Es war Darea, die um kurz vor halb sieben an Nikolajs Bürotür klopfte und sie öffnete, ohne auf eine Antwort zu warten.
Er sah von einem der Verträge auf, die vor ihm lagen und sah direkt in grüne blitzende Augen. »Darea?«
Sie trug ihre Handtasche in der linken Hand und hatte sich ihren eleganten und teuren Mantel über den Arm gelegt. »Ich mache jetzt Feierabend. Und du solltest das auch tun.«
»Ja. Gleich.« Er schlug die Akte zu und rieb sich übers Gesicht.
Sie rührte sich keinen Millimeter von der Stelle und sah ihren Vorgesetzten weiterhin an.
»Was ist noch?«, fragte er, weil er selbst hinter seiner Hand Dareas Anwesenheit spürte. Als er die Hand sinken ließ und in Dareas Augen sah, stutzte er jedoch. »Du siehst aus, als hätte ich deinen Geburtstag vergessen.«
Sie schnalzte mit der Zunge. »Wie lange arbeitet Mr. Williams jetzt schon für dich?«
»Zwei Wochen«, antwortete Nikolaj, lehnte sich nun zurück. Darea wollte auf irgendetwas hinaus. Sie hatte diesen ganz besonderen Blick aufgelegt, wartete aber dennoch einen Augenblick. Fast hätte sie geseufzt.
»Wann warst du das letzte Mal in seinem Büro?« Sie stützte jetzt ihren freien Arm in die Hüfte. Eine absolut typische Darea-Geste.
»Das war vor zwei Wochen. Als ich ihm sein Büro gezeigt habe. Darea, worauf willst du hinaus?«
Sie zog die Augenbrauen zusammen. So leicht würde sie Nikolaj nicht von der Angel lassen. Dazu war sie zu sehr Darea. »Nik, wie häufig schaut man nach einem frisch geborenen Lämmchen, was denkst du?«
Nikolaj runzelte die Stirn über diesen selbst für Darea ungewöhnlichen Spitznamen. »Du möchtest, dass ich nach ihm sehe.«
Ihre Augen blitzten. »Nein, ich möchte, dass du darüber nachdenkst, was du tust. Es ist eine Sache, ein neugeborenes Lamm sich selbst zu überlassen. Es kann durchaus auch alleine laufen lernen. Nicht zuletzt, wenn es sich ein Beispiel an den anderen Lämmern im Stall nimmt. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn man diesem Lamm auch noch Steine in den Weg legt und es in Arbeit ertränkt.« Sie hatte das Kinn hoch gereckt. Noch ein letzter, fester Blick und dann verließ sie das Büro ohne ein weiteres Wort.
Nikolaj sah ihr nach und blieb lange so sitzen, den Blick auf die Tür gerichtet, durch die Darea verschwunden war. Nach und nach verschwand auch ihr weihnachtlicher Duft. Natürlich wollte sie, dass Nikolaj nach seinem neuen Schützling sah. Aber ihr Wunsch ging darüber hinaus. Nikolaj kniff die Augen zusammen, schloss die Akte und schob sie in die Kiste, die neben seinem Schreibtisch stand. Dann erhob er sich, griff am Garderobenständer seinen Mantel und löschte das Licht, bevor er sein Büro verließ und den Flur hinunterlief. Leise klopfte er an Kadens Bürotür, aber niemand reagierte. Ein dünner Fetzen Licht fiel unter der Tür hindurch, die Nikolaj kurzerhand öffnete. Im Büro sah es wüst aus. Das konnte man nicht anders sagen. Überall standen Kisten herum, der Schreibtisch lag voll, eine Ecke mit Büchern, die andere mit Akten, die nächste mit CD-Stapeln. Und irgendwo dazwischen, halb auf seinem Laptop, lag Kaden. Kopfhörer in den Ohren, das Licht des Laptops beleuchtete sein Haar bläulich. Die Luft hier drinnen war auch verbraucht. Man konnte Arbeit zwar nicht riechen, aber die Müdigkeit machte Kadens Duft schwerer. Ganz so, als ob die herben Komponenten stärker hervortreten würden. Er trat näher, legte seinen Mantel über dem Stuhl vor dem Schreibtisch ab, der ebenfalls vollgestellt war und griff dann nach einem Kopfhörer-Stöpsel. Vorsichtig zog er ihn Kaden aus dem Ohr.
Erschrocken fuhr der aus seinem Schlaf hoch. »Was?!«, rief er und zuckte dann zusammen. Zum einen, weil er Nikolaj vor sich erkannte und zum anderen, weil irgendetwas in seinem Nacken lautstark knackte.
Das hohle Geräusch des Knackens war selbst für Nikolaj zu hören, aber er sah fest auf Kaden herab. »Hallo. Wir sollten uns unterhalten.«
Schwer schluckte Kaden. »Tut mir leid. Ich wollte nicht einschlafen.« Er rieb sich fest über die Augen. Sie brannten wie Feuer.
Nikolaj hob die Kiste vom Stuhl, stellte sie auf dem Boden ab und setzte sich. »Sie sollten gar nicht mehr hier sein.«
»Aber ich darf nichts davon mit nach Hause nehmen.« Er hatte den Vertrag gelesen. Er war ja nicht doof. Firmenunterlagen hatten die Firmenräume nicht zu verlassen. Es sei denn mit ausdrücklicher Genehmigung.
Nikolaj schüttelte den Kopf. »Nein, das dürfen Sie nicht. Das meinte ich aber auch nicht. Mr. Williams, wenn ich mich hier so umsehe, kann ich erkennen, dass Ihnen die Arbeit über den Kopf wächst.«
Kaden zuckte zusammen. »Wa... Nein!« Er sah Nikolaj an. »Nein, ich schaffe das schon!« Das lief ja wunderbar, dachte er bei sich. Zwei Wochen und schon stand er kurz davor, gefeuert zu werden. Und das, wo es gerade anfing, Spaß zu machen!
»Mr. Williams, ich bin nicht sicher, ob ...«, begann Nikolaj nachdrücklich, doch Kaden unterbrach ihn schnell.
»Nein, ich schaffe das! Bitte. Ich kann das Wochenende durcharbeiten, das ist kein Problem. Aber bitte, geben Sie mir noch eine Chance.« Innerlich runzelte Kaden die Stirn. Bettelte er etwa gerade? Oh Jesus, das war erbärmlich. Aber die Wahrheit war, diese Arbeit forderte ihn. Auf eine Art und Weise, wie es noch keine andere je getan hatte. Ja, es ging an seine Reserven, aber das war auch etwas Gutes! Denn er hätte nie gedacht, dass es so etwas tatsächlich gab. Nikolajs Gesichtsausdruck veränderte sich genau so weit, dass man erkennen konnte, wie ungern er unterbrochen wurde. Und das ging einher mit einer Veränderung seines Geruchs. Nur eine feine Nuance. Mehr wie ein Hervortreten dieser maskulinen Anteile. Schwer schluckte Kaden. »Entschuldigung.«
»Ich spreche nicht davon, Sie zu feuern. Ich spreche davon, dass ich unterschätzt habe, wie viel Sie aufzuholen haben. Ich sehe, dass Sie es aufholen, aber auch, dass Sie viel Zeit dafür brauchen.«
»Es tut mir leid.« Ja, es tat ihm auch leid! Er war eingerostet und es war einfach eine Menge zu lesen und egal, was sein Gehirn in der Lage war zu leisten, seine Augen waren einfach nur ganz normale Augen. Und die konnten auch nicht zwei Seiten auf einmal lesen, auch wenn sie in der Lage waren, eine Seite in Rekordgeschwindigkeit durchzuarbeiten und das Gelesene auch noch für immer abzuspeichern.
»Ja. Das merke ich«, kam die feste Antwort. Beinahe war Kaden, als konnte er sehen, wie Nikolaj die Nase verzog. Wahrscheinlich stach ihm der Geruch in der Nase. »Sie müssen etwas zurückgeben.«
Kaden sah auf das Durcheinander auf seinem Tisch, das für ihn durchaus eine Ordnung hatte. »Und was?«, fragte er, ließ die Schultern sinken.
»Gibt es etwas, was Ihnen leicht fällt, Sie aber viel Zeit kostet?«
»Das Korrektur-Lesen. Aber das macht Spaß.« Und noch dazu konnte er durch die vielen Verträge oder Vertragsänderungen eine Menge über dieses Business lernen.
Nikolaj hob die Hände. »Ist mir egal. Suchen Sie etwas aus. Aber Sie nützen mir nichts, wenn Sie auf dem Schreibtisch einschlafen.«
Das war klar und deutlich. Kaden biss die Zähne zusammen. »Kann ich nicht das Wochenende über arbeiten? Ich bin sicher, ich kann alles bis Montag schaffen.«
»Nein.«
Nikolajs Blick war weit mehr als stechend und Kaden musste wegsehen. Sah auf seine Hände. »Dann die Tapes.«
»Gut. Sie können mir gern Ihre bisherigen Ergebnisse mitteilen. Stellen Sie den Karton mit den Tapes einfach auf Dareas Schreibtisch. Und jetzt«, der Firmenchef erhob sich, »kommen Sie.«
Verwirrt sah Kaden zu ihm auf. »Wo gehen wir denn hin?«
»Schalten Sie alles aus und nehmen Sie Ihre Sachen.«
»Huh«, machte Kaden leise. Er würde wohl keine Antwort bekommen. Also erhob er sich, schaltete den Laptop aus, nachdem er alles gespeichert hatte und suchte sein Zeug zusammen. »Und jetzt?«
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