Aber es waren ja nur die Balearen, die warteten.
Jede Minute der zurückliegenden Tage war angefüllt gewesen mit quälenden Erinnerungen. Ein Leben auf der Flucht war nicht angenehm. Es gab darin so viel Unwägbarkeiten, so viele begangene Fehler. An diesem Morgen der Abreise aus seiner Wahlheimat Frankreich hasste Henri die unbarmherzige Flüchtigkeit der Zeit und hätte sich ein Verweilen gewünscht. Hatte er nicht wie jeder ein Anrecht auf Gottes treue Erde?
Ihr aller Leben war so flüchtig! Wie ausgespien! Und wenn es auch noch mit pausenlosen Gefahren angefüllt war, dann schien es doppelt schwer erträglich zu sein.
Von diesem Gedanken gequält, wurde er nun gänzlich wach. Er sah hinaus auf das Meer. Jetzt erblickte er Uthman, Joshua und Sean, die aus dem Klostergarten zu ihm heraufkamen. Jacques de Charleroi war vor Tagen nach dem portugiesischen Castro Marim zurückgekehrt. Und auch die anderen Freunde und Leidensgefährten aus Frankreich blieben zurück.
Henri spürte ein Glücksgefühl in sich aufsteigen, Glück darüber, solche treuen Gefährten zu haben.
Henri erhob sich. Zu jedem Leben, auch zu seinem, zählte jede unbarmherzige Minute, die man im Ungewissen verweilen musste. Er fürchtete sie, denn niemand wusste, was als Nächstes geschah, niemand, was morgen kam. Und gleichzeitig genoss er jede Minute.
Denn jetzt spürte er es genau. Heute war ein guter Tag zum Überleben.
Historische Nachbemerkung
Der Tod von Papst und König, der Schatz der Templer und das Exil in Avignon
Henri und Uthman haben den Fluch der Templer vollendet – Papst Clemens V. und der französische König Philipp der Schöne sind tot; die Vernichtung der Templer ist gerächt. Aber wieso residiert der Papst in Avignon und nicht in Rom? Was weiß man wirklich über den Tod der beiden Drahtzieher des Templermordes? Was hat es mit dem sagenhaften Schatz der Templer auf sich? Was ist in diesem Roman historisch, und was ist Fiktion?
Der sagenhafte Schatz der Templer
Wenn es ein Rätsel gibt, das immer mit dem Templerorden verbunden sein wird, dann ist es die Frage nach der Existenz des legendären Ordensschatzes. Dass der Orden sehr reich war, zeigt sich insbesondere an dem gewaltigen Landbesitz, über den die Templer im Abendland, aber auch im Heiligen Land verfügten. Zahllose Schenkungen von Fürsten und Privatpersonen hatten einträgliche Güter in den Besitz des Ordens gebracht, aus deren Einkünften die Kosten des Kampfes im Heiligen Land bestritten wurden. Natürlich verschiffte der Orden keine Naturalien ins Heilige Land, sondern Geld, um es vor Ort zur Beschaffung der für den Kampf benötigten Dinge zu verwenden. Damit waren sicherlich ständig größere Geldmengen auf Transporten zu Land und zu Wasser unterwegs oder wurden auch in Komtureien gelagert. Im Temple von Paris, in dem ein regelrechtes Bankhaus mit geregelten Kassenzeiten betrieben wurde, war in den Jahren vor der Verhaftung der Templer auch der königliche Schatz aufbewahrt worden. Insgesamt wurden hier sechzig Privatkonten geführt, die Mitgliedern des Hochadels, Kirchenfürsten, aber auch Würdenträgern des Ordens gehörten. Geldmittel waren also zur Zeit der Verhaftung fraglos in großen Mengen vorhanden. Aber dies betraf wohl nicht nur den Temple in Paris, sondern auch andere Stützpunkte der Templer in Frankreich, wo in ähnlicher Weise das Geld der Kunden aufbewahrt wurde.
Ein Hinweis auf einen tatsächlich verschwundenen Templerschatz findet sich in der Aussage des dienenden Bruders Jean de Châlon. Er war zur Zeit der Verhaftung Präzeptor des Templerhauses von »Nemoris« (Namur?). Ende Juni 1308 wurde er von der päpstlichen Kommission in Poitiers als 46. Zeuge in den Anhörungen von Poitiers befragt. Dabei gab er an, einige der hochrangigen Ordensmitglieder hätten schon vorzeitig von der drohenden Verhaftung erfahren. Zu diesem Kreis gehörte seinen Angaben nach der Präzeptor von Frankreich, Gérard de Villiers. Dieser machte sich mit 50 Pferden auf den Weg und stach, wie der Zeuge gehört hatte, mit 18 Galeeren in See. Weiter sagte Jean de Châlon aus: »… Bruder Hugues de Châlons machte sich mit dem gesamten Schatz des Bruders Hugues de Pairaud auf die Flucht« [Finke, II, S. 339 (Nr. 155)].
Unwahrscheinlich ist es nicht, dass die Templer die Pläne des Königs zu ihrer Verhaftung in Erfahrung bringen konnten. Der Brief, mit dem Philipp IV. den Haftbefehl erteilte, war am 14. September 1307 verfasst worden, einen ganzen Monat vor dem Verhaftungstermin. Schon in der Woche nach dem 1. Oktober erschien Hugues de Pairaud vor dem Papst und äußerte seine Bedenken wegen des Inhalts des königlichen Briefes und sprach davon, dass er, wenn es möglich wäre, sein eigenes Leben und das seiner Brüder retten wolle [Schottmüller, I, S. 128; Michelet, II, 373]. Auch warnte der Vorsteher des Temple in Paris alle dort dienenden Brüder vor Aussagen, die dem Orden Schaden zufügen könnten.
Etwa 30 namentlich bekannte Templer nutzten das Wissen um die drohende Verhaftung zur Flucht. Etwa die Hälfte von ihnen wurde später aufgegriffen und den Untersuchungskommissionen vorgeführt. Wir wissen von ihrer Flucht durch ihre Aussagen. Eine Liste nennt die Namen von insgesamt zwölf Flüchtlingen. Zwei von ihnen, Pierre Bouche und Imbert Blanc, erscheinen in späteren Protokollen, wurden also bald nach ihrer Flucht erkannt und festgenommen. Unter den übrigen Genannten finden sich nur zwei auch sonst bekannte Namen. Es sind Gérard de Villiers, von dem es hier heißt, er habe »… vierzig Brüder bewaffnet…«, und Hugues de Châlons [Finke, II, S. 74 (Nr. 50, I)]. Damit steht fest, dass zumindest der Schatz des Visitators von Frankreich, Hugues de Pairaud, tatsächlich mit unbekanntem Ziel verschwand.
Diese Flucht war allem Anschein nach keine Kurzschlusshandlung. Dahinter stand vielmehr ein Plan mit dem Ziel der Ermordung des französischen Königs. Eine kurze Notiz in derselben Handschrift, die auch die Liste der Flüchtlinge enthält, spricht von einer Verschwörung. Es heißt dort:
»Der Bruder Hugues de Châlons, Neffe des Visitators, und Bruder Girardus de Monte Claro, Ritter des Ordens oder Templer-Sekte, beabsichtigten zusammen mit einigen ihrer Komplizen von derselben Sekte, den König zu töten« [Finke, II, S. 75 (Nr. 50, II)].
Diese Notiz ist der einzige Hinweis auf ein solches Komplott. Ein weiteres Indiz für ein geplantes Vorgehen ist möglicherweise in der Verwandtschaft zwischen einzelnen der Flüchtlinge untereinander und mit Hugues de Pairaud zu sehen. Man kannte sich und war sich seiner Vertrauten sicher. Auch wenn Jean de Châlon aussagt, Gérard de Villier habe 50 Pferde weggeführt, die Liste der Flüchtlinge aber mitteilt, er habe 40 Brüder des Ordens bewaffnet, so ist zu erwarten, dass beides zusammengehört. Er rüstete offensichtlich eine bewaffnete Truppe aus, die zu Pferd mit unbekanntem Ziel verschwand. Dass sie sich tatsächlich einschifften, ist unwahrscheinlich, der Zeuge hatte dies auch nur gehört. Die achtzehn Galeeren wären zweifellos aufgefallen, eine solche Flotte war Aufsehen erregend. Zur Finanzierung des Vorhabens hatte Hugues de Pairaud seinen Schatz, vielleicht den Inhalt seines Bankguthabens im Temple von Paris, den Mitverschwörern übergeben. Er wurde an einen ebenfalls unbekannten Ort gebracht.
Das Vorhaben scheiterte offensichtlich. Es ist zu erwarten, dass die Verschwörer vorhatten, den König noch vor der Vollstreckung des Haftbefehls zu ermorden, um diesem zuvorzukommen. Wahrscheinlich hätte der Tod des Monarchen das Vorgehen gegen den Orden zu einem Ende gebracht. Nach der Verhaftung konnte der Anschlag allerdings nur noch wenig Sinn haben, denn dann wäre der Verdacht sofort auf die Templer gefallen.
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