Kaden lachte leise. »Mr. Sorokin. Ich arbeite für Sie. Sie dürfen Sie also immer nutzen.«
Nikolaj nickte leicht und drehte sich nun wirklich zum Gehen. »Wir sehen uns morgen«, sagte er fest.
Kaden sah auf den Stift in meinem Fingern. »Mr. Sorokin?«
»Ja, Mr. Williams?«
»Sie sind der Erste, der es als Superkraft bezeichnet.« Kaden strich mit dem Daumen über den Stift, fühlte das kühle Plastik.
Nikolaj hörte Unsicherheit und ein wenig Angst in Kadens Stimme. Kadens gesamte Haltung drückte aus, was in ihm vorgehen musste.
»Ich wüsste nicht, was es sonst sein sollte«, antwortete er und in Ermangelung weiterer Worte nickte er Kaden zu und setzte seinen Weg fort.
Kaden lächelte und senkte den Blick. Für einen Moment meinte er, noch diesen besonderen Duft wahrnehmen zu können, feuchter Waldboden. Feuchtes Laub. Und dann wieder kühle Meeresluft. Klar und rein. Es war, als würde der Wind diese winzigen Moleküle zu ihm wehen. Nur für eine Sekunde. Und dann war es vorbei. Kaden seufzte und schloss die Tür erneut auf, trat ein und ließ sie hinter sich zufallen.
Nikolajs Duft löste etwas in ihm aus, das er nicht greifen konnte. Es waren widersprüchliche Gefühle. Während Kaden die Treppe nach oben stieg, drehte er den Stift in seinen Fingern. Diese markante maskuline Note, die so gut passte. Zu Nikolajs Persönlichkeit. Zu seiner Statur. Alles an diesem Mann schien perfekt zu passen und sich zu einem stimmigen Bild zusammenzusetzen. Die dunklen Haare, die hellen Augen. Diese Kombination alleine konnte einen aus der Bahn werfen. Die Anzüge, bis zur letzten Falte perfekt. Die teuren Schuhe. Kaden schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und ließ die Tasche neben der Tür fallen. Nikolaj verlangte viel in der Firma. Aber er hatte auch viel zu verlieren. Irgendetwas in Kaden wollte diesen Ansprüchen gerecht werden. Bisher waren sie immer nur in den merkwürdigsten Momenten aneinander geraten.
Diesen Gedanken hing Kaden noch immer nach, als er unter der Dusche stand. Im Grunde wusste er absolut nichts über Nikolaj, genau so wenig wie dieser etwas über ihn wusste. Abgesehen von dieser Gedächtnissache. Damit wusste Nikolaj etwas über ihn, was sonst nur sehr wenige Menschen wussten.
Und wenn Nikolaj es wusste, dann wusste es Darea auch. Daran hatte Kaden keinen Zweifel. Diese Frau war beinahe wie Gott. Sie hatte einen sechsten Sinn und Quellen in der Firma, die er besser nicht ergründen wollte.
Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, das von ihm Besitz nahm. Kaden fühlte sich verletzlich. Angreifbar. Wie schon seit Jahren nicht mehr. Aber irgendetwas sagte ihm, dass weder Nikolaj noch Darea dieses Wissen ausnutzen würden. Wenn Kaden genau darüber nachdachte, dann war er sich beinahe sicher, dass es Darea zu verdanken war, dass Nikolaj hier vor seiner Tür gestanden hatte. Diese Frau war unergründbar.
Als die Dusche von einer Sekunde zur anderen entschied, kein heißes Wasser mehr für ihn bereitzuhalten und ihn in einen Eisklotz zu verwandeln, stieg er schnell hinaus. Und dann setzte er sich ins Wohnzimmer, legte die CD in seine kleine Anlage.
Die Musik, die danach durch das Zimmer tönte, überraschte ihn. Es waren leichte, freundliche Stücke. Aber auch eines, welches eher melancholisch klang. Es gefiel ihm. Es war typischer Pop und das war nicht das, was Kaden in der Regel hörte. Aber es war wirklich gut. Beschwingt. Und der Sänger hatte eine tolle Stimme. Voll und warm. Er schaffte es sogar, die CD zu hören ohne dabei einzuschlafen.
Am nächsten Morgen war Kaden schon wieder früh im Büro. Er wollte die Zusammenfassung für Nikolaj noch vor dem Mittag fertig haben. Und noch etwas anderes wollte er unbedingt tun und dafür musste er ein kleines Gespräch führen. Um kurz nach eins lief er dann lächelnd auf Dareas Arbeitsplatz zu. Der schwarze Haarschopf war zur Seite gedreht. Sie hatte den Telefonhörer am Ohr, den Blick gehoben, und sah ihn daher schon kommen. Sie hob eine Augenbraue. In einer Hand hielt Kaden einen Ordner, in der anderen einen Thermobecher von MoonBrew . Ihrem liebsten Kaffeeshop in der Stadt.
Darea sah skeptisch auf den blau-weißen Thermobecher, bevor sie die Hände von ihrer Tastatur hob und Kaden endgültig entgegen sah.
Er grinste. Da sie telefonierte, konnte sie nicht fragen, was das sollte und so stellte er den Becher einfach vor ihr auf ihrem Schreibtisch ab. Und lächelte sie an. Bereit zu warten, wie lange auch immer das Gespräch noch dauerte.
»Ja, Mr. Downsend, das verstehe ich durchaus. Ich werde sehen, was sich machen lässt und die Angelegenheit mit Mr. Sorokin besprechen.« Darea sah auf den Becher mit der Schutzpappe gegen die Hitze, dann wieder zu Kaden. »Nein, das wird nicht möglich sein. Glauben Sie mir, keiner von uns möchte ihn jetzt gerade sprechen. Ja. Es wird besser sein, wenn ich Sie zurückrufe. Gut. Auf Wiederhören.« Darea legte den Telefonhörer auf die Basis und sah dann fragend auf. Einer ihrer schmalen Finger deutete auf den Becher. »Was ist das?«
Kaden lächelte noch ein Stück breiter. Dann räusperte er sich. »Doppelter Mocca-Latte mit dreifach Sojamilch, Karamell-Sirup und laktosefreier Sahnehaube. Und natürlich einem Hauch Zimt.« Er war wirklich dankbar für seine, nun ja, Superkraft. Denn eine Bestellung bei MoonBrew aufzugeben war nur unwesentlich leichter als eine Hirn-OP. Da war es noch leichter, herauszubekommen, was Dareas Lieblings-Heißgetränk war.
Ihre Augenbraue flog nach oben. Dann hob sie den Becher vom Tresen und zog den Deckel ab, schnupperte. Leise seufzte sie auf. »Woher wissen Sie das?« Vorsichtig nippte sie an der heißen Flüssigkeit, leckte sich anschließend etwas Sahne von der Oberlippe. All das geschah mit genießerisch geschlossenen Augen.
»Das bleibt mein Geheimnis.«
Darea stellte das Getränk auf ihrem Schreibtisch ab und warf den Deckel in ihren Papierkorb. »Also schön. Was wollen Sie?«
»Gar nichts. Das ist eher ein Dankeschön.«
Skeptisch sah Darea auf. »Wofür?«
Kaden warf kurz einen Blick in das Büro, dessen gläserne Wand hinter Dareas Schreibtisch verlief. Nikolaj saß an seinem Schreibtisch, Telefon am Ohr. »Nun ja. Ich denke ... Ich denke, Mr. Sorokin war gestern nicht ganz aus freien Stücken bei mir?«
Darea verzog keine Miene, nippte nur wieder an ihrem Dankeschön. »Ich kann ihm nicht vorschreiben, was er tun oder lassen soll.«
»Und trotzdem hört er auf Sie.«
»Ich setze höchstens Impulse«, antwortete Darea und lächelte. »Gern geschehen.«
Kaden lächelte zurück. Dann legte er den Ordner auf den Tresen. »Das ist die Zusammenfassung vom Meeting gestern. Und das ist die Demo-CD.« Er sah wieder zum Büro. »Können Sie ihm sagen, dass ich die Musik gut finde? Dann muss ich ihn gar nicht stören.«
Darea warf einen Blick auf die beiden Sachen auf ihrem Tresen. »Schätzchen, gut wird ihm nicht reichen. Sie müssen schon ein paar mehr Worte finden.«
Kaden rümpfte leicht die Nase. »Guter, solider Pop. Warme, volle Stimme. Was noch?«
»Na ob wir ihn aufnehmen sollten. Halten Sie ihn für tauglich für Tourneen, fürs Radio, für die Werbung? Denken Sie, seine Musik wird ein großes Publikum ansprechen?«
»Na ja, ich weiß nicht wie er aussieht, mal abgesehen von diesem winzigen Foto, aber ich denke schon. Ja. Er schlägt in die Sparte Justin Bieber und seine Texte waren weder plump noch vulgär. Er spielt gut Gitarre.«
Darea nickte. »Ich richte es ihm aus.« Sie griff nach dem Ordner und der CD, legte alles auf ihrem Schreibtisch ab.
»Danke.«
»Mr. Williams?«
Kaden hatte erst einen Schritt gemacht. »Ja?«
»Sollten Sie Fragen zu Ihrem Lesestoff haben, können Sie sie mir stellen.«
Lesestoff. Das klang, als wäre er in der Schule. Dennoch lächelte er dankbar. »Danke, Miss Harrison. Für ...« Er sah wieder in das verglaste Büro, in dem Nikolaj noch immer an seinem Schreibtisch saß, eine Hand locker auf der Schreibtischplatte, die andere mit dem Telefon am Ohr. »Für alles.«
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