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Ein bis zwei Stunden später schalteten meine Eltern schließlich, mittlerweile schon etwas schläfrig vom guten Essen, den Fernseher an und es war das Zeichen für mich, allmählich die Rückreise anzutreten. Auch an Tagen wie diesem gingen sie stets zwischen zehn und elf Uhr schlafen.
Meine Mutter packte mir natürlich noch eine gute Portion des Essens für die folgenden Tage ein. Ich verstaute den Walkman, das Essen und zwei Flaschen guten italienischen Rotweins im Kofferraum. Dann umarmten wir uns nochmal und ich fuhr los.
Ich schaltete das Radio aus Angst vor Weihnachtsmusik bewusst nicht an und musste stattdessen plötzlich wieder an Maria denken und fragte mich, wo sie wohl Weihnachten verbringen würde und vor allem, mit wem?
„Schlampe …”, die erste Reaktion meiner Mutter hallte noch ein wenig in meinem Ohr nach.
Ich war damals selbst zu jung gewesen, um über die näheren Umstände ihrer Scheidung von Manfred Bescheid zu wissen.
Ich hielt ihr jedenfalls ganz bestimmt nichts vor, außer dass sie damals so plötzlich aus meinem Leben verschwunden war.
Eine halbe Stunde später, es war nur wenig Verkehr auf der Autobahn gewesen, hielt ich mein Auto auch schon vor meiner neuen Wohnung an.
„Alles riecht noch so wundervoll neu”, dachte ich als ich wenig später die Wohnungstür öffnete und die heraus strömende Luft einatmete.
Ich stellte erst mal alles was ich in Händen hielt im Flur ab, denn bevor ich es mir richtig bequem machen würde, wollte ich noch etwas erledigen.
Leider funktionierte mein Telefon nämlich immer noch nicht: Der Techniker der Post war immer noch nicht da gewesen, um meinen Anschluss frei zu schalten.. Also schrieb ich mit einem schwarzen Text Marker auf ein Stück Tapete, das noch herum lag.:
„Hast du Weihnachten etwas vor?
Wir könnten zusammen kochen/essen? Bin allein und hab noch kein Telefon! Thomas.”
Dann huschte ich wieder durch die Haustür, um das Blatt in ihren Briefkasten zu werfen oder besser noch, unter ihrer Haustür durch zu schieben.
Als ich mich ihrem Hauseingang näherte, erkannte ich Licht im Erdgeschoss und im zweiten Stock.
Auf den Namensschildern suchte ich nach ihrem Nachnamen, fand ihn aber zu meiner Verwunderung nicht. Es war aber ganz sicher das richtige Haus und es gab insgesamt nur drei Parteien, die hier wohnten.
Der Name auf der untersten Klingel klang allerdings irgendwie italienisch.
Um mir jedoch ganz sicher zu sein, ging ich nochmal zurück zur Straße und spähte vorsichtig über die Hecke und über den kleinen Rasen zu dem erleuchteten Fenster im Erdgeschoss.
Hinter der Gardine konnte ich die Umrisse einer Frau erahnen, die aussah wie Maria und auf einem Sofa saß und fern sah. Sie schien allein zu sein.
Da hatte ich einen spontanen Einfall und sah auf meine Uhr.
Es war zwanzig vor elf und ich überlegte, ob es wohl etwas unverschämt von mir wäre, um diese Uhrzeit noch an ihrer Haustür zu schellen.
„Ach was! Heute ist schließlich eine besondere Nacht!” dachte ich und ging die paar Meter zurück zu meiner Wohnung, um eine der beiden Weinflaschen zu holen.
Wenig später war ich zurück und drückte entschlossen die Klingel neben dem einzigen italienischen Namen
„Tenatio”.
Eine Weile lang geschah rein gar nichts, doch dann wurde ein schmaler Lichtstreifen im Hausflur sichtbar, als sich eine Tür im Erdgeschoss langsam und vorsichtig öffnete.
Dann erstrahlte der Hausflur in hellem Lichtschein und wiederum wenig später drehte jemand auf der anderen Seite der Türe geräuschvoll einen schweren Schlüsselbund im Schloss.
Die Haustüre öffnete sich einen Spalt breit und Marias, etwas verschrecktes Gesicht, kam darin zum Vorschein. Als sie mich erkannte, schaute sie sehr überrascht, aber eben doch auch angenehm überrascht.
„Mensch Thomas..!, Hallo….was ist denn los…alles okay?, sie trug einen flauschigen, weißen Bademantel, den sie sich ein wenig fröstelnd mit den Armen um ihren Körper spannte..
Ich hielt ihr das Stück Tapete entgegen: „Das wollte ich unter deiner Haustür durch schieben, bis ich bemerkte, dass das hier gar nicht möglich ist. Mein Telefon tut´s leider immer noch nicht . Außerdem heißt du wohl nicht mehr Schneider…!?”
Maria musste lachen, als sie die Weinflasche erblickte.
„Nein,- ich habe nach der Scheidung wieder meinen Mächennamen angenommen….wolltest du die auch unter meiner Haustür durch schieben?”, meinte sie noch lauter lachend und dabei auf die Flasche Wein deutend.
„Nein…”, ich musste nun ebenfalls grinsen. Ich habe gesehen, dass bei dir noch Licht brennt und dachte, du hättest vielleicht Lust auf Gesellschaft …? Es war eine spontane Idee…. ich komme gerade zurück von meinen Eltern und…”, setzte ich eine Erklärung an, doch sie winkte mich immer noch lachend hinein.in den Flur und in ihre Wohnung.
„Das ist eine tolle Idee von dir, mich am Heiligen Abend besuchen zu kommen…und deine Eltern? Wie geht es Ihnen? Hast du ihnen denn meine Grüße ausgerichtet?”, fragte sie als sie die Haustür hinter uns ins Schloss fiel und sie mich über die kleine Diele in ihr Wohnzimmer führte.
„Ja, … Grüße zurück!”, log ich und sie sah es mir direkt an, als sie sich überrascht zu mir herumdrehte..
„Das ist lieb von dir dass du mich anflunkerst, mein Lieber, aber ich bin mir sicher, ich hatte nach meiner Trennung von Manfred nicht mehr den allerbesten Ruf bei deinen alten Herrschaften…, aber das macht nichts!, – ich kann gut damit leben…”
„Hör zu…, Maria, ich war damals einfach ahnungslos und habe mich aus der ganzen Sache völlig raus gehalten, überhaupt keine Partei ergriffen für irgend jemanden. Ich fand es nur schade, als es plötzlich hieß, du seist ausgezogen und du tatsächlich einfach so verschwunden warst. Umso schöner fand ich es, dir so unerwartet nach all den Jahren wieder über den Weg zu laufen und das würde ich gerne mit dir feiern..!”, sagte ich ehrlich und schwenkte die Flasche Rotwein in der Hand.
Sie lächelte und an ihren Augen konnte ich erkennen, dass sie mir glaubte und dass es ihr gefiel was ich gesagt hatte.
„Setz dich doch und hol schon mal Weingläser aus dem Schrank dort. Da müsstest du auch einen Korkenzieher finden. Ich mach mich ein wenig frisch und zieh mir etwas passenderes an……bin in ein paar Minuten wieder da”, sagte sie und verschwand in einem der beiden Zimmer nebenan.
Ich hing meine Jacke an der Garderobe im Flur auf , entnahm zwei Rotweinkelche aus dem Wohnzimmerschrank und setzte mich mit dem Korkenzieher auf einen der insgesamt drei weißen Sessel, die um einen kleinen Tisch gruppiert waren, um die Flasche zu entkorken.
Ihr Wohnzimmer war nicht wirklich groß, aber dafür ganz gemütlich. Jedoch war er für meinen Geschmack mit zu vielen kleinen kitschigen Accessoires ausgestattet:
So gab es zwei gefüllte Setzkästen mit allerlei Krimskrams an den Wänden und auf der Fensterbank standen mehrere Püppchen und Teddybären, die freundlich in den Raum hinein grüßten.
Die Wände waren ganz weiß tapeziert, und der Teppich war dick , weich und dunkelrot.
Ich stellte immerhin erleichtert fest, dass sie immer noch rauchte. Ein gut gefüllter Aschenbecher stand auf einem kleinen Beistellwagen neben dem Sessel mir gegenüber. Außerdem stand dort ein halb volles Glas mit Sekt. Sie hatte also schon was getrunken.
Ich zündete mir eine Zigarette an und sah mich neugierig, aber ohne dabei indiskret zu werden, weiter in ihrem Wohnzimmer um.
„Es ist hier alles viel kleiner als noch früher in dem großen Haus, aber dafür ist diesmal alles bezahlt und ich habe keine Schulden mehr….”; erklang ihre tiefe Stimme auf einmal hinter mir, als ich gerade einen der Setzkästen aus der Nähe begutachtete.
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