IMPRESSUM
Am französischen Ende der Nacht
Joerg Embs
www.joerg-embs.de
Copyright: © 2014 Joerg Embs
Covergestaltung: Sonneborn | Büro für Werbung, Freiburg
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-8048-7
Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern,
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Die Handlung der Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind unbeabsichtigt.
1 | UN
2 | DEUX
3 | TROIS
4 | QUATTRE
5 | CINQ
6 | SIX
7 | SEPT
8 | HUIT
9 | NEUF
10 | DIX
11 | ONCE
12 | DOUZE
13 | TREIZE
14 | QUATTORZE
15 | QUINZE
16 | SEIZE
17 | DIX-SEPT
18 | DIX-HUIT
19 | DIX-NEUF
20 | VINGT
21 | VINGT-ET-UN
22 | VINGT-DEUX
23 | VINGT-TROIS
24 | VINGT-QUATTRE
25 | VINGT-CINQ
26 | VINGT-SIX
27 | VINGT-SEPT
28 | VINGT-HUIT
29 | VINGT-NEUF
30 | TRENTE
31 | TRENTE-ET-UN
32 | TRENTE-DEUX
33 | TRENTE-TROIS
Das Verdeck lag in Falten geworfen, die Sonne schien aus einem wolkenlosen Himmel, der Wind brauste angenehm warm um seinen Kopf, zerwühlte ihm Frisur und Kleidung. Es war der erste Sommertag des Jahres, der diese Bezeichnung zu Recht trug. Im Radio sang Rio Reiser vom tragischen Ende einer gescheiterten Liebesbeziehung. Den Mond konnte Jo zwar nicht sehen, aber Juni passte ebenso wie der Songtext zu seinem Leben.
›Doch jetzt tut's nicht mehr weh, nee jetzt tut's nicht mehr weh … es ist vorbei bye, bye Junimond.‹
Rio sang und Jo grölte lauthals mit, dazu trommelte er im Takt auf das Armaturenbrett. Der VW-Käfer war beinahe schon historisch, hatte exakt so viele PS unter der Haube wie Jo Jahre auf dem Buckel, war mindestens so launisch wie sein Besitzer selbst. Er schaltete einen Gang hoch, der Wind brauste nun schneller um seinen Kopf, das Radio quäkte gegen den anschwellenden Geräuschpegel an, rechts und links flogen zunehmend schneller die Rheinauen vorbei. Seine Stimmung hätte nicht besser sein können. Jo beglückwünschte sich dazu am Morgen seinen Privat- dem Firmenwagen vorgezogen zu haben und zum spontanen Entschluss nach dem vormittäglichen Kundentermin den Rest des Tages frei zu nehmen. Er fuhr ohne konkretes Ziel, das Fahren war sein Plan.
Jo fühlte sich frei, genoss seine zurück gewonnene Unabhängigkeit. Seine letzte Beziehung lag ebenso lange zurück wie der letzte Frost. Diesem Sommer würde unweigerlich ein nächster Herbst folgen, dem Herbst ein nächster Winter. Eine nächste Liebesbeziehung jedoch würde es in absehbarer Zeit für ihn nicht geben, da war er sich sicher. All zu sehr lockte die Vorstellung ekstatischer Abenteuer. Ungezügelt, ungehemmt, unverstellt, weil sie nichts vorheucheln mussten was es im realen Leben ohnehin nicht gab: Liebe.
›Wie schön und unbeschwert das Leben doch sein kann‹, dachte Jo, ›wenn man endlich eingesehen hat, dass der Traum von der großen Liebe genau so realistisch ist, wie der Wunsch einer Eintagsfliege nach dem ewigen Leben.‹
Sex. Jede Menge Sex würde er haben. Mit Frauen, denen er keine Rechenschaft ablegen musste. Mit Frauen, die weder wissen wollten woher er kam, noch wohin er ging. Mit Frauen, deren Namen so nebensächlich waren wie ihre Vergangenheit oder Zukunft. Das Einzige was zählen würde wären Augenblicke gieriger Lust an der Lust.
Kurz entschlossen bog er vom Autobahnzubringer ab. Eine dunkle Wohnung und ein leerer Kühlschrank, das waren die Einzigen, die ihn Zuhause erwarteten, die konnten auch noch ein paar Stunden länger warten. Er kehrte um, steuerte den VW über die Rheinbrücke nach Straßburg, wo er ihn auf einem großen Parkplatz abstellte und seinen Weg in die Innenstadt zu Fuß fortsetzte. Nach wenigen hundert Metern verließ er die stark frequentierte Fußgängerzone und schlug sich durch kaum weniger belebte Straßen und Gassen. Beim erstbesten Café, ließ er sich in einen Stuhl fallen … Plastik! Noch nicht einmal dies, multipliziert um die Tatsache, dass die Farbe der lauwarmen Brühe das Einzige war was entfernt an den von ihm bestellten Kaffee erinnerte, konnten seine blendende Laune eintrüben. Dafür war der Vormittag einfach ein viel zu erfolgreicher, der bisherige Nachmittag ein viel zu schöner gewesen, noch dazu hatte Jo endlich einmal wieder Zeit und Gelegenheit einer seiner Lieblingsbeschäftigungen zu frönen: dem Beobachten.
Vorwiegend Touristen bevölkerten an diesem Freitagnachmittag den Platz. Eine bunt gemischte Menschenmenge sämtlicher Nationalitäten und Hautfarben, die genauso aussah wie auf zig anderen von Reiseführern als sehenswert angepriesenen Plätzen in Europa. Ab und an zog eine Gruppe Jugendlicher vorbei, uniform gekleidet als hätten sie zuvor eine Stylingschablone durchlaufen. All das war nicht anders als daheim in Stuttgart auch.
Gelangweilt griff Jo eine herrenlose Zeitung vom Nachbartisch und bestellte einen zweiten Kaffee. Cola wäre eine Alternative gewesen, zählte Cola doch auch zu den Worten, die selbst dann verstanden wurden, wenn der Sprecher der Landessprache gar nicht oder kaum mächtig war. Aber Cola mochte er noch weniger als schlechten Kaffee und weitere Alternativen sah er auf der Karte nicht. Denn sein Französisch fiel unter die Rubrik kaum, sein Wortschatz belief sich auf die Zahlen von Null bis Zehn, auf drei Worte, Oui, Non und Merci, sowie den Satz den sich Pubertierende landauf landab zuraunten. Es waren die Überbleibsel eines Schulunterrichts, dessen Fach er leichten Herzens zu Beginn der Oberstufe abgewählt hatte. Dabei hatte er die Sprache als äußerst wohlklingend empfunden, nur eben nicht von sich selbst gesprochen. Eine Sprache, elegant wie eine Mozart-Arie, gesprochen von einem Schülermund in dem eine Zunge im Radetzkymarsch schwerfällig umhermarschierte, das war und blieb unvereinbar und dementsprechend hatte es auch geklungen.
Jo entfaltete die Zeitung, traute seinen Augen kaum, als er die Titelseite überflog. Wahllos schlug er eine weitere Seite auf, dann noch eine und noch eine. Auf allen bot sich ihm das gleiche Bild: Französisch und Deutsch einträchtig nebeneinander, als hätte es eine Erbfeindschaft zwischen beiden Völkern nie gegeben. Verwundert schaute er auf, blickte geradewegs in das Gesicht eines älteren Mannes, der zwei Tische weiter saß. Die Haare schlohweiß und wirr, die Zähne schief, in den Augen ein lebhaftes Funkeln. Der Mann lächelte amüsiert, ein Lächeln wie ein warmer Händedruck.
»Straßburg ist nicht Frankreich«, rief der herüber.
»Sondern?«, rief Jo neugierig zurück.
»In erster Linie Straßburg«, antwortete der Herr augenzwinkernd, »mit einer Portion Frankreich, einem Klecks Deutschland und einem bisschen Europa.«
»Und Sie, was sind Sie?«
»Mon passport me dit que je suis allemand, mais mon coeur me dit que je suis français. Mein Pass sagt ich bin Deutscher, aber mein Herz sagt ich bin Franzose«, übersetzte er für Jo.
»Elsässer, was bedeutet es Elsässer zu sein?«, hakte Jo interessiert nach.
»Fragen Sie nach unserer Identität? Nun, die ist geprägt durch die Geschichte und die Umgebung. Das Elsass ist klein, war immer die Trophäe des Siegers, war mal Deutsch, dann wieder Französisch. Wir Elsässer mussten uns immer anpassen, aber wir haben gelernt: von den Franzosen das savoir-vivre, von den Deutschen den Fleiß und von den Schnecken die Langsamkeit.« Der Herr pausierte kurz, dann fuhr er fort. »Wenn Sie uns verstehen wollen junger Mann, dann gehen Sie in die Cathédrale. Dort schlägt das Herz der Stadt … l'équilibre.«
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