Stand Haß in ihnen? War das Verdrehen der Augen, und das weiße Leuchten der Augäpfel ein Zeichen der Freude oder Drohung?
Mutatulli zuckte die Schultern.
»Ich weiß es, offen gestanden, auch nicht. Wir könnten einen Versuch machen, könnten auf dem Wege zum Häuptlingshaus weitergehen und sehen, ob sie uns Platz machen werden. Wenn sie es aber falsch auffassen, so---«
»Ob sie Gift kennen und vergiftete Pfeile?« fragte Michel.
»Wer weiß.«
»Was würdet Ihr vorschlagen?«
»Gehen wir an Land, setzen uns dort auf den Boden,zünden unsere Pfeifen an und warten. Die Neugier der Leute wird siegen. Und über kurz oder lang wird der Häuptling jemanden zu uns schicken.«
»Glaubt Ihr, daß es lange dauern wird?« »Wenn wir etwas erreichen wollen, so müssen wir Geduld haben. Ich sagte bereits, die Neugier wird siegen.«
So folgten sie denn Mutatullis Ratschlag, wandten sich zum Land zurück, suchten sich in der Nähe ein schattiges Plätzchen, ließen sich dort nieder und rauchten Pfeife.
7
Unter den Muskatnußbäumen hatte es sich inzwischen herumgesprochen, daß die Insel bewohnt war. Nach dem Weggang des Pfeifers und seiner beiden Kameraden bildeten sich überall Gruppen und Grüppchen, die das Ereignis besprachen.
Spannung lag in der Luft.
Die Männer fuhren sich mit den Händen nervös zum Gürtel, wo das Messer saß, als gelte es jeden Augenblick einen plötzlichen Angriff abzuwehren. Es war keine Rede mehr vom Pflücken der Früchte.
Ernesto lief immer noch von einer Gruppe zur anderen und fragte nach dem Studenten.
Niemand konnte ihm über dessen Verbleib Auskunft erteilen.
Zu dem Zeitpunkt etwa, als der Pfeifer sich vor dem Hauptsteg der Wasserstadt im Grase niederließ — es war am frühen Mittag — stand Ernesto vor Marina und berichtete ihr von Fernandos Verschwinden.
»Wann habt Ihr ihn zum letztenmal gesehen?«
Ernesto grübelte angestrengt.
»Gesehen? — Das muß gestern abend gewesen sein. Aber ich glaube, er hat nachts mit mir gesprochen, hat irgend etwas zu mir gesagt.«
»Was hat er gesagt?«
»Maldito, das weiß ich nicht mehr. Er schimpft immer nachts mit mir; denn er behauptet, ich wäre ein Schnarcher. Das bildet er sich natürlich nur ein. Ich schlafe leise wie eine Feldmaus. Ihr könnt es mir glauben, Señorita.«
»Ich weiß«, lachte Marina. »Ihr schlaft so leise, daß die Schiffsplanken zittern. — Habt Ihr denn nicht wenigstens gehört, daß sich Fernando entfernt hat?«
»No, Señorita.«
»Und wann, glaubt Ihr, schimpfte er mit Euch wegen Eures Schnarchens?«
Ernesto kniff die Augen zusammen. Seine Stirn war gefaltet wie ein Waschbrett. Man sah förmlich, wie angestrengt er nachdachte.
»Es kann spät, es kann aber auch sehr früh gewesen sein.«
Marinas Stirn umwölkte sich.
»Mit dieser Antwort kann ich genauso wenig anfangen, wie wenn Ihr gar keine gegeben hättet.
Wo habt Ihr geschlafen?«
Der Maat deutete auf einen Punkt im Gelände.
»Dort drüben, ein Stück von der Buschgruppe.«
Ohne ein weiteres Wort wandte sich Marina um und strebte der bezeichneten Stelle zu. Der Maat folgte ihr wie ein begossener Pudel.
Das Gras an der Stelle, wo die beiden genächtigt hatten, hatte sich teilweise wieder aufgerichtet.»Wo habt Ihr gelegen?«
Ernesto wackelte unschlüssig mit dem Kopf.
»Ich glaube, hier.«
»Und wo hat Fernando gelegen?«
»Das kann ich nicht genau sagen.«
»Nun«, sagte Marina, »wenn Ihr dort gelegen habt, wo sich das Gras noch nicht wieder vollständig aufgerichtet hat, so ist das ein Zeichen, daß es länger niedergedrückt war. Das heißt, daß Fernando ein paar Stunden früher seinen Platz verlassen hat.«
Mannas Blicke fielen auf das Gebüsch. Sie vermochte nicht zu sagen, weshalb; aber sie setzte sich langsam in Bewegung und überquerte das Stück Wiese, das zwischen dem Nachtlager der beiden und der Buschgruppe lag. Sie betrachtete aufmerksam jeden Grashalm. Ob zufällig oder wirklich dank ihrem scharfen Blick, bleibt gleichgültig, aber sie fand jedenfalls abgebrochene Zweige, abgerissene Blätter und zerdrücktes Moos dort, wo Fernando sich nachts ins Gebüsch geschoben hatte.
Von hier aus war es nicht mehr schwer, mit Hilfe der Spuren zu jener Stelle zu gelangen, wo Fernando den Keulenschlag erhalten hatte. Auch für den im Spurenlesen ungeübten Blick war leicht zu erkennen, daß die Zerstörungen im Gerank der Buschgruppe von mehreren Menschen hervorgerufen sein mußten.
»Mir ist alles klar«, meinte Marina. »Unser Student wurde zuerst durch Euer Schnarchen aus dem Schlaf gerissen, lag dann wahrscheinlich eine Weile wach und hörte Geräusche, denen er nachging. Hier an dieser Stelle werden sie ihn erschlagen haben.«
Ernesto riß die Augen auf.
»Erschlagen«, stammelte er, »tot? Und nur weil ich geschnarcht habe? Oh, Señorita, sagt das nicht! Ich würde mein Leben lang keine Nacht mehr ruhig schlafen!«
»Vielleicht hat er Glück gehabt, und sie haben ihn nur betäubt. Fest steht jedenfalls für mich, daß sie ihn verschleppt haben.«
»Und was machen wir nun?«
Sie verließen das Gebüsch und gingen zwischen den diskutierenden Gruppen hindurch.
»Im Augenblick können wir gar nichts machen«, sagte Marina; »denn der Pfeifer ist mit Ojo und Mutatulli zu den Wilden gegangen, um ihnen auch noch Geld dafür zu geben.«
»Wofür? Dafür, daß sie Fernando verschleppt haben?«
»Nein, natürlich nicht. Für Nüsse, die wir gefunden haben und ernten wollen.«
»Wir sollten lieber hingehen«, murmelte Ernesto, »und die Bestien totschlagen.«
»Ihr habt manchmal auch ganz vernünftige Ansichten«, lächelte Marina und wandte sich ab.
Ernesto ließ sie aber nicht gehen.
»Entschuldigt, Señorita Capitán, aber wollen wir nicht Fernando suchen?«
»Wir müssen warten, bis der Pfeifer zurück ist. Wenn Fernando tot ist, können wir ihm auch nicht mehr helfen. Und lebt er noch, so werden sie ihn jetzt nicht erschlagen, da eine Abordnung von uns bei ihnen ist.«
»Der Señor Doktor«, murmelte Ernesto, »hat immer so sonderbare Gedanken.«
»Hm«, machte Marina und ging.
8
Tunatatschi, der ebenso gemächlichen Schrittes, wie er zu Hassan gegangen war, seinen Rückweg zur Stadt machte, stutzte und sah auf. Auf- und abschwellend wie die Wellen des Meeres drang das lärmvolle Schnattern seiner Untertanen in seine Ohren. Als er über die letzte Hügelkette schritt, die bis dahin noch sein Blickfeld unterbrochen hatte, konnte er das Gewimmel auf den Stegen der Pfahlstadt erkennen.
Er beschleunigte seinen Schritt, denn er ahnte Böses.
Nachdem er herangekommen war, ebbte der Lärm mit dem Tempo seiner Schritte ab. Er ging auf den Hauptsteg zu, blieb aber plötzlich stehen; denn dicht vor ihm richteten sich drei Gestalten aus dem Grase auf.
Es waren der Pfeifer, Ojo und Mutatulli.
Mutatulli trat vor und grüßte, wie er es von seinen eigenen Stammesangehörigen auf Borneo kannte.
Tunatatschi entbot daraufhin seinen Gegengruß.
Die Fremden schienen in friedlicher Absicht gekommen zu sein.
»Der Admiral unserer Flotte möchte dich sprechen«, sagte Mutatulli in dem malaiischen Sprachgemisch, das den Eingeborenen von Insel zu Insel als Verkehrssprache diente.
Tunatatschi verstand es; seine Untertanen allerdings sprachen nur den urbandanesischen Dialekt, wie er vor etwa hundertfünfzig Jahren noch auf den Banda-Inseln gebräuchlich war. Das war ein Zeichen der Weltabgeschiedenheit und völligen Isolierung dieser Insel.
»Du hast dich den weißen Eindringlingen als Dolmetscher zur Verfügung gestellt«, sagte Tunatatschi in verächtlichem Tone zu Mutatulli. »Du bist ein Knecht der Weißen!«
Читать дальше