»Wir haben daher beschlossen, sofort eine Aktion in die Wege zu leiten, um diesen Beweis in unsere Hände zu bringen – idealerweise, ohne den Russen eine Kopie zu überlassen, aber im Notfall wollen wir zumindest bekommen, was sie sich geschnappt haben. Das ist das Ziel von ALPINER SONNENUNTERGANG. Außerdem haben wir uns mit ihnen verlinkt, genauer gesagt mit dem Direktor spezielle Zieloperationen Colonel Jones, und beschlossen, die Aktion als gemeinsamen Einsatz beider Geheimdienste unter Leitung der CIA durchzuführen. Aus Sicherheitsgründen ist entschieden worden, keine Legalen einzusetzen, also keine Leute von uns, die im Konsulat in München oder in der amerikanischen Botschaft in Berlin stationiert sind. Außerdem halten wir die Operation so klein wie möglich, nur die Abteilung spezielle Operationen und ein winziger Teil des Direktorats für Westeuropa in unserer Behörde sind eingeweiht. Wir möchten auf keinen Fall noch weitere Dienste auf diese Fährte locken. Ein besonderes Einsatzteam ist bereits in München vor Ort, die zweite Hälfte fliegt heute Abend von Washington D.C. los. Außerdem schlagen wir vor, dass Dr. Black als Sachverständige mitkommt, um falls nötig zu prüfen, ob wir ein authentisches Dokument vor uns haben oder ob man uns einen Fakebeweis zugespielt hat.«
Die beiden CIA Agenten beobachteten erwartungsfroh ihre Reaktion, die in etwa genau wie die von Chris Harris ausfiel und darin bestand, ihre Gesprächspartner entgeistert anzustarren.
»Nur freiwillig, versteht sich, absolut freiwillig«, unterbrach Colonel Lewis das peinliche Schweigen, während Veronica um Worte rang. Sie hatte einen Augenblick lang geglaubt, sich verhört zu haben.
Chris rückte sich die Brille zurecht, er wirkte sogar noch verblüffter, als das erste Mal, als sie ihn mit ihren Fähigkeiten beeindruckt hatte, bevor er sie besser kennengelernt hatte. Mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen murmelte er, eher zu sich selbst als zu den übrigen Anwesenden: »Die NSA hat keine Agenten. Wir schicken keine Agenten in die Welt, wir machen SIGINT.[Fußnote 1] Wir sind eine reine Serviceagentur ...«
»Richtig, richtig«, beschwichtigte ihn Colonel Jones. »Der Vorschlag ist in der Tat sehr ungewöhnlich, aber er macht in diesem Fall Sinn. Überlegen sie sich’s: Es könnte sein, in der Tat nehmen das die Analytiker von der CIA an, dass Lehmann den Beweis verkaufen will und mit diesem Blau zusammenarbeitet. Möglicherweise haben ihn die Russen kontaktiert, und da ist ihm vielleicht die Idee gekommen, aus seinem Talent Kapital zu schlagen. Er ist untergetaucht, sein Freund leitet die Verhandlungen. Das ist ein mögliches Szenario, eines von vielen. Falls es also zu einem Handel käme, müssten wir – die NSA – das Dokument prüfen, unter Umständen vor Ort.«
»Das ist Wahnsinn ...«, murmelte Harris.
Veronica hingegen fand den Vorschlag gar nicht so schlimm. Ein bisschen ungewöhnlich, aber die Erklärung leuchtete ihr ein. Nur gab es dabei einen Haken. »Also, ich fürchte, das kann nicht funktionieren«, meldete sie sich zu Wort. »Niemand kann einen solchen Beweis einfach so kurz prüfen. Es würde Wochen, vielleicht sogar Monate dauern, um festzustellen, ob er durchgeht oder nicht.«
»Das ist uns klar«, erwiderte Simmons, der diesen Einwand wohl erwartet hatte. Offenbar hatte man die Sache längst beschlossen. »Es geht darum, aus der kurzen Zeit, die man uns das Dokument bei einem Geschäft möglicherweise sehen ließe, möglichst viel Nutzen zu ziehen. Vielleicht reicht ja schon ein Blick, um festzustellen, dass der Beweis Schrott ist. Natürlich packen wir auch Mikrokameras und all den Krempel ein, aber wie sie wissen übertrifft doch nichts die persönliche Expertise, und über die verfügen sie ja zur Genüge, Frau Dr. Black. Sie haben an dem Thema gearbeitet, nicht wahr?«
»... und sie spricht Deutsch«, fügte Duncan Price hinzu. Man hatte ihnen offenbar ihre Personalakte gegeben, die sie nicht einmal selbst lesen durfte. Die Hintergrundprüfungen waren exzessiv, und sie fragte sich, was alles die beiden über sie wussten. Wahrscheinlich hatten sie nicht alles gesehen, denn sonst nähmen sie nicht an, dass der Deutschkurs, den sie freiwillig in ihrer Freizeit besucht hatte, sie in die Lage versetzte, Deutsch zu sprechen. Fortbildung wurde in der NSA immens gefördert, es gab alle möglichen Angebote, die alle kostenlos waren und bequem nach Arbeitsschluss stattfanden, und sie hatte sich im Lauf der Jahre für den einen oder anderen Kurs eingetragen – aus Spaß, sie war ja keine Linguistin oder Analytikerin.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf, während Chris vor sich hingrinste und für sie deutlich sichtbar das Wort ›nuts‹ – durchgeknallt – auf seine Kopie schrieb. »Deshalb wollt ihr mich dabeihaben? Weil ich mal ein bisschen Deutsch gelernt habe und das Thema kenne? Hat die CIA keine Experten, die für die höchste Geheimhaltungsstufe zugelassen sind?«
»Keine, die so gut wie sie sind«, wandte Simmons ein. »Außerdem waren sie bei der Navy, was wir als zusätzlichen Pluspunkt ansehen. Und es gibt ... noch andere Gründe.«
Sein Kollege Price grinste breit, als habe sich sein Chef einen Scherz erlaubt, und Veronica fand, dass dieses Treffen allmählich surreale Züge annahm. Jedenfalls war der Vorschlag ein Novum, zumindest, soweit sie wusste. Die NSA verstand sich in der Tat als reine Serviceagentur, die prinzipiell keine Feldarbeit betrieb, und natürlich war sie dafür auch nicht ausgebildet.
»Und die wären?«, erkundigte sie sich genervt.
»Nun, der erste Kontakt wäre mit diesem Moritz Blau, der selbst Informatiker ist, und wir haben Grund zu der Annahme, dass er ihnen gegenüber positiv eingestellt ist. Sehen sie, das ist sehr wichtig, besonders für die erste Kontaktaufnahme. Wir stehen unter Zeitdruck und brauchen jemanden, der das Vertrauen von diesem Deutschen gewinnen kann. Jemanden, der gleichzeitig kompetent genug ist, den Beweisversuch zu bewerten und mit einem frischgebackenen Informatiker klarzukommen. Unsere eigenen Leute sind in dieser Hinsicht weniger als sie geeignet.«
Dieser Plan kam ihr selbst für die CIA erstaunlich ad hoc und unausgegoren vor. »Wieso soll er ausgerechnet mir vertrauen? Um ehrlich zu sein, mein Deutsch ist miserabel, und überhaupt, meinen sie nicht, dass ich in Deutschland ein wenig aus dem Rahmen fallen könnte?«
»Anhang C.2«, warf Duncan Price dazwischen. »Schauen sie sich mal seine Suchbegriffe an. Wir glauben, er wird sie schnell ins Herz fassen.«
Er grinste auf eine irritierende Art, wie ein Schuljunge, der sich einen Streich erlaubt hatte. Die Papiere raschelten, als alle gleichzeitig zu der Stelle am Ende blätterten. Veronica fand sie, eine sehr klein gedruckte Liste der Suchbegriffe von Moritz Blau auf Google, die ein Analytiker teilweise verkürzt und wo nötig auch übersetzt hatte. Sie hatte ein solches Dokument noch nie gesehen, in der Forschungsabteilung hatten sie mit dieser Art von direkten Daten nichts am Hut. Es war ihr unangenehm, Zeile für Zeile von privaten Suchanfragen durchzugehen, obwohl die meisten von ihnen ziemlich harmlos wirkten. Was meinten die beiden? Die Einbauanleitung für ein Ikea-Sofa? Befehlsreferenzen aus einer Programmierumgebung? Fragen zum Mietrecht? Offenbar war er vor kurzem umgezogen, wozu die Analytiker sicher mehr angehängt hätten, wenn sie den Vorgang als besonders relevant eingestuft hätten. Dann fiel ihr eine Reihe von Anfragen bei der Bildsuche von Google auf und ihre Mine verfinsterte sich. Die meisten waren auf Englisch geschrieben, was dieser Blau anscheinend ziemlich gut beherrschte, und gleich unter ›scharfe MILFs‹, was ihr nichts sagte, und einigen Eingaben zu ›sexy Arsch Titten‹, und ›Playboy Playmate‹ sowie ›Cumshots‹ fanden sich die Einträge ›schwarze Schönheit‹, ›schwarze Frauen sexy Arsch Titten‹, ›geile schwarze Schlampen‹, und ›schwarze Arsch Ebony MILF‹.
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