Elisa Diallo - Französisch verlernen

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Wenn es anfängt, weh zu tun, muss man etwas unternehmen: Das fand auch Elisa Diallo, Tochter einer französischen Mutter und eines guineischen Vaters. Aufgewachsen in Frankreich, empörte sie sich zunehmend über die Hartnäckigkeit, mit der die Grande Nation ihren Staatsbürgerinnen und -bürgern mit Migrationshintergrund immer wieder zu verstehen gab, sie gehörten zwar dazu – aber eben doch nicht ganz. Heute lebt Elisa Diallo in Mannheim, besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft und arbeitet in Frankfurt. Wie es zu diesem für eine Französin immer noch radikalem Schritt kam, das erzählt und erklärt sie in diesem wichtigen persönlichen Zeugnis in Zeiten, in denen die Frage «Woher kommst du und wer bist du?» so wichtig und unwichtig wie nie ist.

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Elisa Diallo Französisch verlernen Mein Weg nach Deutschland Aus dem - фото 1

Elisa Diallo

Französisch verlernen

Mein Weg nach Deutschland

Aus dem Französischen von Isabel Kupski

Vorwort Ausgangspunkt Februar Mannheim Paris Moskau Paris März London - фото 2

Vorwort

Ausgangspunkt

Februar

Mannheim

Paris

Moskau

Paris

März

London

Granville

April

Mannheim

Paris

Karlsruhe

Mai

Mannheim

Karlsruhe

Juni

Mannheim

Jerusalem

August

Bretagne

September

Mannheim

Conakry

November

Amsterdam

Februar

Berlin

Epilog

Meiner Mutter

Vorwort

Am 15. Juni 2020 fuhr ich zum ersten Mal nach sechs Monaten wieder nach Paris, zuletzt war ich wie üblich an Weihnachten dort gewesen. Danach hatte ich keine Zeit gehabt, dann kam Corona nach Europa, und Mitte März wurden die Grenzen geschlossen. Sie blieben drei Monate geschlossen, zumindest symbolisch, und es wurden drei lange Monate. Als ich dann am 15. Juni an der Gare de l’Est aus dem Zug stieg, war ich emotional aufgewühlt, ähnlich aufgewühlt wie die drei Monate zuvor, als ich nicht wusste, wie lange dieser Zustand anhalten würde, und ich Angst hatte, dass die Welt den Verstand verlieren und sich hinter einem finsteren aggressiven Nationalismus verschanzen könnte. Vor allem aber hatte ich Angst, meine Angehörigen nicht besuchen zu können, falls einer von ihnen krank wurde. Alles in allem war ich in dieser ganzen Zeit ziemlich durcheinander. Aber als ich dann aus dem Bahnhof trat und Paris vor mir sah, war ich absolut euphorisch, ich schlenderte durch das Sentier-Viertel, das Marais, durch die Straßen an der Place de la République, alles kulturell und sozial durchmischte Viertel, Paris zeigte sich mir von der schönsten Seite. Das Wetter war herrlich, es war deutlich weniger Verkehr, und die Cafétische hatte man bis auf die Straßen gestellt. Die Schönheit, der Zauber und die Diversität dieser Stadt überwältigten mich. Ich sah Paris mit den Augen einer Touristin, einer Fremden, und zum ersten Mal verstand ich, dass man der Illusion einer multikulturellen Gesellschaft frei von Rassismus erliegen musste, wenn man von Frankreich nur Paris kannte.

Aber das Sentier-Viertel ist nicht Paris, und Paris ist nicht Frankreich.

Als dieses Buch 2019 in Frankreich erschien, waren die französischen Leser genauso erstaunt wie die deutschen (die das Buch auf Französisch gelesen hatten), dass ich den Rassismus in Frankreich, wo ich groß geworden bin, dermaßen anprangerte und mit Deutschland so nachsichtig war. Ich gehe von meinen persönlichen Erfahrungen aus und kann mit dem gängigen Gegensatz von Frankreich und Deutschland nichts anfangen, in meinen Augen ist Frankreich nicht divers und hat nicht mit dem Rassismus aufgeräumt, und in Deutschland leben nicht nur Weiße und Nazis. Vielleicht habe ich mein Buch auch deswegen geschrieben, um endlich mit dem Mythos dieses Gegensatzes aufzuräumen. Als ich im Sommer 2018 daran arbeitete, war ich seit einem Jahr deutsche Staatsbürgerin. Auch zwei Jahre danach, im Herbst 2020, halte ich an meiner Meinung fest, dass Frankreich noch weit davon entfernt ist, seinen Rassismus überwunden zu haben. Jeder Nicht-Weiße, der in Frankreich zur Schule gegangen ist, kann das bestätigen. Aber im Gegensatz zu Deutschland ist Frankreich blind gegenüber dem eigenen Rassismus. In Frankreich ist Rassismus tabu, weil die Franzosen einerseits behaupten, er gehöre der Vergangenheit an, und sie andererseits am Ideal der Gleichheit aller vor dem Gesetz festhalten. Sie sind überzeugt, dass Frankreich aus vielen Nationen besteht und alle Menschen gleich sind, es ist also alles gut, es gibt nichts zu beanstanden. Ich denke allerdings, dass wir es hier nicht mit einem blinden oder naiven Glauben zu tun haben, dieses Tabu ist vielmehr eine politische Strategie, eine ideologische Bremse, es soll verhindert werden, dass man sich ernsthaft mit dem Rassismus in Politik und Gesellschaft befasst.

In Deutschland ist das Gegenteil der Fall, die deutsche Gesellschaft hält sich nicht für besonders multikulturell. Das ist natürlich genauso fatal, da eine homogene weiße Mehrheit mit demselben Wertekatalog die Probleme der nichtweißen Minderheit nicht ernst nimmt. Ich will Deutschland nicht besser dastehen lassen, indem ich dem Land mehr Pluspunkte gebe als Frankeich. Ich bin nicht in Deutschland groß geworden, Rassismus habe ich in Deutschland erst als Erwachsene kennengelernt, zudem als privilegierte Erwachsene mit einer gewissen Bildung, daher habe ich zum deutschen Rassismus eine innere Distanz. Außerdem sind zu viele meiner deutschen Freunde in der antirassistischen Debatte engagiert, um zu behaupten, es gebe hierzulande keine Ungerechtigkeiten gegenüber Minderheiten. Es ist nur so, dass ich nicht glaube, dass das Gras auf der anderen Seite, egal auf welcher, grüner ist. In den letzten beiden Jahren haben sich einige meiner schwarzen Freunde entschlossen, woanders zu leben, ein Pariser Freund lebt jetzt in London, eine Londoner Freundin ist nach Berlin gegangen, Freunde aus Frankfurt leben neuerdings in Barcelona, manch einer hat Berlin verlassen, um in Tel Aviv zu leben. Alle wollten sich nicht mehr fremd im eigenen Land fühlen. Denn Rassismus gibt es überall, und überall ist er ähnlich, abgesehen von ein paar Abweichungen, die historisch begründet sind. Seit dem Mord an George Floyd demonstrieren überall auf der Welt immer mehr Menschen gegen Rassismus, was bedeutet, dass überall auf der Welt Menschen leben, die unter Rassismus leiden und dagegen aufbegehren.

Vergleiche ich Frankreich, Deutschland und die Niederlande, Länder, die ich kenne, weil ich dort gelebt habe und zum Teil noch lebe, scheint mir Deutschland das Land zu sein, dass noch am ehesten den antirassistischen Kampf gewinnen kann. Rassismus ist kein marginales Phänomen, das nur eine Minderheit betrifft. Auch in Deutschland wächst der Gegendruck. Aber im Gegensatz zu Frankreich und den Niederlanden werden in Deutschland antirassistische Stimmen zumindest gehört und werden sogar mit jedem Tag lauter.

Im Sommer 2018 war ich vielleicht beunruhigt, aber nicht pessimistisch. Nicht umsonst habe ich mein Buch mit den Worten beendet, dass ich an ein multikulturelles Deutschland glaube und überzeugt bin, dass Deutschland den Rassismus besiegen wird. Ich gehe nach wie vor die Wette ein, dass es gelingt, und auch wenn ich 2020 vielleicht etwas skeptischer bin, glaube ich daran.

Mannheim, Oktober 2020

Ausgangspunkt

Im Juni 2017 wurde ich Deutsche. Ich habe mich zu diesem Schritt entschlossen, weil sich die Möglichkeit ergab, und weil es vergleichsweise einfach war. Seit acht Jahren lebte ich in Deutschland, und ich fühlte mich als Europäerin. Ich hätte es Jahre früher tun können, oder woanders, Niederländerin in Holland werden, wo ich zuvor mehr als elf Jahre gelebt hatte. Bis dahin hatte ich nie das Bedürfnis verspürt, und vor allem war ich mir sicher, ich könnte nie eine andere Nationalität annehmen, indem ich die meiner Geburt ablegte. Ich zahle meine Steuern in Deutschland, eigentlich sollte ich auch in diesem Land wählen können, sagte ich mir oft. Wenn man mir jedoch antwortete: »Du brauchst nur die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen«, erwiderte ich: »Unmöglich. Meinen französischen Pass abgeben? Kommt nicht in Frage.« Punkt aus. Warum »kommt nicht in Frage«? Weil ich mich Frankreich verbunden fühlte, meinem Geburtsland, in dem ich aufgewachsen war, das mich geprägt hatte. Die Tatsache, keinen französischen Pass zu besitzen, hätte allerdings nichts an dieser Verbundenheit geändert, ich würde weder meine französischen Erinnerungen verlieren noch die Kultur meiner Herkunft. Alles, was ich gelernt hatte, gehört, rezitiert, gesungen, die Musik, zu der ich getanzt hatte, alles, was mich zum Lachen gebracht oder mich aufgewühlt hatte, all meine Prägungen und die Menschen, mit denen ich sie teilte, und vor allem, ja vor allem die Sprache, meine Sprache, zu der ich vom ersten Moment an ein inniges, symbiotisches Verhältnis hatte, alles, was ich gelesen und geschrieben hatte: all das hatte nichts mit einem Pass zu tun.

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