Das war es also. Sie hatte vier Jahre bei der Navy geschuftet, davon zwei als Spezialistin im Nachrichtenkorps, danach mit dem speziellen Stipendium für ehemalige Militärangehörige jahrelang tag und nacht Mathematik gebüffelt, war der NSA beigetreten, weil sie sich als Patriotin verstand und die Arbeitsbedingungen sie angesprochen hatten, und hatte sich dreizehn Jahre lang im Puzzlepalast hochgearbeitet, mit sexistischen Kollegen gekämpft, und zusammen mit anderen Mitarbeitern bahnbrechende Methoden aus der Komplexitätstheorie und algebraischen Topologie weiterentwickelt, und das war nun also der eigentliche Grund, weshalb man ihre Expertise haben wollte: ›schwarze Arsch Ebony MILF‹ Was auch sonst?
»Das kann ja wohl nicht ihr Ernst sein ...«
Simmons schien die Sache peinlich zu sein, wahrscheinlich hatte er sich den Anhang davor gar nicht durchgelesen. Price hingegen hatte offensichtlich seinen Spaß und grinste süffisant vor sich hin, wenn auch eifrig darauf bedacht, ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. Nun gut, als Navy-Veteranin hielt sie nicht viel von politischer Korrektheit, und wenn sie ehrlich sein sollte, gefiel ihm seine Reaktion besser als die seines Chefs, der auf verklemmte Weise in die Akten starrte und so tat, als habe er die Stelle immer noch nicht gefunden.
Colonel Lewis sprang für ihn ein, er war ja offiziell ihr Vorgesetzter und fühlte sich daher wohl in die Pflicht gerufen: »Frau Black, ich weiß, wie sie denken. Wir sind nun mal ein Geheimdienst, und das ist mitunter ein schmutziges Business, aber ich möchte betont darauf hinweisen, dass es hier in keinster Weise darum geht, diese ... äh ... Interessen dieses Deutschen auszunutzen. Er hat übrigens, wie sie den Akten entnehmen können, eine feste Freundin, und ich bitte natürlich diese Ausdrücke, die er verwendet, zu entschuldigen. Die Einschätzung der Analytiker ist nur eben, dass sich aus den sexuellen Präferenzen der Zielperson schließen lässt, dass er zumindest kein Rassist oder Nazi ist und –«
Sie unterbrach ihn, um ihm weitere peinliche Erklärungen zu ersparen. »Schon verstanden, das ist kein Problem. Schließlich hat er ja auch nicht gewusst, dass wir alle seine Suchanfragen aufnehmen, oder?«
Colonel Jones kam seinem Kollegen zur Hilfe. »Falls sie das beruhigt, kann ich ihnen versichern, dass Blaus Vorlieben vollkommen im normalen Rahmen und vergleichsweise harmlos sind. Ich will ihnen gar nicht verraten, was wir mitunter sonst so zu sehen bekommen, wenn wir eine Zielperson unter die Lupe nehmen ...«
»Schlimme, schlimme Jungs gibt’s da draußen«, pflichtete ihm Duncan Price mit einem ironischen Grinsen auf dem Gesicht bei, und Veronica war sich sicher, dass er bestens Bescheid wusste, wofür das Kürzel ›MILF‹ stand.
Colonel Lewis räusperte sich verlegen. Für einen Militär war er erstaunlich verhalten, er pflegte mit leiser und etwas monotoner Stimme zu sprechen, was seine Beliebtheit bei seinen Untergebenen im Lauf der Jahre gesteigert hatte. Vor allem verstand er sich darauf, die Bürokratie von der Abteilung fernzuhalten, und sorgte für eine ruhige und konzentrierte Arbeitsatmosphäre, was bei den ständigen Reformen und Veränderungen in der Behörde nicht selbstverständlich war. »Nun, wie dem auch sein mag, sowohl der Direktor der NSA und der Direktor der CIA sind der Meinung, dass in diesem Fall eine gemeinsame Aktion Sinn macht und haben sie genehmigt. Aber unsere Leute sind für solche Operationen nicht ausgebildet, Frau Dr. Black käme nur als externe Beraterin mit und sie ist eine zivile Angestellte. Selbstverständlich ist die Teilnahme freiwillig.«
Chris warf ihr einen Blick zu, aus dem sich leicht lesen ließ, was er von der Idee hielt. Gar nichts. Veronica hingegen war sich nicht so sicher. NSA-Leute waren angehalten, auf Reisen ins Ausland zu verzichten, für viele Länder brauchte man sogar eine Spezialgenehmigung von der Personalabteilung, die ebenfalls für die interne Sicherheit zuständig war. Sie hatte verdammt wenig von der Welt gesehen, war noch nie in Europa oder Asien gewesen, und sie hatte immerhin diesen Deutschkurs belegt, wenn das auch schon ein paar Jahre her war. Eine kostenlose Reise, die nicht länger als ein paar Tage dauerte, kam ihr da gar nicht so übel vor. Und natürlich ging es um eine wichtige Angelegenheit, eine Frage der nationalen Sicherheit. Selbst wenn der Beweis sich als falsch herausstellte, worin sie mit Chris einer Meinung war, konnte es nicht schaden, auf die neue Beweis methode einen Blick zu werfen. Warum sollte sie ihren Kollegen also nicht aushelfen?
»Wann würden wir denn fliegen?«
Simmons zog eine unglückliche Grimasse und gab widerwillig zu: »Heute Abend.«
» Heute Abend schon ?«
Chris kicherte in seinen ergrauten Bart und es hätte sie nicht gewundert, wenn er dem Kollegen von der CIA einen Vogel gezeigt hätte.
»Sie holen das Gepäck von zuhause, wenn sie wollen können wir einen Fahrer vom Sicherheitsdienst mitschicken, und ein Hubschrauber bringt sie um 1630 von der Landeplattform zum Dulles International Flughafen. Dort startet um 1740 eine Linienmaschine von United Airlines nach München. Der Flug dauert 8 Stunden, wir buchen erste Klasse. Morgen geben wir ihnen Zeit, sich auszuruhen, und dann treffen sie sich mit den restlichen Teammitgliedern, die bis dahin längst eingetroffen sind. In zwei, maximal drei Tagen sind sie wieder zurück, und keine Sorge, Agent Price begleitet sie. Er übernimmt die örtliche Leitung und ist in solchen Einsätzen ausgesprochen erfahren. Abgesehen davon geht die Reise ja nach München und nicht nach Kabul. Falls sie zusagen ...«
»Das ist sehr knapp«, murmelte sie unentschlossen.
»Frau Dr. Black, uns ist klar, wie ungewöhnlich diese Zusammenarbeit ist, aber die Zeit drängt. Wie ich bereits erwähnt habe, es besteht die Gefahr, dass die Russen Alexei Lehmann gekidnappt haben und jetzt bei seinem Freund eingebrochen sind, um eine Kopie des Plans zu bekommen. Falls sie die schon gefunden haben, dann sind wir sowieso zu spät dran, und sie können wieder nach Hause fliegen. Aber wir sollten auf jeden Fall versuchen, so schnell wie möglich mit diesem Blau oder mit Alexei Lehmann selbst Kontakt aufzunehmen und wären um ihre Hilfe wirklich sehr dankbar.« Special Agent Simmons warf einen Blick auf die Uhr an der Wand des Konferenzraums, die wie eine klassische Bahnhofsuhr aussah und präzise nach einer Atomuhr lief. Dafür sorgten die Wartungstechniker rund um die Uhr, schließlich wollte man nicht, dass eine Planung schiefging, weil eine Batterie leer war.
»Die Sache eilt, aber sie müssen sich nicht gleich entscheiden. Wir ziehen uns zurück, sie beraten sich, und sagen uns innerhalb der nächsten Stunde Bescheid. Von uns aus ist schon alles vorbereitet.«
Die beiden CIA-Leute packten ihre Dokumente ein, verabschiedeten sich, und verließen den Raum. Vor der Tür wartete eine Begleiteskorte, weil sie selbst mit Extragenehmigung nicht allein durch die Gänge des Hauptgebäudes strolchen durften.
Als sie weg waren, wollte Chris etwas einwenden, doch Colonel Lewis unterbrach ihn mit einer Handgeste. »Frau Dr. Black, sie müssen nicht mitkommen, die Teilnahme ist wirklich rein freiwillig, und keiner nimmt es ihnen übel, wenn sie nicht zusagen. Diese Operation scheint mir ja auch sehr improvisiert zu sein.«
Chris Harris schüttelte den Kopf und pfefferte demonstrativ die schmale Akte auf den Tisch, die er bisher konzentriert studiert hatte, wie jedes Dokument, das man ihm in die Hand drückte. »Frank, das ist doch Wahnsinn! Wir sind Mathematiker von der Forschungsabteilung. Wir brauchen Veronica in der Komplexitätsgruppe und haben bei der Algebraisierung von ›Kuznyechik‹ hervorragende Fortschritte gemacht.[Fußnote 2] Frank, wir sind dabei, endgültig ihre zivilen Chiffren zu knacken!«
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