»Ich möchte doch wissen, weshalb das Schiff zum Kurban-Bairam unbedingt fertig sein muß«, begann der erste wieder.
»Ich habe gehört, daß man die Piraten an den Rahen aufhängen will.«
»Dazu braucht man doch keine Segel und Kanonen. Erst machen wir das Schiff wie neu, und
dann wird es als Galgenberg benutzt und wieder beschmutzt.«
»Es ist ein Befehl des Rejs Seraskierat [7].«
»Na, was geht's schließlich uns an. Auf jeden Fall ist es ein Allah wohlgefälliges Werk, wenn Piraten gehängt werden. Es wird einen schönen Bairam geben.«
An Bord des eigenen Schiffes sollten Porquez und seine Mannschaft also gehängt werden. Welch eine entsetzliche Strafe für Seeleute, die ihr Schiff liebten! Die Herren der Osmanischen Marine waren wirklich groß im Erfinden von Grausamkeiten. Horuk gab Ojo einen Wink.
Die beiden stahlen sich heimlich weg und schlenderten kurz darauf durch das Hafengebiet. Am Abend berichteten sie Michel, was sie erkundet hatten.
Michel schlief unruhig in dieser Nacht. Er hatte das Gefühl, dringend etwas tun zu müssen, wenn die Rettung Erfolg haben sollte. Zu lange hatte er schon gezögert.
Da war der festgesetzte Dienst, den er einzuhalten hatte, solange er noch hier war. Der Rejs Effendi erschien fast täglich, um sich vom Erfolg der Ausbildung zu überzeugen. Einen Vorteil allerdings hatte Michel. Er war beliebt bei Rekruten und Offizieren. Und vielleicht konnte er auf Grund dieser Beliebtheit etwas durchführen, was einen anderen um Kopf und Kragen bringen würde.
Er hatte am nächsten Morgen im Seraskierat zu tun. Den Gang dorthin würde er zur Ausführung eines Unternehmens benutzen, das an Waghalsigkeit seinesgleichen nicht hatte. Ojo und Horuk begleiteten ihn. Der Wächter ließ die Männer sofort ein; denn er kannte den berühmtesten Schützen von Istanbul.
Michel ging in eine der vielen Verwaltungsstuben und fragte nach dem Serdariekrem 2. Der war noch nicht da, und so warteten die drei über eine Stunde.
Endlich kam der Oberbefehlshaber, der auch zugleich den Posten des Kriegsministers innehatte. Ein großes Gefolge von Wasserpfeifen und Mokkatassen tragenden Dienern begleitete ihn. Die Sekretäre sanken in tiefe Verbeugungen, von denen sich auch Michel nicht ausschließen konnte. Aber Michel richtete sich als erster wieder auf, so daß der Blick des mächtigen Paschas auf ihn fiel. Der Serdariekrem kannte ihn. Er begrüßte ihn gut gelaunt: »Es Salam alejkum, Hanufa Kapudan, kann ich etwas für dich tun?« »Der Rejs Effendi schickt mich, Serdar Effendim« — dann fuhr er mit einem Flüstern in der Stimme fort — »mit einem geheimen Auftrag, zu dessen Ausführung ich deine Erlaubnis einholen soll.«
Der Serdariekrem zog die Brauen hoch. Das war eine ungewöhnliche Sache. Der Rejs Effendi scherte sich nur selten um den Oberbefehlshaber. Er wandte sich meistens an den Emir-el-Osman, dessen Liebling er war.
Diese Tatsache kannte Michel. Und er hatte die Eitelkeit des Serdariekrem richtig eingeschätzt. Als dieser sein erstes Erstaunen überwunden hatte, winkte er Michel, einzutreten. Er ließ sich auf seinem Diwan nieder und klatschte in die Hände. Alle seine Begleiter verschwanden aus dem Zimmer. »Was hat der Rejs Effendi für ein Anliegen?« begann er.
»Es handelt sich um die bessere Verteilung des Nachschubs und der Munition in Istanbul. Achmed Serdar glaubt, daß vor allem Pulver und Geschosse für die Kanonen des Artilleriekorps schlecht untergebracht seien. Er möchte verschiedene Lager in Skutari räumen und den Nachschub ins Artillerielager bringen lassen. Da du aber, o Serdar Effendim, auch die Marine unter dir hast, läßt er dich bitten, mir einen Firman zu geben, mit dem ich jedes passende Schiff im Hafen beschlagnahmen kann, um es für diesen Zweck einzusetzen. Natürlich erfolgt die Beschlagnahme nur auf begrenzte Zeit. Ich selbst hätte noch die Bitte, mir ein unabhängiges Kommando von Soldaten zur Verfügung zu stellen, das Tag und Nacht in Bereitschaft liegt. Der Rejs Effendi meinte, daß man die Ausbildung der jungen Rekruten nicht willkürlich unterbrechen sollte.«
Der Serdariekrem hatte aufmerksam zugehört. Aber er verstand durchaus nicht alles. Weshalb diese besonderen Umstände bei so einer Sache. Und einen Firman wollte dieser Hanufa Kapudan, um Schiffe zu beschlagnahmen? Wozu? Weshalb konnte man nicht einfach einen Befehl an irgendeinen Kapitän erteilen, daß er für die geplante Aktion zur Verfügung zu stehen habe?
Nun aber kam die typische Überlegung eines nach hohen Ehren, Macht und Würde strebenden Mohammedaners, die Michel in seine Gleichung eingebaut hatte und ohne die sein Plan von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.
Der Serdariekrem überlegte. Sollte er zugeben, daß ihm an der ganzen Angelegenheit manches unklar war? Sollte er dem Hauptmann gegenüber eingestehen, daß dieser auch nur eine Stunde lang mehr gewußt hatte als er, der oberste Befehlshaber? Nein, er mußte vielmehr so tun, als sei ihm diese Angelegenheit längst bekannt, ja, als sei er bereits von allerhöchster Stelle unterrichtet worden, als stammten diese Vorschläge eigentlich von ihm, als habe er sie dem Sultan unterbreitet, und Achmed Serdar erbat nun seine, des Höhergestellten, Unterstützung. Er nickte Michel zu, strich sich den imposanten Bart und antwortete:
»Du kannst Achmed berichten, daß diese Maßnahme schon lange erwogen war. Ich habe sie dem Großherrn schon vor Monaten vorgeschlagen. Jedenfalls freut es mich, daß der Rejs Effendi nun an die Ausführung geht. Selbstverständlich ist ihm meine Unterstützung sicher. Er hat sich stets meines besonderen Wohlwollens erfreut. Richte ihm aus, daß ich ihn am zweiten Tag des Bairamfestes in meinem Haus zu einer Gesellschaft erwarte, bei der die schönsten Sklavinnen des Orients tanzen werden. Auch du selbst bist willkommen.«
Michel erhob sich. In überschwenglichen Worten bedankte er, der kleine Kapudan, sich für die Einladung bei einem der mächtigsten Männer des Reiches.
Der Serdariekrem klatschte in die Hände. Ein Schreiber erschien.
»Schreibe einen Firman des folgenden Inhalts für den Kapudan Effendi: Ich, der Serdariekrem Seiner Majestät, des Sultans, des Obersten Herrschers aller Gläubigen, desNachfolgers des
Propheten-nein warte. Wozu dieser Umstand?« Michel verfärbte sich. Sollte sein Plan noch in letzter Sekunde daran scheitern, daß der Pascha zu faul zum Diktieren war? Aber da fuhr er fort, und Michel atmete auf. »Gib dem Kapudan Effendi einen roten Sonderfirman. Darauf bekommt er von jedermann jeden Wunsch erfüllt. Bring das Papier herein, damit ich mein Siegel daraufsetzen kann. Du wirst mir diesen Firman zurückgeben, wenn du ihn nicht mehr brauchst, nicht wahr, Hanufa Kapudan?«
Michels Herz tat einen freudigen Sprung. Obwohl er alles so klug wie möglich eingefädelt hatte, hatte er doch in seinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt, den berühmten roten Firman zu bekommen, der ihm jede Tür und jedes Tor öffnen würde. Es gab nur noch einen Firman, der schwerer wog. Das war der grüne, den der Sultan persönlich aushändigte.
Der Schreiber, ein dürres Männchen, dessen riesiger Turban für den kleinen Kopf viel zu schwer zu sein schien, brachte einen Kienspan und träufelte Siegellack auf das rote Pergament. Dann drückte der Serdariekrem sein Siegel darauf.
Und dann war Michel mit einem gnädigen, wohlwollenden Nicken entlassen.
Marina erwachte sehr früh am nächsten Morgen. Die Aufregung hatte sie unruhig schlummern lassen.
Nun würde also ein guter Teil des Gelingens nur von ihrer Geschicklichkeit abhängen. Und da fiel ihr auf einmal ein, daß sie weder über Papier noch über einen Schreibgegenstand verfügte, mit dem sie gegebenenfalls eine Botschaft niederlegen konnte.
Sie erhob sich, steckte den Kopf in kaltes Wasser und ging in Michels Schlafraum. Hastig wollte sie ihn wecken.
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