1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Tréville wusste, dass sich die Männer ebenfalls einige Gedanken über die vergangenen Wochen gemacht hatten. Sie sorgten sich ob der Veränderung, die ihren Hauptmann ergriffen zu haben schien und fragten sich, was seinen Charakter so erschüttert haben mochte. Allen voran sein Leutnant, der doch am wenigsten erfahren durfte, was vor sich ging und den Tréville gestern, hoffentlich erfolgreich, vertrieben hatte. Die Musketiere konnten nicht ahnen, wie viel sich tatsächlich noch ändern würde. Vielleicht alles. Vielleicht nichts. Wenn auch nur eine Kleinigkeit nach diesen 'Vorbereitungen', wie es auf dem Zettel geheißen hatte, fehlschlug, trat der erste Fall ein - und die Wahrscheinlichkeit dafür war nicht gering. Genauso unsicher aber war die Zukunft nach einem Erfolg. Sich zurückziehen und abwarten?
„Eine Pistole für Eure Gedanken.“
Tréville drehte sich überrascht vom Fenster weg, der Tür seines Arbeitszimmers zu, vor der kein anderer als Hauptmann des Essarts stand und den Gascogner nun mit einem freundlichen Nicken und einem entschuldigen Lächeln begrüßte. „Verzeiht, dass ich hier so einfach eindringe.“ fuhr des Essarts fort, während er näher trat. „Aber als ich auf dem Weg zum Louvre zufällig in die Rue du Vieux-Colombier einbog, kam ich auch an diesem Hôtel vorbei und wollte die Zeit nutzen, Euch einen guten Tag zu sagen.“
„Ich hatte Anweisung gegeben, mich nicht zu stören.“ erwiderte Tréville schroff. „Wie seid Ihr-“
„Gebt Gaston keine Schuld.“ beschwichtige des Essarts. „Ich habe mich einer kleinen List bedient, um Euren Diener zu überreden, mich hineinzulassen. Er bewältigt seine Aufgabe ansonsten ausgezeichnet. Nicht einmal von einem Schweizer Gardisten, der doppelt so breit war wie er, hat er sich einschüchtern lassen.“
Tréville wischte mit einer ungeduldigen Handbewegung die letzte Bemerkung beiseite. „Eine List, also?“
„Aber ja, werter Schwager: Familienangelegenheiten.“ Der Hauptmann der Gardisten trat neben Tréville ans Fenster, ohne sich von dessen finsterem Gesichtsausdruck weiter beeindrucken zu lassen. Des Essarts blickte hinunter auf die Straße wie sein Schwager zuvor und musterte die vorbeieilenden Menschen. „Wie gesagt:“ sprach er weiter, ohne den Blick von der Rue du Vieux-Colombier zu nehmen. „Ich biete Euch eine Pistole, wenn Ihr mir Eure Gedanken verratet.“
Tréville maß den anderen Offizier abschätzend. „Ihr meint es tatsächlich ernst, nicht wahr?“ Ein spöttisches Lächeln zuckte unvermittelt um seine Mundwinkel. „Eine Pistole ist sicher ein guter Preis, um zu erfahren, dass sich die Mode zu schnell verändert, als das alle sie mitmachen könnten.“
Des Essarts schien einen Moment verblüfft, dann jedoch lachte er auf. „Ich verstehe. Ja, das Gleiche denke ich auch manchmal, wenn ich aus dem Fenster meines Arbeitszimmers schaue. Von hier aus wirkt es allerdings noch ein wenig beeindruckender.“ Wieder warf er einen Blick hinaus und deutete auf einen jungen Mann, der an die Mauer des Nachbarhauses gelehnt stand und scheinbar unbeteiligt döste. „Nehmt diesen Herrn dort unten zum Beispiel. Von der Kleidung her zu urteilen, haben wir es hier mit irgendeinem Provinzler zu tun. Aber wirken diese Stiefel, diese Hose und das Wams nicht zu ungetragen und sauber? Sein gelassenes Verhalten nicht zu vertraut mit Paris? Vielleicht bin ich es, dem die neueste Mode entgangen ist.“
Tréville wusste, worauf sein Schwager hinauswollte, aber er ließ sich nicht auf den scherzenden Tonfall ein. Des Essarts war nicht einfach zufällig zu ihm gekommen und der Gascogner wünschte, der Hauptmann der Gardisten würde es endlich auf den Punkt bringen. „Ich meine, dass Ihr nicht bloß gekommen seid, um Euch mit mir über Kleiderfragen zu unterhalten.“ antwortete Tréville unwirsch und verließ seinen Platz am Fenster, um sich wieder hinter seinen Schreibtisch zu setzen.
„Nein, das bin ich nicht.“ Des Essarts wandte der Straße den Rücken zu und lehnte sich bequem gegen die Fensterbank. „Allerdings müsst Ihr zugeben, dass der Kardinal seine Spione schon geschickter getarnt hat. Oder soll dieser junge Mann dort unten Euch nur von den übrigen Agenten in Eurem Haus ablenken? Es wundert mich sehr, dass Ihr dem so gelassen begegnen könnt. Ich bin nicht der Einzige, der sich fragt, was den Hauptmann der Musketiere in letzter Zeit wirklich beschäftigt.“
„ Mort de tous les diables ! Ihr verschwendet meine Zeit! Werdet deutlicher oder-“ Bevor er den Satz zu Ende führen konnte, wurde die Tür zum Arbeitszimmer aufgestoßen und die Person, die gerade im Begriff war einzutreten, schimpfte hinter sich gewandt: „Gaston, beruhige dich! Mordieux, der Hauptmann wird dir schon nicht den Kopf abreißen!“ Die Tür wurde mit Nachdruck zugezogen und der Neunankömmling trat mit langen Schritten in den Raum und vor den Schreibtisch. Tréville war zu seinem eigenen, heimlichen Erstaunen, nur milde überrascht von dem dreisten Auftritt. Gefährlich ruhig sagte er: „Gaston werde ich nicht den Kopf abreißen, vielleicht aber meinem Leutnant, wenn er nicht eine gute Erklärung für sein Auftreten vorzuweisen hat.“
D'Artagnan, entschlossener Miene, gab sich nicht sehr beeindruckt und zog aus der Manteltasche ein gefaltetes Papier. „Die Wachliste. Ihr schient großen Wert darauf zu legen, dass sie Euch so schnell wie möglich vorgelegt wird.“
Tréville nahm das Schreiben entgegen und legte es ungelesen zur Seite. Doch war dies wohl noch nicht Zeichen genug für d'Artagnan, sich schnellst möglich wieder zu entfernen. Stur hielt der Leutnant dem Blick seines Vorgesetzten stand, bis Tréville mit äußerster Ruhe fragte: „Führt Euch noch ein weiteres Anliegen zu mir?“
Von dem scheinbar freundlichen Ton aus dem Konzept gebracht, zog eine leichte Spur von Verlegenheit über d'Artagnans Gesicht. „Es gibt in der Tat noch etwas, was ich mit Euch zu besprechen hätte.“
„Zur Kenntnis genommen.“ Tréville winkte seinem Leutnant das Arbeitszimmer jetzt schleunigst wieder zu verlassen. Doch d'Artagnan starrte ihn nur völlig entgeistert an und rührte sich kein Stück. In Tréville brodelte neuer Zorn. Er hatte nicht die Geduld, sich neben seinem Schwager, der noch immer am Fenster stand und die Szene schweigend beobachtete, jetzt auch noch mit renitenten Gascognern auseinander zu setzen und bellte schroff: „Verstanden?“
D'Artagnan hatte verstanden, offensichtlich. Doch im Gegensatz zum gestrigen Abend, als der Leutnant nur mit einer steinernen Miene wie eine undurchdringliche Maske vor dem Schreibtisch gestanden und darauf gewartet hatte, dass der Sturm vorüberzog, war aus d'Artagnans Blick nun eindeutig Unmut über die erneute Zurechtweisung abzulesen. Tréville seufzte lautlos. Wieso hatte er es sich auch so einfach ausgemalt, ausgerechnet diesen Leutnant, mit dem Hang dazu in jede nur erdenkliche Intrige arglos hineinzustolpern und alles auf den Kopf zu stellen, für eine gewisse Zeit von sich und seinen persönlichen Angelegenheiten fernzuhalten?
Ein Räuspern beendete das unangenehme Schweigen, das sich zwischen Hauptmann und Leutnant ausgebreitet hatte. D'Artagnan fuhr überrascht herum. Des Essarts am Fenster war offenbar nicht bemerkt worden und Tréville fragte sich, ob der Leutnant durch sein Anliegen, das so dringend besprochen werden musste, derart abgelenkt gewesen war. „Hauptmann des Essarts!“ rief d'Artagnan und salutierte verspätet. „Verzeiht, ich hatte Euch nicht gesehen.“
Essarts winkte freundlich ab und trat ebenfalls an den Schreibtisch heran. „Steht bequem, Leutnant. Im Gegensatz zur feinen Gesellschaft am Hof, die immer einen Dolch im Gewand trägt, erwarte ich nicht von Euch, dass Ihr Augen im Hinterkopf habt.“
„Dennoch habe ich Euer Gespräch unterbrochen.“ beharrte d'Artagnan, sichtlich erleichtert wenigstens einen verständigen Hauptmann im Arbeitszimmer anzutreffen und nicht barsch zurechtgewiesen zu werden. „Ich muss noch die Wachen am Louvre kontrollieren.“
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