David Steindl-Rast
Schlüsselworte
für ein erfülltes Leben
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
© 2021 Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck (A)
Lektorat: Klaus Gasperi, Zwischenwasser (A)
Gestaltung: Grafik Caldonazzi |
Atelier für visuelle Kommunikation, Frastanz (A)
Druck und Bindung: Finidr (ZC)
ISBN 978-3-7022-3992-3 (gedrucktes Buch)
ISBN 978-3-7022-3993-0 (E-Book)
E-Mail: buchverlag@tyrolia.at
Internet: www.tyrolia-verlag.at
Dieses Buch ist jungen Menschen gewidmet
und allen, die jung genug bleiben,
um sich immer wieder mit offenem Herzen
den weitesten Horizonten zuzuwenden.
Vorbemerkungen
Teil 1 | Orientierungsschritte – anhand von 21 Schlüsselworten
Auf der Suche nach einem Gesamtbild
Der erste Schritt – Orientierung
Das Ich – mein Dasein als Geschenk
Das Selbst – mein ureigenstes Wesen
Das Ego – wenn das Ich das Selbst vergisst
Immer Du – denn alles Leben ist Beziehung
Das Es – in allem den Zauber des Daseins entdecken
Das System – die Macht, die Leben zerstört
Geheimnis – wenn uns die Wirklichkeit „ergreift“
Das Leben – Ort der Begegnung mit dem Geheimnis
Gott – das geheimnisvolle „Mehr-und-immer-mehr“
Religiosität – was uns verbindet und heilt
Religionen – verschiedene Sprachen für das Unaussprechliche
Vertrauen – unsere Antwort auf Angst
Innen / Außen – zwei Aspekte der einen Wirklichkeit
Verinnerlichung – eine Lebensaufgabe
Das Jetzt – im Schnittpunkt von Zeit und Ewigkeit
Entscheidung – was will das Leben jetzt von mir?
Berufung – „folge deinem Stern!“
Stop – Look – Go – sich einüben in den Fließweg des Lebens
Dankbarkeit – ein Weg zur Fülle
Teil 2 | Orientierungspunkte
Das ABC der Schlüsselworte
Register
Autorenvita
I want to know what this whole show is all about, before it’s out .
Wüsst’ ich nur jetzt, um was zuletzt sich alles dreht, bevor’s vergeht!
Piet Hein (1905–1996)
Jetzt, mitten in meinen 90er-Jahren, frage ich meinen Freund Thomas, der in seinen 20ern ist: „Wie steht’s da eigentlich mit jungen Leuten heute? Wollt auch ihr so leidenschaftlich wie Piet Hein und ich wissen, worum sich letztlich alles dreht?“ „Ja“, sagt er, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, „diese Frage beschäftigt auch uns immerfort !“ Tommys Antwort hat mich letztlich dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben. Ich möchte versuchen, die wichtigsten Orientierungspunkte zu markieren, die ich im Laufe meines Lebens finden konnte. Denn: Wollen wir unsren Platz im Ganzen finden, dann müssen wir auf die dynamische Vernetzung von allem mit allem schauen. Das kann uns dann auch unsre persönliche Aufgabe im weitesten Zusammenhang erkennen lassen.
Nachschlagewerk und Sachbuch zur Selbsthilfe sind hier in eins verschmolzen. Der fortlaufende Text kann als Inspiration gelten für alle, die Orientierung suchen. Und das sind in unsrer verworrenen Zeit viele Menschen. Dieser erste, längere Teil des Buches reiht zugleich die wichtigsten Schlüsselworte ihrer inneren Ordnung entsprechend aneinander. Er beruft sich immer wieder auf die persönliche Erfahrung der Leser/innen, unterstützt deren eigenständige Erwägungen und legt hilfreiche Einsichten und Lebenshaltungen nahe. Auch die zweite Hälfte des Buches werden wohl viele zur Gänze lesen wollen, besonders alle für unsre Sprache Begeisterten und alle, denen es einfach Freude macht, sich klar auszudrücken. Sie werden hier wichtige, leider oft vernachlässigte Unterscheidungen kennenlernen. Dieser Teil des Buches kann aber auch als Nachschlagewerk befragt werden, etwa von Lehrberufenen, die nach klaren Definitionen suchen. Auch Studiengruppen und Lesekreise, die nicht aneinander vorbeireden wollen, sondern sich um eindeutige Begriffe bemühen, werden hier ein Handbuch finden, das ca. 100 Grundbegriffe zur spirituellen Orientierung kurz erläutert. Ein Netzwerk von Querverweisen mit * verbindet die beiden Teile und erleichtert das Verständnis, indem es auf ergänzende Erläuterungen im zweiten Teil verweist. Auch nach dem Lesen werden wohl viele dieses Schlüsselwörterbuch als Ratgeber zu spirituellen Fragen auf ihrem Regal griffbereit halten wollen.
Mein Dank gebührt den unzähligen Helfern, die dieses Buch ermöglicht haben. Ich kann hier nur wenige nennen: Gottfried Kompatscher und alle Mitarbeiter/innen im Tyrolia Verlag, meinen Lektor Klaus Gasperi, Brigitte Kwizda-Gredler, Reinhard und Mia Nesper, Rosemarie Primault und Mario Quintana, dessen Denkanstöße und praktische Mithilfe ihn beinahe zum Mitverfasser machen. Auch vor meiner getreuen Assistentin Ingrid Oswald und vor allen ungenannten Helfern verneige ich mich in tiefer Dankbarkeit.
Ostern 2021, Güelta de Areco, Azcuénaga, Argentinien
Bruder David Steindl-Rast OSB
TEIL 1
AUF DER SUCHE NACH EINEM GESAMTBILD
Mein ganzes Leben lang wollte ich vor allem wissen, wie alles mit allem zusammenhängt. Was mich brennend interessiert, ist das Gesamtbild – die Frage nach dem äußersten Horizont, die Frage, worum es letztlich geht. Ist der Versuch, ein Gesamtbild mit weniger als hundert Schlüsselwörtern zu erreichen, ein allzu verwegenes Unterfangen? Jedenfalls scheint es mir der Mühe wert. Aufs Versuchen allein kommt ja alles an. Das Gelingen steht nicht in unsrer Hand.
Der nächstliegende Einwand wird wohl dieser sein: Wie kannst du hoffen, die Orientierungskarte einer sich ständig ändernden Welt zu zeichnen? Karte ist aber ein zu statisches Bild für das, was wir darzustellen versuchen. Es geht wohl eher um ein Verständnis der Choreografie des Ganzen, dessen wichtigste Merkmale Bewegung und Veränderung sind. Wenn wir uns tief einfühlen, dann bemerken wir, dass zum Gesamtbild nicht nur verändernde Bewegung gehört, sondern auch ruhendes Bleiben. Beides muss unser Sinnbild der Wirklichkeit*ausdrücken können, Bewegung und Ruhe*. Da bietet sich das Bild eines Reigens an, der ohne Anfang und Ende in sich ruht, während er sich doch unaufhörlich bewegt.
Wir tanzen nicht, um irgendwo anzukommen. Tanzen bezweckt nichts. Es ist zweckfrei, aber sinnvoll. Und doch zielen wir beim Tanzen auf etwas ab: Wir wollen der Musik den bestmöglichen Ausdruck verleihen und perfekt im Schritt sein, jetzt und jetzt und jetzt. Beim Tanz dreht sich alles um die Gelegenheit*, Augenblick*für Augenblick im Schritt zu sein mit denen, die uns am nächsten stehen im Kreis, und durch sie mit allen Tänzern in eine Wechselwirkung zu treten. Das Ziel ist, völlig eins zu werden mit Rhythmus“ und Harmonie des Tanzes. Tanz aber ist hier Sinnbild für Wandel und den Gang des ganzen Universums.
Vergiss das Sinnbild des Reigentanzes nicht! Es sollte aufleuchten, sooft es um das Gesamtbild geht, und als Hintergrund dienen für alle Erwägungen, auf die wir uns in diesem Buch einlassen werden. Ringelreigen kennen zwar auch jetzt noch alle vom Kindergarten her, aber der Rundtanz für Erwachsene ist schon fast verlorengegangen. Es freut mich, dass junge Menschen heute diese Urform des Tanzens wiederentdecken.
Kreis und Ring sind unerschöpfliche Sinnbilder für das kosmische Ganze – von den vorgeschichtlichen Steinkreisen bis zum Ensō in der japanischen Kalligraphie. Oft werden wir sehen, dass es Dichter sind, die uns besonders gut den tieferen Sinn von Wort und Bild erschließen können. Das gilt auch für den Reigentanz. Dabei ist es bedeutsam, dass wir als bloße Zuschauer das Wichtigste nicht sehen können. Von außerhalb des Kreises gesehen, muss es uns immer so erscheinen, als ob die uns Fernsten in die entgegengesetzte Richtung jener gehen, die uns am nächsten sind. Erst wenn wir selber in den Kreis eintreten, links und rechts unsre Partner bei den Händen fassen und mittanzen, wird uns klar, dass alle sich in der gleichen Richtung bewegen.
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