THEMA
Fragmente einer Theologie kirchlicher Leitung
Von Regina Polak
Interaktive Wertschätzung – Kirche innovationsgerichtet führen
Von Florian Sobetzko
Warum eigentlich?
Die Replik von Regina Polak auf Florian Sobetzko
Theologieferne der Praktiker oder Praxisferne der Theologie?
Die Replik von Florian Sobetzko auf Regina Polak
Bischof und Kirchenvolk – enttäuschte Liebe?
Von Wilhelm Damberg
PROJEKT
Die Führungsakademie für Kirche und Diakonie
Von Peter Burkowski
INTERVIEW
Der Führungsbedarf innerhalb der katholischen Kirche wird öffentlich wahrgenommen
Ein Gespräch mit Judith Hahn
PRAXIS
Coaching von Führungskräften in katholischen Spitzenpositionen:
Was ist anders als in der Wirtschaft?
Von Michael Kempf
Neue Modelle der Leitungsverantwortung von Laien
Von Daniela Engelhard
Was macht eine Leitung zu einer Geistlichen Leitung?
Von Christine Rod MC
Kirche und Management – Ein Kommentar aus betriebswirtschaftlicher Perspektive
Von Bernd Halfar
Im Pfarrhaus brennt das Licht
Von Elmar Maria Morein
FORUM
Wider die Musealisierung der Liturgie
Von Erich Garhammer
POPKULTURBEUTEL
Endlich Ordnung
Von Bernhard Spielberg
NACHLESE
Glosse von Wolfgang Frühwald
Impressum
Buchbesprechung
Matthias Sellmann Mitglied der Schriftleitung
Liebe Leserin, lieber Leser,
viel Fantasie braucht man nicht, und OrganisationsentwicklerIn muss man auch nicht sein, um sagen zu können: die einzelnen Verantwortlichen der Kirchen stehen auf allen Ebenen in einer immer größeren Führungsverantwortung. Immer weitreichendere Entscheidungen sind zu fällen – und dies in immer mehr Domänen, für die man als Theologin und Theologe nun wirklich nicht ausgebildet ist. Die Schlagworte lauten: Liquiditätskontrolle, Immobilienmanagement, Raumplanung, Mitarbeiterentwicklung, Gremiensteuerung, Prozess-Optimierung, Konfliktmediation.
Für die Einen sind das eben jene Vokabeln, mit denen man Kirche in das genaue Gegenteil ihrer seelsorglichen Bestimmung navigiert: statt über Strukturen solle man wieder über Inhalte reden. Für die Anderen beginnt nun endlich die Zeit, in der kirchliche Verwaltung und kirchliche Führung professionelle Standards bekommt.
Um es vorweg zu sagen: es ist nicht die Intention dieses Heftes, diese Polarität aufzulösen oder sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen. Das zeigt schon die deutliche Kontroverse zwischen Regina Polak und Florian Sobetzko. Es wird außerdem dadurch dokumentiert, dass wir sowohl theologische als auch betriebswirtschaftliche Stimmen zu Wort kommen lassen – wobei mit der Nennung der Disziplinen noch nichts darüber ausgesagt ist, wer welchen Pol der Debatte stark macht.
Nein, die Intention ist es, Sie in die Debatte mit hineinzuziehen. Hierzu bieten wir Ihnen: einen Besuch in der Führungsakademie der Evangelischen Kirche in Deutschland, kreative kirchenrechtliche Optionen zum „Leitenden Pfarrer“, eine historische Analyse zu der faktischen Unmöglichkeit, heute Bischof zu sein, Einblicke in das Coaching von Spitzenkräften sowie Erfahrungen aus einer Bistumsleitung, der ökonomischen Beratungspraxis und einem Medienprojekt.
Was ist der Unterschied zwischen einem Manager und einem Leader? Manager tun die Dinge richtig, Leader tun die richtigen Dinge.
Ihr
Prof. Dr. Matthias Sellmann, Mitglied der Schriftleitung
Fragmente einer Theologie kirchlicher Leitung
„Ich will nicht über euch herrschen, und auch mein Sohn soll nicht über euch herrschen; JHWH soll über euch herrschen“ (Ri 8,23). So reagiert Gideon auf das Ansinnen der Israeliten, Israels König zu werden. Nicht Menschen sollen über Menschen herrschen. Dieses Recht ist allein Gott vorbehalten. Aus der Sicht Gideons droht die Annahme der Königswürde die Rettung zu verdunkeln, die Israel JHWH verdankt. Die königskritischen Stellen ( Vanoni/Heininger , 19) entstammen der noch frischen Befreiungserfahrung jener Sklaven, die dem Joch ägyptischen Pharaonentums und mesopotamischer Stadtstaatenkönige entkommen sind und neue Formen des Zusammenlebens erproben – aus ihrer Sicht all dies mit Gottes Hilfe (vgl. Lohfink , 71–102). So reagiert auch Samuel skeptisch, als das Volk einen König verlangt: Samuel missfiel es, dass sie sagten: „Gib uns einen König, der uns regieren soll“ (1 Sam 8,6). Für Samuel steht die Einführung des Königtums im Widerstreit zur Königsherrschaft Gottes. Regina Polak
Dem deuteronomischen Königsgesetz (Dtn 17,14–20) steht auch ein herrschaftskritischer Strang gegenüber, der die Ausübung königlicher Macht ablehnt. Man kann das Alte Testament lesen als eine spannungsreiche Lerngeschichte im Umgang mit Macht. Auch das Leben und Sterben des Jesus von Nazareth zeugen von der Brisanz dieser Thematik. Es sind die Macht-Eliten, die seinen Tod verantworten. Seine Botschaft vom Reich Gottes beschreibt eine Form menschlichen Zusammenlebens, in der die soziokulturellen, ökonomischen und politischen Machtlogiken auf den Kopf gestellt werden; Qualitätsmaßstab menschlicher Gemeinschaft ist die Lebenssituation der Machtlosen: der Armen, Fremden und Marginalisierten; der Kinder und Kranken. Herrschende werden zum Dienen aufgefordert (Mk 10,43–45), ein Kennzeichen der Anhänger des Königs, dessen Reich nicht von dieser Welt ist (Joh 18,36). Dieser stirbt einen ohnmächtigen Tod am Kreuz. Die Auferstehung bildet den Höhepunkt jener paradoxalen Logik, die die Gestalt des Jesus von Nazareth bezeugt: die Macht der Ohnmacht.
Diese biblischen Erinnerungen bestimmen meine fragmentarischen Überlegungen zu einer Theologie der Leitung. Ohne sich mit Macht bewusst auseinanderzusetzen, drohen reale Machtverhältnisse verschleiert oder spirituell überhöht zu werden – gerade dann, wenn sich die Kirchenleitung als demütige Dienerin ihrer Gläubigen präsentiert. Aus theologischer Sicht ist
Macht zunächst eine Gabe: man denke an Moses, dem die Macht verliehen wird, sein Volk aus der Sklaverei zu führen; oder an Jesus, der seinen Jüngern die Macht verleiht, unreine Geister auszutreiben und Krankheiten sowie Leiden zu heilen (Mt 10,1). Macht bezeichnet hier jene Handlungsmöglichkeiten, die jemandem kraft seiner Fähigkeiten, Ressourcen und (amtlichen) Zuständigkeiten zur Verfügung stehen und mittels derer er/sie auf andere Menschen Einfluss nehmen kann. Gott lässt Menschen teilhaben an seiner Macht, damit diese sich an seiner Schöpfungs- und Heilsgeschichte beteiligen können. Diese Macht dient dem Schutz, der Bewahrung und Förderung des Lebens. Sie vollzieht sich als schöpferische Liebe, sie verwirklicht sich im Einsatz für Gerechtigkeit (vgl. Tillich 1991 [1954]). In den Händen von Menschen verkehrt sich diese Gabe jedoch immer wieder in Herrschaft und Gewalt über andere Menschen.
Das Bewusstsein um den zwiespältigen Charakter von Macht bildet daher ein Herzstück jeder Theologie der Leitung. Leitung dient dazu, die Angelegenheiten und Aufgaben, die alle betreffen, gestalten und erfüllen zu können. Dazu bedarf es auch institutionalisierter Macht und Personen, denen diese anvertraut wird. Zugleich bilden die Erfahrungen mit dem Scheitern menschlicher Macht und ihrer Opfer wie die biblischen Erinnerungen ein unverzichtbares Korrektiv und eröffnen eine theologische (Selbst)Kritik im Umgang mit Macht: alle menschliche Macht ist begrenzt und verliehen und Gott ist der Herr der Geschichte.
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