Warum Philipp der Schöne den Templerorden verfolgte
Das gilt besonders für Frankreich. Noch gibt es mehrere unabhängige Königsherrschaften und Fürstentümer, und die Engländer halten einen Teil Frankreichs in ihrer Gewalt, den erst Jeanne d’Arc mehr als 100 Jahre später befreien wird. Philipp IV. (1285-1314), genannt der Schöne, beginnt, das Reich zentralistisch auszurichten und alle Macht auf sich zu konzentrieren. Um seine Bewohner hinter sich zu bringen, werden 1302 die Generalstände berufen, ein Gremium, in dem neben Geistlichkeit und Adel zum ersten Mal auch das Bürgertum vertreten ist. Gleichzeitig vergrößert Philipp aggressiv sein Territorium, er erobert Teile des Königreichs Burgund (unter anderem das Gebiet um Lyon und die Provence).
Philipps ehrgeizige Politik ist teuer – und dem König fehlt es an Geld. Sein Versuch, den bisher unabhängigen Klerus zu besteuern, führt zu einem Streit mit dem Papst Bonifaz VIII. (1294-1303). Philipp ist in seinen Mitteln nicht wählerisch: Nach dem Tod von Bonifaz kommt – nach einem nur wenige Monate dauernden Zwischenspiel von Benedikt XI. – bei einer von ihm bestimmten Wahl der ihm angenehme Kandidat Clemens V. auf den Papstthron. 1309 verlegt Clemens dann seine Residenz nach Avignon. Dort, das hofft Philipp, kann er die Päpste besser kontrollieren und lenken.
Unter Philipps ersten Opfern sind die Juden Frankreichs. Philipp belegt das Nichttragen des Judenabzeichens mit hohen Geldstrafen, verbietet den Juden das Wohnen außerhalb der Städte, schließlich, am 22. Juli 1306, werden alle Juden im Herrschaftsbereich des Königs verhaftet und des Landes verwiesen. Dazu treibt ihn nicht etwa religiöser Fanatismus, sondern die Gier nach Geld: Die Habe der Juden wird vom französischen König konfisziert, Außenstände bei Christen werden zugunsten des königlichen Schatzes eingetrieben. Ein Teil der vertriebenen Juden zieht nach Lothringen, Burgund und in die Dauphiné, während die Juden Südfrankreichs in das Gebiet des Königs von Mallorca und in das spanische Aragon auswandern. Im Jahr 1315 dürfen die Juden dann wieder nach Frankreich zurückkehren, allerdings gegen die Zahlung hoher Summen. Die Niederlassung auf Gebieten des Königs wird ihnen ausdrücklich erlaubt. Sie dürfen auch wieder Handel und Gewerbe treiben; Pfänder können mit bis zu 43 Prozent jährlichen Zinsen belegt werden. Ihre bei der Vertreibung aufgegebenen Synagogen und Friedhöfe können die Rückkehrer zurückkaufen, außerdem dürfen sie die Herausgabe der beschlagnahmten Bücher – mit Ausnahme des Talmuds – verlangen. Wie schon vor der Vertreibung müssen die Juden das ringförmige Judenabzeichen tragen. Es vergehen nur zwei Jahre bis zu erneuten Judenpogromen in Chinon, die zweite Vertreibung folgt im Jahr 1322.
Nur wenige Jahre nach der ersten Enteignung und Vertreibung der Juden schielt Philipp nach dem immensen Vermögen und der Macht des reichsten geistlichen Ordens seiner Zeit, des Templerordens. Längst schon spielen die einstmals armen Ritter auf der weltpolitischen Bühne; Philipp wird besonders geärgert haben, dass sie den Krieg seines Feindes, des englischen Königs Edward I. gegen Frankreich mitfinanzieren. Aber die Templer haben zudem ungeheure Mengen an Grundstücken angehäuft (Adelige vermachten ihnen Liegenschaften, um ins Himmelreich zu kommen), und sie kontrollieren das Bankwesen in ganz Europa. Philipp ist bei ihnen tief verschuldet. Er zwingt den ihm gehorsamen Papst zur Ächtung des Ordens. Ein paar Vorwürfe – darunter Anbetung eines Idols, Sodomie, Gemeinschaft mit den ungläubigen Muslimen – sind schnell aus dem Hut gezaubert. Insgesamt 127 Punkte umfasst die Anklageschrift letztlich. Die Mitwirkung des Papstes nötigt alle christlichen Könige Europas, sich an der Verfolgung der Templer zu beteiligen, obwohl der Orden als Bild der Frömmigkeit und christlichen Rittertugend gilt und niemand überhaupt die Vorwürfe glaubt. Ab Freitag, dem 13. Oktober 1307, werden in ganz Frankreich sämtliche Templer verhaftet – insgesamt 5000. Die Aktion läuft innerhalb eines Tages ab – die restlichen Länder Europas aber folgen eher widerwillig, und in Spanien, in Italien, England und im Deutschen Reich dauert es Monate, bis die vom französischen König betriebenen Erlasse des Papstes umgesetzt werden. Dennoch: Kerker und Folter folgen, und nicht wenige Mitglieder des Templerordens gestehen unter Pein die ihnen angedichteten Verbrechen und Ketzereien. Im März 1314 wird dann der Großmeister der Templer, Jacques de Molay, auf einer Seine-Insel in Paris verbrannt – das infame Ende einer gewaltigen Verschwörung, mit dem dieser Roman beginnt. Jacques de Molays letzte Worte, nachdem er sich geweigert hat, seine »Sünden« zu bekennen, sind: »Lass Übel über all jene kommen, die uns verdammt haben. Gott wird unseren Tod rächen. Gott wird uns Gerechtigkeit widerfahren lassen. Unsere Feinde sollen das erleiden, was wir erlitten haben, für das, was sie uns angetan haben.« Vermutlich entgingen in Frankreich nur 20 Templer der Vernichtung, der – historisch fiktive – Henri de Roslin unseres Romans ist einer davon.
Das Ende des Templerordens
Die Tempelritter waren 1118 gegründet worden, um das Leben der Pilger im Heiligen Land zu schützen – die Kriegermönche kamen dabei zu Wohlstand und zogen sich, als Palästina für die Christenheit verloren war, nach Europa zurück. Nichts deutete auf ihr Ende hin, das sich über sieben lange Jahre hinzog.
Das Ende der Tempelritter beginnt am 14. September 1307 mit dem Befehl des französischen Königs, alle Templer in Frankreich zu verhaften, und erreicht mit der offiziellen Auflösung des Ordens durch die päpstliche Bulle Vox in excelso vom 22. März 1312 einen ersten Höhepunkt. Die Organisation existiert längst nicht mehr, aber noch leben die Würdenträger des Ordens, die unter der Folter schon 1307 alle die Ungeheuerlichkeiten bekannt haben, die dem Orden als Ganzes und seinen Mitgliedern in der Anklageschrift vorgeworfen werden. Eine weitere päpstliche Bulle mit dem Titel Considerantes dudum vom 6. Mai 1312 bestimmt, dass die im Laufe des Prozesses für unschuldig befundenen oder nach ihren Geständnissen »mit der Kirche versöhnten« Ordensmitglieder unterstützt durch finanzielle Zuwendungen in den ehemaligen Häusern des Ordens leben dürfen. Diejenigen, die standhaft geleugnet oder ihre Geständnisse widerrufen haben, werden mit harten Strafen bedroht.
Die Aburteilung der hohen Würdenträger, insbesondere des Großmeisters Jacques de Molay, hat sich Papst Clemens V. selbst vorbehalten. Der Großmeister hat immer betont, dass er allein dem Papst gegenüber Rechenschaft abzulegen gedenke, dem er völlig vertraut. Doch der Papst verrät dieses Vertrauen.
Am 23. Dezember 1313 beruft er endlich eine päpstliche Kommission zur Vernehmung des Großmeisters und der anderen Ordensoberen ein; unter den drei berufenen Kardinälen ist auch Nikolaus von Fréauville. Diesem Mann des Königs hat Jacques de Molay schon 1309 gegenübergestanden, als dieser Mitglied der von König Philipp IV berufenen Kommission zur Untersuchung der Vorwürfe gegen den Orden gewesen ist. Der Angeklagte hat von der für den 18. März 1314 festgelegten Sitzung der päpstlichen Kommission also nichts zu erwarten. Und so wird er an diesem Tag auch nicht befragt, es gibt auch keine Verhandlung, allein der Urteilsspruch wird verlesen. Der Großmeister, der Präzeptor der Normandie, Geoffrey de Charney, sowie Hugues de Pairaud und Gottfried von Gonneville werden zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt.
»Doch während die Kardinale glaubten, damit sei alles in dieser Angelegenheit abgeschlossen, erhoben sich ganz unversehens und unerwartet zwei von diesen Männern, der Großmeister und der Meister der Normandie, die sich starrsinnig dem Kardinal, der den Beschluss vorgetragen hatte, und dem Erzbischof von Sens widersetzten und ihr Geständnis und alles, was sie bis dahin gesagt hatten, widerriefen…« [zit. n. Demurger, 1992, S. 260]
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