THEMA
Poesie und Theologie
Von Bernhard Fresacher
Predigt als Resonanz-Geschehen
Von Klaus Müller
Reden, Resonanz und Risiko, oder: Von der Lust am Predigen
Von Michael Meyer-Blanck
Lokale Europäische Theologie
Von Robert Plum
Bad Vibrations?
Kirchengeschichte und ihre Resonanz(en) Von Christian Handschuh
Mystische Beunruhigung und kirchlicher Status quo
Über eine Episode in Jon Fosses Roman „Melancholie“
Von Hans-Rüdiger Schwab
Hoffnungsimpulse
Wiederbegegnungen mit Gedichten von Reiner Kunze
Von Josef Meyer zu Schlochtern
RESONANZ
Thomas Hürlimann
Reiner Kunze
Andreas Maier
Petra Morsbach
Hanns-Josef Ortheil
SAID
FUNDORTE
„Alles im Leben ist eine Brücke…“
Von P. Rockson Chullickal OCD
Es muss erzählt werden
Zur Resonanzpflicht von Kirche und Gesellschaft
Von Michael Lohausen
Resonanzraumüberlagerungen
Von Ursula Roth
Regensburger Resonanz, oder: „Bitte Abstand halten“
Von Christine Schrappe
Der christlich-jüdische Dialog – ein Theologie und Kirche herausfordernder Resonanzort
Von Heinz-Günther Schöttler
Lusen
Von Volker Sehy
Auf dem spätmodernen Areopag
Von Jörg Seip
Sterne, die nicht bleichen (Rilke), oder: Ganz gewöhnliche Heilige
Von Matthias Sellmann
Das Kreuz mit dem Krebs
Von Bernhard Spielberg
An Evening with David Sedaris
Von Hildegard Wustmans
FORUM
Vom „Notnagel“ zur geschätzten Mitarbeiterin und „Frau Pastor“
Von Martin Ostermann
POPKULTURBEUTEL
Aufgeladen werden
Von Matthias Sellmann
NACHLESE
Glosse von Annette Schavan
Hinweise zu den Schriftstellern und Lesetipps
Buchbesprechungen
Impressum
Prof. Dr. Jörg Seip
Liebe Leserin, lieber Leser,
wann sind Sie zuletzt ins pralle Leben eingetaucht? Vielleicht bei einem Spaziergang unter blühenden Kirschbäumen, beim Meistern einer kniffeligen Aufgabe oder auf den letzten, kernigen Kilometern der Laufstrecke? Solche Momente sind kostbar. Es sind Momente der Resonanz – so nennt der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa diese intensiven Erfahrungen des Verwobenseins mit der Welt. Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung. Das ist der erste Satz und die pointierte These seines gerade erschienenen Buches „Resonanz“. Es sei eben nicht die Menge an Ressourcen und Optionen, die die Qualität eines menschlichen Lebens bestimme, sondern die Liebe zu den Menschen, Ideen oder Werkzeugen, mit denen wir zu tun haben. Wie eine Stimmgabel, die angeschlagen wird, eine zweite in deren eigener Frequenz in Schwingung versetzt, so berühren sich in Resonanzbeziehungen Subjekt und Welt – und lassen den jeweils anderen mit dessen eigener Stimme sprechen.
JProf. Dr. Bernhard Spielberg
Pastoral … ist die Kunst, durch die eigene Anwesenheit den anderen in seiner Einmaligkeit zum Vorschein zu bringen. (Christoph Theobald) Einer, der sich auf diese Kunst versteht, ist Erich Garhammer. Er steht als Pastoraltheologe und Schriftleiter dieser Zeitschrift für eine Theologie, die nicht räsoniert, sondern „resonniert“. Zu seinem 65. Geburtstag, den er in diesem Monat feiert, widmen wir ihm dieses Heft. Es öffnet Resonanzräume. So kommen neben profilierten Theologen aus unterschiedlichen Disziplinen die Stimmen derjenigen zum Klingen, die er auf ihrem akademischen Weg begleitet hat. Sie erzählen von Orten, an denen sie das pralle Leben spüren.
Wohltuende Unterbrechungen sind sechs Resonanzen bekannter Schriftsteller. Informationen zu den Literaten sowie Inspirationen zum Weiterlesen finden Sie ab S. 152. Davor steht die Glosse von Annette Schavan, die in dieser Ausgabe zum ersten Mal von Rom aus auf Welt und Kirche blickt. Unser Dank gilt Wolfgang Frühwald, der diese Rubrik in den vergangenen Jahren mit Leben füllte. Schließlich erinnern wir an dieser Stelle dankbar an Prof. Dr. Werner Rück, der am 14. Januar in Freiburg verstorben ist. Von 1975–2003 hat er mit großem Engagement die Lebendige Seelsorge als Hauptschriftleiter geprägt.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!
|
|
Prof. Dr. Jörg Seip |
JProf. Dr. Bernhard Spielberg |
Poesie und Theologie
Die Resonanzmetaphorik des Zweiten Vatikanischen Konzils
Das Wort ist ein zerbrechliches Gut; es verhallt mit der Stimme; es verschwindet zwischen den Seiten. Es verlangt Aufmerksamkeit; es will bemerkt, verstanden, interpretiert werden; es erfordert Mühe, um ihm Sinn und Bedeutung abzugewinnen; es ist auf Resonanz angewiesen. Literaten wissen das. Mit jeder Veröffentlichung begeben sie sich in das unsichere Gelände des Verstehens: Wird das Werk eine Leserschaft finden? Was wird sie daraus machen? Zuvor noch: Welcher Verlag wird sich davon überzeugen lassen, damit ins Geschäft zu kommen? Bernhard Fresacher
Von der Poesie kann die Theologie eine „Sprachsensibilität“ und eine „Resonanz-fähigkeit“ lernen, auf die sie für ihre Sache angewiesen ist. Dieser Einsicht sind Erich Garhammers Arbeiten zu Texten zeitgenössischer deutschsprachiger Schriftstellerinnen und Schriftsteller gewidmet, mit denen er persönlich im Gespräch ist. Sie legen ein Lernen nahe, nicht ohne im selben Atemzug vor Vereinnahmung zu warnen: Von der Poesie profitiert, wer ihre Autonomie respektiert.
In diesem Sinn war auch das Literaturprojekt zum Konzilsjubiläum „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ 2015 in München von ihm kuratiert: Literaten können helfen, Resonanzräume zu erschließen, in denen die Gefühle und Erlebnisse von Menschen Widerhall finden. Das Zweite Vatikanische Konzil schreibt diesem Vorgang Offenbarungsqualität zu. Es geht um die Resonanz des Wortes Gottes in der Welt.
FRAGILITÄT DES WORTES
Den Dreh- und Angelpunkt bildet die eigentümliche Fragilität des Wortes. Wer spricht oder schreibt, hat nicht in der Hand, was daraus wird. Mit dieser Ohnmacht geht eine Macht einher, mit der Wehrlosigkeit eine performative Kraft. Vielleicht liegt genau darin die Faszination der literarischen Sprachkunst. Das zerbrechlichste Wort kann sich zur gewaltigsten Macht auswachsen: in der Resonanz, die es gewinnt. Warum wird das eine Wort beachtet und das andere nicht? Warum wird es so verstanden und nicht anders? Worin liegt das Geheimnis seiner Wirksamkeit? Diese Fragen berühren die Theologie in ihrem Kern. Denn der christliche Glaube verlässt sich von Anfang an auf das Medium des Wortes. Es ist sein Gründungsmedium; in ihm findet er seine Form, in der Vielfalt der Traditionen, der Kirchen, der kirchlichen Gemeinschaften und der individuellen Biografien. Dieses Prinzip teilt das Christentum mit seinen monotheistischen Geschwistern. Sie beruhen auf den Kulturtechniken des Lesens und des Schreibens; sie setzen Alphabetisierung voraus. Alles, auch das gesprochene Wort, wird auf das Geschriebene bezogen. Der Vorgang der Verkündigung des Evangeliums bewegt sich unentwegt auf dem schwankenden Boden des Verstehens, auf dem das Wort seine Wirkung entfaltet.
Читать дальше