Kreolunterricht in der Île-de-France
Seit den 1960er Jahren sind so viele Menschen aus Martinique und Guadeloupe nach Frankreich ausgewandert (v. a. in die région parisienne ), dass man die Île-de-France auch als « troisième île » der Antillen bezeichnet (vgl. ANSELIN 1990). Mit den Migrant*innen aus den Überseedepartements kam auch das Kreolische nach Paris. Doch als Regionalsprache gilt es nur in den Regionen, aus denen es stammt: Daher konnten zunächst nur Schüler*innen in den DROM Kreolisch in der Schule lernen. Dies wollte der Verein Eritaj (vgl. fr. héritage ‘Erbe’) ändern, der das Kreol aufgrund der Bedeutung für die Identität in der région parisienne fördert. 2007 startete er eine Petition – mit Erfolg: Seit 2008 können Schüler*innen in zwei Lycées der Pariser banlieue Kreol wählen. Neben Jugendlichen mit Wurzeln in den DROM lernen dort auch Haitianer*innen ihre Herkunftssprache; für andere wiederum ist Kreolisch eine Fremdsprache.
1.2.2 Linguistic landscape
Das Französische ist weltweit präsent – auch dort, wo man im Alltag nicht Französisch spricht. Selbst wenn man nicht überall wie Gott in Frankreich isst, so findet sich doch immer, egal, wohin man reist, ein Restaurant: dt. Restaurant , engl. restaurant , sp. restaurante , it. ristorante , schwed. restaurang , türk. restoran , serb. restoran , russ. ресторaн etc. (< fr. restaurant ). Auch an anderen Ladenschildern, Werbeplakaten, Straßennamen und Graffitis trifft man häufig auf das Französische (z. B. Café , prêt-à-porter ). Diese Sprachlandschaft nennt man in der Forschung linguistic landscape :
The language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings combines to form the linguistic landscape of a given territory, region, or urban agglomeration. (LANDRY/BOURHIS 1997: 25)
Da die linguistic landscape in Großstädten besonders mehrsprachig ist, spricht man auch von „multilingual cityscape“ (GORTER 2006).
Sprachen in Kontakt und Konflikt
Die unterschiedlichen Texte, an denen man nicht vorbeisehen kann, repräsentieren und inszenieren das Prestige der jeweiligen Sprachen an einem Ort. Die offizielle(n) Sprache(n) eines Staates oder einer Region sieht man auf den Orts- und Straßenschildern sowie den Beschriftungen und Aushängen der Amtsgebäude; manchmal findet sich auf den Ortsschildern zusätzlich eine Minderheitensprache. Manche Migrationssprachen sind auf Ladenschildern und Speisekarten zu sehen, andere bleiben dagegen unsichtbar. Omnipräsent ist daneben fast überall das Global English .
Wenn sich Sprachen im Kontakt befinden, herrscht fast nie Harmonie. Sprachen ‘kämpfen’ vielmehr um Prestige, ihre Verwendung im Alltag, die Weitergabe an die nächste Generation und damit ums Überleben. Die linguistic landscape kann ein Indikator dafür sein – aber auch im Kampf um Prestige bewusst eingesetzt werden. So ist bei einer Fahrt durch Kanada unübersehbar, wenn man vom englischsprachigen Ontario ins französischsprachige Québec kommt. In Südfrankreich hört man in der Regel kein Okzitanisch mehr, jedoch würdigen heute zweisprachige Ortsschilder die Regionalsprache als Teil des patrimoine (vgl. Kapitel 1.2.1). Während chinesische Schriftzeichen von Montréal bis Genf zu sehen sind, bleiben die Roma sprachlich im Verborgenen. Gegen das Englische wehren sich französischsprachige Staaten ganz aktiv: In Frankreich schreibt die Loi Bas-Lauriol seit 1975 (seit 1994 die Loi Toubon ) die Verwendung der französischen Sprache in der Öffentlichkeit, insbesondere in der Werbung vor (vgl. auch Kapitel 4.3.2). Andere Sprachen sind zwar nicht verboten, müssen aber gut sichtbar auf Französisch übersetzt sein. Selbst wenn eine Sprachenschule mit „Do you speak English?“ für sich wirbt, ist eine Übersetzung in einer Fußnote nötig. In Québec steht auf den Stoppschildern nicht wie in Frankreich Stop , sondern Arrêt . Dort, wo indigene Sprachen verbreitet sind, finden sich auf den an Form und Farbe gut wiedererkennbaren Verkehrsschildern auch diverse Entsprechungen. Abb. 1.5 liefert das Beispiel „Ngaabzan“ in der Sprache der Ojibwe. Diese war u. a. im Südwesten Québecs, in Ontario und bis in die USA verbreitet und hat heute nur mehr ca. 33300 Sprecher*innen.
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Abb. 1.5:
Stoppschilder in Kanada: Französisch und Ojibwe (© Pustka 2017).
In der linguistic landscape sieht man unterschiedliche Sprachen, aber nicht nur nebeneinander. Manchmal ändert sich die Sprache auch mitten im Satz. In der Sprachwissenschaft spricht man in diesem Fall von Code-Switching (vgl. Kapitel 4.3.1). So wirbt das Pariser Outlet-Center Paddock etwa mit dem Slogan « Be stylé not ruiné » (vgl. Abb. 1.6). Hier finden sich französische Adjektive in englischer Syntax. Das Modewort fr. stylé kommt dabei selbst aus dem Englischen und bedeutet neben ‘todschick’ in der Jugendsprache einfach nur ‘geil’.
Abb. 1.6:
Werbeplakat in einer Pariser Metrostation (© Pustka 2019).
Die App Lingscape
Wer die linguistic landscape systematisch erforschen möchte, kann dies mittlerweile ganz en passant mit dem Smartphone tun: Fotos aufnehmen, die darauf sichtbaren Sprachen annotieren ( taggen ), mit Kommentaren versehen und schließlich GPS-georeferenziert auf eine Google Maps -Karte mit angeschlossener Datenbank ins Internet hochladen. Die User*innen sehen ihren Eintrag unmittelbar im Netz und können ihn per Facebook oder Twitter mit ihren Freund*innen teilen. Durch solche Techniken, die großen Spaß machen, können Sprachwissenschaftler*innen die breite Bevölkerung dafür motivieren, sich an der Datensammlung zu beteiligen ( citizen science ). Wenn das in großem Stil passiert, spricht man von Crowdsourcing . Man kann die App auch sehr gut im Fremdsprachenunterricht einsetzen, um Schüler*innen für die (Omni-)Präsenz der gelernten Sprache in ihrer alltäglichen Umwelt zu sensibilisieren (vgl. PURSCHKE 2017, 2018 sowie PUSTKA 2021b zum Französischen in Wien).
Französisch ist in der weltweiten linguistic landscape zwar bei Weitem nicht so präsent wie Englisch, dennoch findet man es immer wieder – auch wenn es weder Regional- noch Herkunftssprache ist. In deutschsprachigen Ländern prägen Cafés und Restaurants das Straßenbild, und beim Blick in die Speisekarten wimmelt es nur von Lehnwörtern aus dem Französischen – vom Aperitif bis zum Dessert . Dies gilt nicht nur für die Haute Cuisine , sondern auch für Pommes Frites mit Mayonnaise . Aus der Parfüm -Werbung ist die französische Sprache ebenfalls kaum wegzudenken. Der Grund dafür: Frankreich gilt als Land der Gourmets, Paris als Hauptstadt der Schönheit und Mode (v. a. der Haute Couture ):
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