannt hätten, dann hätten Aramis und Porthos schwören können, in der sonst so gelassenen Miene ihres Freundes einigen Unmut aufblitzen zu sehen. Der Grund dafür war eine Gestalt, die sich jetzt durch das Gedränge im Schankraum zwängte, zielstrebig auf die Musketiere zu. Nicht nur Athos hatte sie erkannt. Auch Aramis raunte: „Noch können wir gehen und ihn nicht bemerkt haben.“ Dabei versuchte er, Porthos am Ellenbogen in Richtung des Ausgangs zu schieben. Allerdings versperrten ihnen andere, neu eintreffende Gäste an der Tür den Weg. Sehr viel näher schallte es weider und ließ keinen Zweifel daran, wer gemeint war: „Messieurs Musketiere! Athos, Porthos und Aramis!“ Ein junger Mann in der Uniform der Gardisten des Königs hielt auf die Freunde zu, die sich widerstrebend umwandten. Endlich an seinem Ziel angekommen, verneigte sich der Gardist höflich und mit einem strahlenden Lächeln im knabenhaften Gesicht. Etwas verhaltener grüßte ihn Aramis zurück. „Bonsoir, Monsieur de Moissac. Welch Zufall.“
Moissac schien der unterkühlte Ton gar nicht aufzufallen, noch weniger konnte er den jungen Mann aufhalten. Überschwänglich nahm er reihum die Hände der Musketiere und schüttelte sie ausdauernd, wobei er munter drauflos plapperte: „Bonsoir, bonsoir Messieurs! Es freut mich, Euch anzutreffen! Nach einem anstrengendem Tag im Dienst für den König kehren die Musketiere im 'Tannenzapfen' ein, nicht wahr?“ Ein Zwinkern folgte, als wäre Moissac Teil einer verschworenen Gemeinschaft. Keiner der Freunde wusste darauf höflich zu antworten und es war ihnen anzusehen, dass sie nun lieber einige Meilen weit entfernt gewesen wären. An den nahen Tischen wandten sich schon Köpfe in ihre Richtung, was Moissac jedoch nicht zu stören schien. Im Gegenteil schien er die Aufmerksamkeit zu genießen und präsentierte sich gern in Gesellschaft der Musketiere. Neben seiner faltenlos gebügelten Uniform, dem perfekt liegenden Kragen und den glänzenden Stiefeln konnte man sich schon ein wenig schäbig fühlen, wenn einen solche Äußerlichkeiten beeindruckten. Schon redete er weiter: „Heute Abend ist besonders viel Betrieb. Ich bin froh, noch einen Platz bekommen zu haben. Dabei war ich schon früh hier und habe auf meine Kameraden gewartet. Wir halten uns gegenseitig einen Tisch frei, wenn einer früher Dienstschluss hat.“
„Wir werden uns nach einem anderen Gasthaus umsehen.“ erwiderte Aramis zurückhaltend, seinen beiden Begleitern allerdings sehr bestimmende Blicke zuwerfend. Doch genau auf diese Worte schien Moissac gewartet zu haben. Es platzte förmlich aus ihm heraus: „Meinen Tisch teile ich nur mit zwei Kameraden, es sind noch einige Stühle unbesetzt. Es wäre uns eine Ehre, wenn ihr euch zu uns gesellen würdet.“
Porthos schüttelte den Kopf und machte einen halben Schritt zur Tür hin. Doch trotz dieser eindeutigen Geste, rührte sich Athos nicht von der Stelle. Im Gegenteil nickte er nun in Moissacs Richtung und dessen unverkennbare Freude entschuldigte in diesem Moment Athos' scheinbar übertriebene Höflichkeit. Moissac führte die Musketiere sofort quer durch den Schankraum zu einem Tisch, an dem in der Tat zwei weitere Gardisten saßen.
Mochte es auch kein vernünftiges Argument geben, um das Angebot abzulehnen, so lag Aramis doch eine stumme Frage an Athos auf den Lippen. Der ältere Musketier verstand den unausgesprochenen Vorwurf und flüsterte, nur für seine beiden Freunde hörbar: „Wenn wir ein anderes Gasthaus aufsuchen, wird d'Artagnan uns nicht finden.“
„Falls wir heute überhaupt noch zusammengefunden hätten.“ zischte Aramis zurück und neben ihm brummte Porthos: „D'Artagnan hätte es ganz sicher verstanden.“
Athos, auch wenn er seine Entscheidung nicht für falsch hielt, musste dem Hünen recht geben. Wahrscheinlich wäre d'Artagnan der erste gewesen, der auf dem Absatz kehrtgemacht hätte, sobald er Moissac erkannte. Jetzt war es allerdings zu spät dafür und die Freunde erreichten den Tisch, an dem die beiden anderen Gardisten ihr eigenes Gespräch unterbrachen, um die Musketiere abschätzend zu mustern. Moissac stellte mit unverkennbaren Stolz auf seine flüchtige Bekanntschaft mit den Musketieren die Freunde vor. „De Saint-Marc und de Villeneuve, dies sind die Herren Athos, Porthos und Aramis.“
Die beiden Gardisten nickten knapp und es war ihnen anzusehen, dass sie im Gegensatz zu ihrem Kameraden keinen gehobenen Wert auf die Gesellschaft der Musketiere legten oder sonderlich beeindruckt waren. Die Freunde störten sich nicht weiter daran. Wenn Saint-Marc und Villeneuve sich nicht so aufdringlich gaben wie Moissac, konnte es ihnen nur recht sein. Sie ließen sich auf ihren Stühlen nieder und Moissac winkte einer Magd, die trotz der zahlreichen Gäste auch bald zu ihrem Tisch kam und die Wünsche der Musketiere entgegennahm. Zwar war die Gesellschaft nicht die angenehmste, aber ein Abendessen aus der guten Küche des 'Tannenzapfens' ließen sich die Freunde deswegen nicht nehmen. Saint-Marc und Villeneuve widmeten sich bald wieder ihren eigenen Angelegenheiten, nur Moissac konnte nicht schweigen und versuchte ein Gespräch am Tisch in Gang zu bringen. Er hatte nicht viel Erfolg damit, da sich die anderen Männer entweder mit ihrem Wein oder ihrem Essen beschäftigten. Irgendwann allerdings stellte Moissac eine Frage, auf die die Musketiere schon die ganze Zeit gewartet hatten und es wunderte sie fast, dass der junge Mann nicht früher schon darauf zu sprechen gekommen war. „...und aus diesem Grund hoffe ich, bald Fähnrich in meiner Kompanie werden zu können. Aber sagt, wo ist eigentlich d'Artagnan? Ihr müsst wissen, Saint-Marc, Villeneuve, die Unzertrennlichen sind in der Regel zu viert anzutreffen. Es ist doch hoffentlich alles in Ordnung?“
Von allen Musketieren, die Moissac das Vergnügen hatte zu kennen, war wohl ausgerechnet der Leutnant derjenige, auf den er es am meisten abgesehen hatte. Das mochte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass er und d'Artagnan für einige Monate gemeinsam in der Garde Seiner Majestät gedient hatten. Moissac war kurz vor dem Feldzug nach La Rochelle der Kompanie beigetreten, mit ehrgeizigen Plänen für seine weitere Karriere. Er hatte die baldige Versetzung des praktisch gleichaltrigen Gascogners zu den Musketieren miterlebt und das schien ihn beeindruckt haben. Als d'Artagnan dann auch noch überraschend zum Leutnant ernannt worden war, musste Moissac endgültig den Entschluss gefasst haben, dass ihm eine Freundschaft mit seinem einstigen Kameraden nur zum Vorteil gereichen konnte. Wenn Athos, Porthos und Aramis - von denen sich Moissac durch ein gutes Verhältnis zu ihnen, da sie die besten Freunde d'Artagnans waren, ebenso hoffnungsvolle Aussichten für seine Zukunft versprach - den jungen Gardisten schon sehr lästig fanden, dann war die Aussicht, das eigentliche Interesse Moissacs zu sein, noch weit weniger erbaulich.
Bevor einer der Musketiere antworten konnte, mischte sich Saint-Marc ein. Der Gardist hatte halb den Weinbecher zum Mund gehoben. Eine alte Pockennarbe auf seiner Wange geriet in Bewegung, als er wie beiläufig meinte: „D'Artagnan ist der Leutnant der Musketiere. Es wundert mich nicht, dass er nicht anwesend ist.“
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