Erich Kästner
Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke
Gedichte für den Hausbedarf der Leser. Nebst einem Vorwort und einer nutzbringenden Gebrauchsanweisung samt Register
Erich Kästners Werke erscheinen im Atrium Verlag in ihrer originalen Textgestalt. Die Sprache hat sich im Lauf der Jahrzehnte gewandelt, manche Begriffe werden nicht mehr oder anders verwendet. Von minimalen Eingriffen abgesehen, wurde aus urheberrechtlichen Gründen darauf verzichtet, Kästners Sprache – die eines aufgeklärten Moralisten und Satirikers – dem heutigen Sprachgebrauch anzupassen.
© Atrium Verlag AG, Zürich, 2021
Alle Rechte vorbehalten
Erstveröffentlichung:
Atrium Verlag AG, Zürich, 1936
Covergestaltung: Annemike Werth, Hamburg, unter Verwendung der Originalzeichnung von Walter Trier
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
ISBN 978-3-03792-017-6
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Der Plan, unter meinen Gedichten, den schon und den noch nicht veröffentlichten, eine Auswahl zu treffen und in handlichem Format vorzulegen, ist beträchtlich älter als dieser Band, der jenen Plan verwirklicht. Es war seit jeher mein Bestreben, seelisch verwendbare Strophen zu schreiben. Im Widerspruch mit dem eigenen Bedürfnis enthielt ich mich regelmäßig jeder Publikation, die nichts weiter gewesen wäre als die Bekanntgabe persönlicher Stimmungen und Einsichten. Und seit Jahren schwebte mir, wie bereits erwähnt, diese »Lyrische Hausapotheke« vor. Ein der Therapie dienendes Taschenbuch. Ein Nachschlagewerk, das der Behandlung des durchschnittlichen Innenlebens gewidmet ist. Wer Kopfweh hat, nimmt Pyramidon. Wer an Magendrücken leidet, schluckt doppeltkohlensaures Natron. Bei Halsschmerzen gurgelt er mit Wasserstoffsuperoxyd. Und in dem Schränkchen, das Hausapotheke heißt, halten sich, dem Menschen zu helfen, überdies Baldrian, Leukoplast, Choleratropfen, Borsalbe, Pfefferminztee, Mullbinden, Jodtinktur und Sublimatlösung in Alarmbereitschaft. Aber manchmal helfen keine Pillen. Denn was soll einer einnehmen, den die trostlose Einsamkeit des möblierten Zimmers quält oder die nasskalten, nebelgrauen Herbstabende! Zu welchen Rezepten soll der greifen, den der Würgeengel der Eifersucht gepackt hat? Womit soll ein Lebensüberdrüssiger gurgeln? Was nützen dem, dessen Ehe zerbricht, lauwarme Umschläge? Was soll er mit einem Heizkissen anfangen? Die Einsamkeit, die Enttäuschung und das übrige Herzeleid zu lindern, braucht es andere Medikamente. Einige davon heißen: Humor, Zorn, Gleichgültigkeit, Ironie, Kontemplation und Übertreibung. Es sind Antitoxine. Doch welcher Arzt verschriebe sie, und welcher Provisor könnte sie in Flaschen füllen?
Der vorliegende Band ist der Therapie des Privatlebens gewidmet. Er richtet sich, zumeist in homöopathischer Dosierung, gegen die kleinen und großen Schwierigkeiten der Existenz. Er betrifft die Pharmazie der Seele und heißt zu Recht »Hausapotheke«. (Hinsichtlich der Homöopathie wäre noch zu bemerken, dass es zweckvoller ist, mit einem Pfeil ins Schwarze als mit einer Granate ins Blaue zu treffen.)
Eine Arzneiflasche ohne Etikett ist – auch das darf nicht unerwähnt bleiben – ebenso unnütz wie ein Etikett ohne Arzneiflasche. Und welchen Sinn hätte der gesamte Inhalt einer Hausapotheke ohne Gebrauchsanweisung und ohne Etiketts? Nicht den geringsten Sinn! Die Hausapotheke würde zum Giftschrank!
Aus dieser Überlegung heraus stellte ich ein Schlagwortregister zusammen. Es folgt der Einleitung, und der Leser soll es benutzen, so oft er Störungen seines Innenlebens mindern oder beheben will. Der Katalog ist, obwohl er von A bis Z reicht, unvollständig. Es gibt zu viele Anlässe, mit sich selber und anderen zu hadern, als dass man dergleichen auf wenigen Seiten übersichtlich und erschöpfend rubrizieren könnte.
Immerhin: Mit Hilfe des Registers werden sich die gereimten Rezepte und Hausmittel in so manchem Fall bewähren können. Stecken Sie das Taschenbuch in die Tasche! Und ziehen Sie’s hervor, wenn Not am Mann ist! Es tut wohl, den eigenen Kummer von einem andren Menschen formulieren zu lassen. Formulierung ist heilsam.
Es ist zudem bekömmlich, zu erfahren, dass es anderen nicht anders und nicht besser geht als uns selber. Es beruhigt aber auch zuweilen, das gerade Gegenteil dessen, was man empfindet, nachzufühlen. Die Formulierung, die Verallgemeinerung, die Antithese, die Parodie und die übrigen Variationen der Maßstäbe und der Empfindungsgrade, alles das sind bewährte Heilmethoden. Und in der folgenden Gebrauchsanweisung werden sie samt und sonders beansprucht und diszipliniert. Die Katharsis ist älter als ihr Entdecker und nützlicher als ihre Interpreten. Die »Lyrische Hausapotheke« möge ihren Zweck erfüllen! Also, man nehme!
mit einem Register, das von A bis Z reicht
Man lese,
wenn das Alter traurig stimmt:
27, 59, 63, 93, 154, 171, 186, 206;
wenn man der Armut begegnet:
45, 57, 61, 70, 92, 139, 151;
wenn die Besserwisser ausgeredet haben:
37, 79, 107, 189, 201;
wenn man das Dasein überschaut:
19, 24, 31, 59, 114, 132;
wenn die Ehe kaputtgeht:
49, 128, 145, 162, 183;
wenn man die Einsamkeit schwer erträgt:
21, 33, 39, 66, 85, 106, 160, 175, 187;
wenn man Erziehung nötig hat:
35, 58, 116, 141, 148, 164;
wenn man zur Faulheit neigt:
119, 134, 181;
wenn vom Fortschritt die Rede war:
35, 37, 74, 107, 165, 201, 203;
wenn man in der Fremde hockt:
39, 53, 95, 134, 177, 197;
wenn der Frühling im Anzug ist:
72, 115, 123, 170, 191;
wenn man an Gefühlsanämie leidet:
21, 22, 44, 100, 112, 117, 156;
wenn man wenig Geld hat:
24, 29, 36, 61, 70, 205;
wenn das Glück zu spät kommt:
59, 87;
wenn uns die Großstadt zum Hals heraushängt:
39, 46, 68, 116, 130, 181;
wenn man an Heimweh leidet:
53, 110, 121, 137;
wenn es Herbst geworden ist:
116, 136, 187;
wenn man an die Jugend denkt:
23, 32, 88, 93, 100, 132, 171, 195;
wenn man Kinder sieht:
23, 65, 78, 139, 145, 206;
wenn Krankheiten quälen:
47, 92, 110, 156;
wenn man zu wenig von Kunst versteht:
51, 62, 77, 165, 186;
wenn der Lebensüberdruss regiert:
22, 27, 42, 153, 168, 179;
wenn die Liebe entzweiging:
21, 28, 44, 49, 64, 80, 87, 112, 117, 125, 190;
wenn man etwa ein junges Mädchen ist:
28, 64, 102, 108, 117, 130, 141;
wenn man an die Mutter denkt:
95, 121, 137, 154, 173, 179, 197;
wenn man die Natur vergessen hat:
46, 82, 90, 143, 166, 170;
wenn sich Probleme melden:
19, 31, 35, 55, 79, 107, 114, 162, 203, 207;
wenn man auf Reisen geht:
53, 65, 82, 90, 99, 108, 127, 143, 173;
wenn das Selbstvertrauen wackelt:
33, 58, 66, 80, 147, 153;
wenn man vom Schlaf Trost erwartet:
149;
wenn man Träume gehabt hat:
33, 100, 158, 183;
wenn man Unrecht tut oder duldet:
179, 183;
wenn schlechtes Wetter ist:
115, 116, 187, 191, 199;
wenn der Winter dräut:
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