INHALT
THEMA
Die Wahrheit im und am Krankenbett
Angst und Hoffnung teilenVon Ernst Engelke
Sterben ohne Angst – wie geht das?
Von Claudia Bausewein
Die Lebens- und Sterbenswirklichkeit wahrnehmen
Die Replik von Ernst Engelke auf Claudia Bausewein
Auch die Zeit des Sterbens kann Quelle der Hoffnung sein
Die Replik von Claudia Bausewein auf Ernst Engelke
„Sterbegröße“. Wie Literaten auf das Sterben blicken
Von Erich Garhammer PROJEKT
Professionspolitische Konkurrenz am Sterbebett
Die Frage des „würdigen“ Sterbens im 19. Jahrhundert Von Karen Nolte
INTERVIEW
Hebammendienst zur zweiten Geburt
Ein Gespräch mit Gottfried Amendt
PRAXIS
Die Würde des Sterbens auf der Palliativstation
Von Susanne Röder
Sterben in Würde aus Sicht der SAPV
Von Elisabeth Köhler
Zwischen Herausforderung und Gewöhnung: die Sicht einer Krankenschwester
Von Regina Raps
Sterbebegleitung im Kloster
Von Sr. Paula Helm OSB
Smart sterben – Tod 4.0
Sind End-of-Life-Center unsere Zukunft? Von Ernst Engelke
FORUM
Nicht nur am siebten Tage sollst du ruhen
Erholung aus pastoralpsychologischer Perspektive Von Martin Kempen
Kirchgänge
Alex Stock zum Gedenken Von Hermann Pius Siller
POPKULTURBEUTEL
Champing
Von Bernhard Spielberg
NACHLESE
Glosse von Annette Schavan
Buchbesprechungen
Impressum
EDITORIAL
Erich Garhammer Schriftleiter
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sterbende möchten leben und in ihrem Kampf gegen den Tod begleitet werden, so der Psychologe und Theologe Ernst Engelke. Aber von ihnen wird erwartet, in ihr Sterben einzuwilligen. Ein guter Begleiter dagegen teilt Angst und Hoffnung des Sterbenden, er weiß um seine Ambivalenzen. Die Palliativmedizinerin Claudia Bausewein betont die Kraftquellen und Ressourcen von Schwerkranken. Sie wollen die Zeit des Sterbens oft bewusst erleben und gestalten und eine Lebensbilanz ziehen. Deshalb warnt sie vor einem Schubladendenken in Sachen Sterben: Die Zustimmungsnötigung zum Sterben von Elisabeth Kübler-Ross hält sie genauso wenig zutreffend wie eine generelle Ablehnungsthese.
Erich Garhammer befragt Literaten auf ihre Einstellung zum Sterben und stößt auf bemerkenswerte Befunde. Der Begriff „Sterbegröße“ (Thomas Hürlimann) taucht ebenso auf wie der Wunsch, den letzten Weg als ein Abenteuer zu verstehen. „Der Weg, den du jetzt gehst, gehen alle, aber du zum ersten Mal“ (Adolf Muschg). Die Medizinhistorikerin Karen Nolte beschreibt die professionspolitische Konkurrenz der Helferberufe am Sterbebett im 19. Jahrhundert. Die Ärzte verstanden sich als die besseren Seelsorger, als die „Priester der Natur“ und sahen sich neben der medizinischen Sterbebegleitung auch zuständig für die religiöse Sterbebegleitung. Diese Zeiten sind längst vorbei: das therapeutische Team ist angesagt, in dem der professionelle Seelsorger eine spezifische Aufgabe hat. Gottfried Amendt versteht seine Rolle am Sterbebett als „Hebammendienst zur zweiten Geburt“.
Die Würde des Sterbens in der palliativen Arbeit nehmen Susanne Röder und Elisabeth Köhler aus ärztlicher und Regina Raps aus pflegerischer Perspektive in den Blick. Sr. Paula Helm schreibt über Sterbebegleitung im Kloster. Deutlich wird: die Begleitung in den letzten Lebenswochen ist eine der intensivsten Erfahrungen. Wenn sie gelingt, können alle gestärkt hervorgehen.
Dabei soll die Dimension der Überforderung nicht verschwiegen werden, die oft zu anderen Lösungen greifen lässt. So stellt Ernst Engelke in seinem Schlussbeitrag die provokante Frage, ob wir nicht auf dem Weg in eine Euthanasie mit gesundheitsökonomischer Selbsttötung sind. Seine Beobachtungen sind ein Aufruf, weiter personell, finanziell und kulturell in eine andere Richtung zu investieren: in die Würde des Sterbens.
Eine nachdenkliche, aber auch österlich geprägte Lektüre wünscht Ihnen Ihr
Prof. Dr. Erich Garhammer
Schriftleiter
THEMA
Die Wahrheit im und am Krankenbett
Angst und Hoffnung teilen
Was erlebt ein Mensch und wie verhält er sich, wenn sein Leben durch eine Krankheit bedroht wird? Diese Fragen haben Menschen zu allen Zeiten bewegt und sie sind sehr verschieden beantwortet worden. Die Antworten auf diese Fragen entscheiden mit darüber, wie Sterbenskranke und Sterbende begleitet werden. Ernst Engelke
Die Kommunikation zwischen gesunden und sterbenskranken Menschen erinnert oft an ein Spiel, in dem ein Schachspieler und ein Damespieler nach ihren eigenen Regeln an einem B(r)ett miteinander spielen. Das Spiel kann nicht gelingen: Sie verstehen sich nicht und spielen aneinander vorbei. Das Ziel gelingender Kommunikation ist aber, sich zu verstehen. Dadurch und durch gemeinsames Handeln entsteht Gemeinschaft. Darauf sind Sterbenskranke und Sterbende in besonderer Weise angewiesen.
Sterbenskrank ist jemand, dessen Leben von einer todbringenden Erkrankung bedroht ist. Sterbende haben nur noch wenige Tage oder Stunden zu leben. Sterbenskranke und Sterbende erleben ihre körperlichen Grenzen, die Bedrohung ihres Lebens und ihr Ausgeliefertsein an andere Menschen. Sie sind davon abhängig, dass gesunde Menschen sich auf sie einstellen und sich ihnen zuwenden.
STERBEN NACH PLAN?
In der modernen Medizin wird seit Johann Lukas Schönlein (1793–1864) Kranksein aus biologisch-medizinischer Sicht als Prozess verstanden und mit Stadien oder Phasen der Entwicklung beschrieben. In gleicher Weise wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts Sterben aus psychologischer Sicht ebenfalls als ein Prozess beschrieben, in dem der Sterbende bestimmte Phasen durchlebt. Das bekannteste Phasenmodell ist von Elisabeth Kübler-Ross 1969 vorgestellt worden. Das Modell ist mit seinen fünf Phasen in seiner Art deskriptiv, wird aber oft so verbreitet und aufgenommen, als sei es präskriptiv (ein Fahrplan für das Sterben). In der internationalen Sterbeforschung wurden von Anfang an gravierende, sozialwissenschaftlich fundierte Einwände gegen dieses Phasenmodell und generell gegen Modelle, die das Sterben mit gestuften Verhaltensweisen beschreiben, angeführt. Neben den methodischen Fehlern wird bemängelt: Mit der Generalisierung und Standardisierung des Verhaltens (leugnen, erzürnen, verhandeln, depressiv sein, zustimmen) werden das Persönliche des Sterbenden und seine Einzigartigkeit missachtet. Obgleich Kübler-Ross in ihrem Buch sogar
Ernst Engelke
geb. 1941, Dr. theol., Prof. em. für Soziale Arbeit in Würzburg, zuvor Klinikseelsorger; seit 2001 Engagement im Palliativ- und Hospizzentrum der Stiftung Juliusspital Würzburg; seit 1975 Publikationen zu Sterbeforschung, Palliative Care, Hospizarbeit und zur Sozialen Arbeit. selbst betont, dass Sterbende „ihren persönlichen Stil, ihre gewohnten Verhaltensweisen“ (Kübler-Ross, 36) auch im Sterben nicht aufgeben, besteht sie darauf, dass jeder Sterbende diesen Prozess durchmacht.
Die Studien der empirischen Sterbeforschung haben dagegen ergeben: Den Sterbenden gibt es nicht und ein gesetzmäßiger Verlauf des Sterbens, dem alle Menschen unterliegen, ist auch nicht zu erkennen. Mit dem Satz „Individualität und Universalität verbinden sich beim Sterben“ hat Richard Kastenbaum die Erkenntnisse der Sterbeforschung auf den Punkt gebracht ( Kastenbaum , 126–149). Aus Sicht eines Sterbenskranken: „Das Faszinierende am Tode ist folgendes: Der Tod ist das Allgemeinste und zugleich das Individuellste“ ( Noll , 109). So, wie das Leben eines jeden Menschen einzigartig ist, ist auch sein Sterben einzigartig. Dennoch gibt es Übereinstimmungen im Sterben aller Menschen: Typisches im Individuellen eben, Gemeinsames und Persönliches.
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