1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 „Natürlich.“ nickte Essarts knapp. „Das trifft sich gut, denn Ihr könnt mir dabei gleich einen Gefallen erweisen.“
Aus den Augenwinkeln fing d'Artagnan einen finsteren Blick Trévilles auf und fragte umso hilfsbereiter: „Um was handelt es sich?“
„Findet unter den Posten der Gardisten den jungen Moissac und richtet ihm aus, dass ich ihn nach seiner Wache in meinem Arbeitszimmer erwarte.“
„Moissac, nach der Wache.“ bestätigte der Leutnant pflichtbewusst, grüßte und verließ eiligen Schrittes den Raum. Kurz drang das Stimmengewirr aus dem Vorzimmer ins Kabinett, dann fiel die Tür ins Schloss und sperrte alle anderen Besucher ein weiteres Mal aus.
„Das kam einer Flucht gleich.“ meinte Essarts scheinbar nachdenklich, ehe er sich wieder ganz seinem Schwager zuwandte. „Und ich kann Euren Leutnant verstehen.“
„Könnt Ihr das?“ erwiderte Tréville lauernd und verkniff sich die Frage, wie das Unmögliche daran bewerkstelligt werden sollte. Es war offensichtlich, dass des Essarts sich mit seiner Bemerkung nur wieder ihrem ursprünglichen Thema, ihrem Streit, nähern wollte.
„Er ist ein treuer Charakter, Ihr solltet das zu schätzen wissen.“
„Verflucht noch eins!“ fuhr Tréville auf. „Ihr kommt, um guten Tag zu sagen und macht mir Vorhaltungen darüber, wie ich meine Kompanie führe. Das Ganze verdeckt Ihr mit dem Wort Familienangelegenheiten. Sagt endlich, weshalb Ihr wirklich gekommen seid!“
„Aus demselben Grund, den vermutlich auch Euer Leutnant gehabt hat, als er sich zu seinem übel gelaunten Vorgesetzten in dieses Arbeitszimmer begeben hat: Um mit ihm zu reden.“ Des Essarts stützte sich auf den Schreibtisch und sagte eindringlich: „Ihr habt den Mann auf der Straße gesehen. Ihr wisst von den Gerüchten, die in Paris die Runde machen. Ihr schließt Euch in diesem Raum ein, obwohl Taten von Euch erwartet werden. Ich könnte noch mehr aufzählen, aber Ihr wisst verteufelt gut, wovon ich spreche. Ich bin nicht hier, um Euch nach den Gründen zu fragen. Ich verlange, dass Ihr dies beendet!“
Des Essarts wartete keine Antwort ab, sondern schritt zur Tür. Dort wandte er sich noch einmal zu seinem Schwager um, dem es offenbar nur mit einiger Mühe gelang sich zu beherrschen. „Ich hoffe, wenn schon nicht um Euch und Eure Karriere, so sorgt Ihr Euch doch wenigstens um das Wohlergehen und den Ruf der Menschen, die Euch vertrauen. Ich gebe Euch den guten Rat, dieses Vertrauen nicht zu missbrauchen.“
Zum Wachdienst am Louvre eingeteilt zu sein, bedeutete in der Regel für lange Zeit an einem Platz auszuharren und sich dabei möglichst nicht anmerken zu lassen, wie ermüdend sich vier Stunden völliger Ereignislosigkeit dahinschleppen konnten. Wie gut, wenn man wenigstens einen Kameraden zur Seite hatte, der das gleiche Schicksal teilte und mit dem es sich wunderbar nebenher plaudern ließ - solange kein Vorgesetzter in der Nähe war, verstand sich. Doch da der nächste Kontrollgang noch in einiger Ferne lag, mussten sich die Soldaten jetzt noch keine Gedanken darum machen. Im Augenblick wäre es Athos allerdings sehr recht gewesen, wenn tatsächlich irgendjemand sein Gespräch mit Porthos unterbrochen hätte. Im Grunde redete eigentlich nur der Hüne auf Athos ein, der seinerseits keine Gelegenheit zum Antworten fand. Das schien Porthos jedoch nicht weiter aufzufallen, denn er war damit beschäftigt, eine gewichtige Miene aufzusetzen, sich ab und an, während bedeutungsvoller Pausen in seinem Monolog, den Schnurrbart zu zwirbeln und dabei Athos mit abwägenden Blicken zu mustern.
Der Graf de la Fère, wie Athos' wahre Identität lautete, hätte einiges darum gegeben, wenn diese Wache am Vorplatz bald beendet gewesen wäre, denn ihm war, auch wenn er es nicht offen zugab, das Thema der 'Unterhaltung' recht unangenehm: Es ging um das geheimnisvolle Taschentuch, das Athos am vergangenen Morgen auf dem Tisch in seiner Wohnstube gefunden hatte und in dem Porthos genügend Gesprächsstoff fand, um seit über einer Stunde schon Spekulationen über die mögliche Besitzerin des Tüchleins anzustellen. Athos hörte kaum zu. Er wusste mittlerweile, wem er dieses Geschenk zu verdanken hatte und wem er es noch vor Ende des Tages zurückgeben würde. Natürlich nicht in der Absicht, der Aufforderung, die dieses Taschentuch bedeutete, nachzukommen! Wenn er gestern nicht durch den Besuch im 'Tannenzapfen' und dem Gespräch mit des Essarts von seinen eigenen Angelegenheiten abgelenkt gewesen wäre, hätte er das Tuch schon heute nicht mehr bei sich getragen. So aber musste es bei seinen Freunden, und besonders bei Porthos, ganz den Eindruck erwecken, als wolle Athos diesen Liebesbeweis gerne noch ein Weilchen länger behalten.
Der Graf seufzte, während an seiner Seite neue Namen, jeder fantasievoller und falscher als der andere, genannt wurden. Vielleicht hätte er das Tuch Aramis und Porthos nicht zeigen dürfen. Doch zu diesem Zeitpunkt hielt Athos die Angelegenheit noch schlichtweg für einen Irrtum. Warum auch nicht? Der schweigsame, reservierte Musketier, dem keine Frauengeschichten nachgesagt werden konnten und von dem jeder wusste, dass er auch keine heimliche Leidenschaft, außer vielleicht den Wein, pflegte, sollte das Interesse einer Dame wecken?
Ausgeschlossen. In all den Jahren, die Athos nun schon in Paris lebte, war ihm so etwas noch nicht widerfahren und nie hatte er diese Art von Gesellschaft vermisst. Doch jetzt, wie aus heiterem Himmel, und obwohl er ausreichend deutlich gemacht hatte, dass er ein Leben ohne eine Frau an seiner Seite bevorzugte, schien sich eine Dame sogar ernstlich Hoffnungen zu machen, sie könne den Musketier mit genügend Hartnäckigkeit umstimmen.
Athos hatte nicht vergessen, dass ihn bereits eine Frau betrogen hatte, indem sie sich für etwas ausgab, was sie nicht war: Die unschuldige Schwester eines Priesters, hübsch, gebildet und sanftmütig, noch sehr jung und naiv - In Wirklichkeit jedoch eine gebrandmarkte Verbrecherin, gerissen, teuflisch und skrupellos. Er trug nur leidvolle Erinnerungen an Milady in seinem Herzen. Sie hatte sein Vertrauen und seine blinde Liebe zu ihr missbraucht. Das sollte nie wieder geschehen. Keine Frau würde Athos mehr derartig hintergehen können, denn er wies sie alle von sich. Was also hatte sich diese Eine, die ihn am längsten kannte, die darüber doch am Besten wissen musste, dass sie keinen Erfolg haben würde, gedacht?!
„Comtesse!“
„Pardon?“ Athos schreckte aus seinen trüben Gedanken, als ihn Porthos' Ellbogen in die Seite traf. Der Hüne trug einen triumphierenden Gesichtsausdruck und erwartete offensichtlich Zustimmung durch seinen Freund, als er nun betont langsam wiederholte: „Comtesse. Niemand kann mit Sicherheit sagen, dass das erste 'C' in den Initialen des Taschentuchs nicht die Abkürzung für einen Titel ist. Ja, ich bin mir sicher, Ihr habt die Gunst einer Gräfin gewonnen.“
Athos antwortete nicht auf diesen neuerlichen Versuch, ihn zur Preisgabe des Namens zu überreden. Das schien Porthos jedoch nur dazu anzuspornen, seine neue Idee weiter auszuschmücken. Er selbst hatte seine Madame Coquenard, die Anwaltswitwe, und ihre Goldtruhe, für sich gewonnen. Die Hochzeit stand in einigen Wochen an, bis dahin wollte Porthos noch so viele Geheimnisse seiner Freunde wie möglich ergründen, ehe er den Musketierrock an den Nagel hängte. „Ja, ja, überlegt doch nur! Das 'C' ist zweimal aufgestickt, nichts weiter. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wofür diese Buchstaben stehen könnten. Aber nun handelt es sich vielleicht gar nicht um Vor- und Zunamen, um etwas alltägliches wie 'Cecilie Cambout' oder 'Claude Chamillart'. Stattdessen könnte eine hohe Dame uns auf diese Weise ein Rätsel aufgeben wollen, damit wir es, nein, Ihr es löst und Euch so beweist.“
Porthos schien ganz und gar begeistert von diesem Gedanken zu sein und bemerkte nicht, dass Athos nicht darauf einging. Fröhlich begann der Hüne von Neuem: „Folglich könnte es sich genauso um die Comtesse von Cauvisson handeln oder-“ Porthos stockte und seine Augen wurden groß, bevor er den Namen, der ihm nun in den Sinn kam flüsterte: „Comtesse de Carignan...“
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