Sie schwieg einen Moment. »Das gefällt mir nicht, Honey. Ein Chef sollte doch immer für seine Angestellten da sein.«
Kaden gluckste. »Mum, das ist in einem großen Unternehmen kaum möglich.«
»Ach Blödsinn. Dafür gibt es doch Abteilungsleiter. Irgendwer ist immer der Ansprechpartner bei Problemen und Nöten.« Sie winkte ab. »Ich möchte mich auch nicht einmischen, Honey. Du bist erwachsen. Du weißt schon, was du tust. Und ich bin froh, dass du endlich etwas gefunden hast, das dich fordert. Nur ... Mach dich nicht kaputt, okay? Versprich mir das.«
Lächelnd sah er seiner Mutter in die Augen. »Versprochen.«
Sie nickte lächelnd. »Sehr schön. Und jetzt gehen wir einkaufen.«
»Was?«
Sie grinste. »Wenn diese Darea Harrison mit dir einkaufen gehen darf, dann darf deine alte Mum das doch wohl auch.«
»Du bist nicht alt.«
Sie schnaubte und winkte nach der Rechnung. »Na siehst du? Dann kann ich dir ja auch etwas Hübsches kaufen. Ich habe auch schon eine Idee, was. Mein Baby muss sich nicht noch mal sagen lassen, nicht hübsch auszusehen. Nicht umsonst habe ich so einen hübschen Jungen bekommen.« Sie kniff Kaden in die Wange.
»Mum, bitte ...«
Der Sonntag verlief wie der Rest der Woche. Mit einer Menge Buchstaben vor Kadens Augen.
Ausnahmsweise wurde Nikolaj an diesem Wochenende mal nicht von einem unvorhergesehenen Zwischenfall überrascht. Kein Künstler mit exzentrischen Anwandlungen, keine Krise in der Firma, keine geplatzten Konzerte oder Signierstunden, keine Probleme in der Rechts- oder Finanzierungsabteilung, keine Computerabstürze oder durchgebrannten Festplatten. Ausnahmsweise lief alles glatt und so erschien er pünktlich und erholt am Montagmorgen in der Firma, begrüßte Darea und hängte seinen nassen Mantel und den tropfenden Regenschirm an den Garderobenständer, bevor er sich an die Arbeit machte. Nikolaj war dankbar für den Kaffee, den ihm Darea brachte und bereitete sich auf einen Tag mit einer langen Teamsitzung vor. Die Abteilungsleiter würden ihm im großen Konferenzsaal Berichte abstatten, sodass er einen Eindruck von ihrer Arbeit bekam. Es war Nikolaj wichtig, nicht nur von den Musikabteilungen monatlich zu erfahren, welche Künstler Probleme machten, eventuell vertragsbrüchig wurden. Es war ihm auch wichtig zu hören, was die Marketing-, Finanz- und IT-Abteilung zu sagen hatten. Von seinem Assistenten erwartete er eine Zusammenfassung der Sitzung, was bedeutete, dass auch Kaden einen langen Tag haben würde.
Kaden war wirklich froh, für die Zeit der Konferenz mal nichts lesen zu müssen. Er konnte einfach nur auf seinem Stuhl sitzen, hatte ein Klemmbrett mit ein paar Blättern vor sich, um eventuell ein paar Notizen zu machen. Im Grunde jedoch eher als Alibi. Mit der Spitze des Kugelschreibers tippte er immer wieder gedankenverloren leicht auf das Papier und wartete darauf, dass sich der Raum füllte. Auf dem langen Tisch stand eine Vielzahl von Gläsern, Tassen und Getränken bereit, von denen die bereits Anwesenden regen Gebrauch machten. Ein angenehm geschäftiges Summen von leisen Stimmen klang im Raum, das Kaden an einen Bienenschwarm erinnerte.
»Mr. Williams?«
Vor Schreck malte er einen Strich quer über das Papier, als Nikolaj so unvermittelt im Raum auftauchte und sich an die Stirnseite des langen Tisches setzte.
»Ja?«
Nikolaj deutete auf den Stuhl neben sich. »Bitte setzen Sie sich doch neben mich.«
Kaden sah auf die Hand Nikolajs, die auf den Stuhl neben sich deutete. »Oh. Okay.« Kaden erhob sich und setzte sich dann zu seinem Vorgesetzten auf den noch freien Stuhl, legte das Klemmbrett vor sich auf den Glastisch und kam nicht umhin, das makellose Aussehen Nikolajs zu bemerken. Der dreiteilige Anzug saß, als wäre er nur für ihn gemacht und vermutlich war auch genau das der Fall.
So konnte nur ein Anzug sitzen, der einem auf den Leib geschneidert war. Es war ein dunkles, sehr dunkles blau. Im Licht schimmerte der Stoff leicht. Woran das wohl lag? Sicherlich nicht am Polyesteranteil. Also Seide? Ja. Das war eher möglich. Das weiße Hemd hatte feine, graue Streifen. Die Krawatte war silber und blau gestreift und glänzte ebenfalls im Licht. Seide. An Nikolajs Handgelenk glänzte passend dazu eine silberne Uhr, mit einem tief dunkelblauen Zifferblatt und silbernen Zahlen darauf. Ebenso trug er passende Manschettenknöpfen. Zusammen mit der Krawattennadel machten sie das Bild irgendwie rund.
»Bereit für den langen Tag?«
Kaden nickte. »Ja.«
»Gut. Ich erwarte keinen höchst detaillierten Bericht. Es geht nur um eine Zusammenfassung der wichtigsten Entwicklungen. Es kann sein, dass ich Ihnen noch Stichpunkte sage, die Sie dann in den Bericht schreiben sollen.«
»Hm. Okay.« Kaden wackelte mit dem Stift zwischen seinen Fingern. »Bis wann soll der Bericht fertig sein?«
»Ende der Woche.« Er hatte beschlossen, großzügiger zu kalkulieren, was Deadlines anging. Darea hatte Recht, so ungern er das auch zugab, doch er hatte zu viel vorausgesetzt und unrealistische Erwartungen gestellt. Kaden kam nicht aus der Branche, er würde Zeit brauchen.
»Oh.« Kaden war überrascht. Das war unerwartet. Er hatte eher mit 'morgen früh' gerechnet.
Nikolaj tippte mit dem Fingernagel gegen sein Wasserglas und erhob sich dann, sah in die Runde.
»Lassen Sie uns anfangen.« Es wurde leise, abgesehen davon, dass sich einige der Anwesenden noch Getränke eingossen oder sich setzten. »Wie jeden Monat erwarte ich von Ihnen den üblichen Bericht. Wir gehen vor wie immer, von der größten zur kleinsten Abteilung. Ich möchte Sie allerdings bitten, sich für meinen neuen Assistenten, Mr. Kaden Williams«, er deutete neben sich, »kurz mit Ihrem Namen und Ihrer Abteilung vorzustellen.«
Für einen Moment richteten sich alle Augen auf Kaden und er spürte, wie sein Herz schneller schlug. Das war unangenehm. Aber dann begannen alle Anwesenden nacheinander ihre Berichte zu erstatten. Jeder stellte sich mit seinem Namen und seiner Abteilung vor und Kaden nickte jedes Mal. Er schrieb die Namen auf, hörte aber ansonsten nur zu. Aufmerksam. Machte sich jedoch keine weiteren Notizen. Er vergaß es, weil dieses ganze Prozedere, wie alles hier, neu war und spannend und seine ganzen antrainierten Verhaltensweisen über Bord warf. Er musste breit lächeln, als sich eine junge Frau erhob, langes, schwarzes Haar und asiatische Gesichtszüge.
»Mai Tran«, stellte sie sich vor und zwinkerte ihm zu. »IT-Abteilung.« Die junge Frau, die er in der Personalküche getroffen hatte. Auch ihrem kurzen Bericht lauschte er aufmerksam und bei ihr schrieb er nicht einmal den Namen auf und auch ihre Bitte um neue Serverkapazitäten landete nicht auf dem Papier, das vor Kaden an dem Klemmbrett hing.
Nikolaj tat es ihm gleich, hörte den Mitarbeitern genau zu, jedem Abteilungsleiter, der auf seine ganz eigene Art mal kurz, mal lang vom letzten Monat berichtete. Als er das nächste Mal zu Kaden sah, stutzte er jedoch. Das Blatt auf dessen Klemmbrett war abgesehen von einem langen Querstrich und ein paar Namen mit den dazugehörigen Abteilungen leer. Seine Augenbrauen flogen nach oben. Sie hatten inzwischen einiges gehört, was Nikolaj gern in dem Bericht gesehen hätte, aber Kaden schien nur gespannt zuzuhören und seine eigentliche Aufgabe vergessen zu haben. Auf den Bericht war er schon jetzt gespannt.
Bis zur Mittagspause waren sie mit dem Treffen beschäftigt und Kaden klingelten die Ohren, als sie schließlich den Konferenzraum verließen und den Weg zu ihren Büroräumen einschlugen. Es war wirklich interessant gewesen und er hatte erneut einen weiteren Einblick bekommen. Wie alles ineinandergriff. Die Werbeabteilung. Die IT-Abteilung. Presse. Abrechnung und Finanzen. Personalmanagement. Und noch so vieles, vieles mehr, was in einer großen Firma anfiel. Es war faszinierend für ihn. Genau wie ein Uhrwerk. Und jedes kleine Rädchen darin sorgte dafür, dass man am Ende die Uhrzeit ablesen konnte.
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