Das Metall des Ungetüms wurde durch Öfen im Innern in Höllenglut versetzt. Mit Hilfe entsprechender Vorrichtungen wurden die mächtigen Arme in Bewegung gesetzt. Mit Hilfe dieser Ur-Maschine konnte man die Opfergaben ergreifen und sozusagen vom Götzen auffressen lassen. Wurde die Wirkung der Dampfkraft also bereits von den orientalischen Priestern genutzt?
Die Verehrung des mächtigen Stiers mag in der Urzeit gewaltige Räume zwischen Ost und West beherrscht haben. Sie stammt zweifellos aus Zeitaltern, als das noch völlig unge-zähmte Rind die wohl gefährlichste Beute unserer Vorfahren war. Wer ihn niederstrecken konnte, galt als ein Über-Stier, der die Kraft des Besiegten in sich aufnahm.
Ein Rest dieses Volksglaubens der Urzeit findet sich noch in Spanien: Wird das Tier in den Stierkämpfen besiegt, dann gilt sein Fleisch und Blut als von gewaltiger Feuerkraft durchglüht. Männer und Frauen aus der besten Gesellschaft essen von dem «durch die Leidenschaft erhitzten» Opfer. Sie sind überzeugt, daß dies ihre Adern mit der «Stärke des Stieres» erfüllt.
Es gibt sogar in nördlicheren Ländern zahlreiche Zeitgenossen, die, zumindest in ihren Träumen, die Zuneigung zu dem blutigen Brauch spüren. Ohne mit den Nicht-Eingeweihten darüber zu sprechen, pilgern sie voll innerer Leidenschaft auf die Pyrenäenhalbinsel. Sie sind stolz, mit den Stierkämpfern das Weinglas «auf den Stier» heben zu dürfen. Sie trinken dann ebenfalls das dampfende Blut des erlegten Tieres und sind überzeugt, daß dadurch ihre eigene Lebenskraft ins Unermeßliche steigt. Eine moderne Sage dazu vernahm ich 1981 in Los Angeles: Sogar der bekannte Schriftsteller Ernest Hemingway soll so gehandelt haben.
In den Alpenländern hat man etwa die Kraftmenschen, die meist aus dem Hirtenstand stammenden Ringer, zum Spaß als Söhne von Stieren bezeichnet. Einige waren wegen ihres harten Schädels und ihres Stiernackens gefürchtet: Mit ihrem Kopf konnten sie buchstäblich durch die geschlossene Türe der Gaststube «gehen».
Die Urner, der Stamm des Freiheitshelden Tell, wollen bekanntlich von den Nomadenvölkern des Ostens, den Skythen und Hunnen abstammen. In die Schlachten wurden sie geführt durch einen Mann, den man geradezu als «Stier von Uri» be-zeichnete. Er trug Rinderhörner auf dem Kopf und blies auch mit einem mächtigen Horn zum Angriff. Seine Kampfmusik soll ebenso sein Volk mit einem rasenden Mut, wie die Feinde mit einem unerklärlichen Entsetzen erfüllt haben. Am Rathaus des Gebirgsländchens Schwyz sehen wir das Bild des einst gefeierten Urahnen Suitus oder Schwyt: Auch er besitzt zur auffallend breiten und nackten Brust spitze Stierhörner als Kopfschmuck.

Der «Moloch-Stier» bedeutet noch in den Geheimlehren des 18.-19. Jahrhunderts die Verkörperung der irdischen Urkraft.
In Paris berichtete man mir als einen Ausspruch des spanischen Malers Pablo Picasso: «Nur wer den Minotaurus und den Stierkampf versteht, begreift das Mysterium der Mittelmeerkulturen.» Er soll immer, wenn er etwas entmutigt war, diesem Geheimnis nachgesonnen haben: Dies habe dann jedesmal in seinem Geist und Körper die schöpferische Urkraft erweckt.
Die Schlangenrasse der Nagas
Indien, die erste Urheimat?
Die Sage von den klugen Schlangenmenschen ist überall in der Welt verbreitet: Am zahlreichsten erscheinen sie in den warmen Gebieten von Indien, die für die Vielfalt der Schlangenarten seit jeher berühmt sind.
Naga ist seit dem Altertum der Name für ein solches Schlangenwesen. Bald soll es eine vollkommene Menschengestalt annehmen, bald sich durch «Magie» in ein Kriechtier verwandeln können. Auf Bildwerken werden die Angehörigen des Schlangenvolkes oft als Halbtiere dargestellt, deren schöner Leib nach und nach in einen Schuppenschwanz übergeht. Auf dem Haupt tragen diese Geschöpfe strahlende Goldkronen, auf denen kostbare Edelsteine funkeln.
Durch geheimnisvolle Höhlen kann man in ihre unterirdischen Reiche gelangen, in denen berauschender Überfluß an sämtlichen Reichtümern herrscht. Doch das Schlangenvolk soll nicht nur in jeder Beziehung wohlhabend sein, man schreibt ihm auch ein tiefes Wissen der «vergessenen Künste» und der Naturwissenschaften zu. Kein geringerer als Buddha Sakjamuni soll mit diesem Tiervolk eine enge Freundschaft gepflegt haben. Gern plauderte er mit ihm über Dinge, von denen wir menschlichen Wesen keine Ahnung besitzen. Vom Größenwahn, den Menschen als «das höchste Wesen des Universums» anzunehmen, blieben die indischen Religionen frei.
Der Schlangenkult gilt als uralt und soll das Erbe von geheimnisvollen Rassen sein, wie sie sich unvermischt nirgends mehr auf der Welt vorfinden. Es gibt aber immer noch Tempel und heilige Höhlen, die diesem Glauben geweiht sind. Gleichzeitig ist er an vielen Orten eine sogenannte «Familienreligion»: In gewissen Häusern wird das Bild einer Schlange oder auch eine lebendige Schlange verehrt. Dadurch sollen die Menschen, die solche Bräuche ausüben, des mächtigen Schutzes durch die Kraft der Nagas teilhaftig werden.
In Assam gibt es Stämme, die man noch heute Nagas nennt und die mit den einstigen «Schlangenfürsten» verwandt sein sollen. In einer Sammlung sah ich Metalldolche, die von die sen «Ur-Indern» stammen. Sie haben tatsächlich die Form einer Welle oder einer sich windenden Schlange. Der Stich der «sich schlangelnden Klinge» soll im Nahkampf besonders sicher und damit mörderisch sein.
Auch große Helden der indischen Dichtung, etwa König Arjuna in den wunderbaren Geschichten des Werks Mahab-harata, sollen märchenhaft schöne Schlangen-Prinzessinnen geheiratet haben. Deren Kinder besitzen oft einzigartige Begabungen und sind im Krieg geradezu unbesiegbar. Ihr Volk hütet den Lebenstrank, der Soma heißt: Sogar Leichen können mit ihm auferweckt werden.
Über Naga-Künste finden sich nicht nur in den dichterischen Werken der Inder mannigfaltige Anspielungen. Sie drangen sogar in die Naturwissenschaften und namentlich in die urtümliche Heilkunst Asiens ein. Allgemein glaubte man einst an die vielgenannten «Schlangenmädchen»: Dank ihrer unschuldigen Lieblichkeit sah ihnen kein Mensch an, daß sie seiher eine gefährliche Waffe waren.
Schon kurz nach der Geburt soll man ihnen kleine unschädliche Mengen von Schlangengiften eingeflößt haben. Diese wurden dann jahrelang Tropfen um Tropfen gesteigert, kaum daß sich ihr Leib an die zuerst schwache «Arznei» gewöhnt hatte. Wenn sie dann erwachsen wurden, war ihr Körper nicht nur schön, er war auch bis in jede Zelle vom starken Gift durchsetzt.
Angeblich sollen Herrscher, die Tag und Nacht streng bewacht wurden, von ihren Feinden durch solche menschliche Schlangen ermordet worden sein: Die Mädchen wurden den Königen, die man beseitigen wollte, als Geliebte zugeführt. Doch schon ihr Kuß genügte, den Unglücklichen mit ihrem Gift in Berührung zu bringen. Nach einer bestimmten Zeit, die angeblich die altindischen Ärzte auf die genaue Stunde berechnen konnten, lag dann der Herrscher als bleiche Leiche auf dem Teppich.
Besitzen wir in diesen zahlreichen Berichten wiederum ein Gegenstück zu den europäischen Hexensagen? Auch von unseren Frauen wurde schließlich recht häufig behauptet, daß sie sich in Schlangen zu verwandeln und «durch ihre bloße Berührung» zu vergiften vermochten! Vielleicht war also die Sage um die Schlangenmädchen schon in Asien dazu da, gewisse Stämme und ihre Bräuche voll Haß zu verleumden.
Ein alter georgischer Dichter, den ich als Flüchtling 1956 in Genf kennenlernte, sah hier aber sogar ein orientalisches Sinnbild der echten und großen Liebe: «Wahrscheinlich ist die ganze Sage über Indien und Persien in den Kaukasus gekommen. Ein Schlangenmädchen tötet durch seine Umarmung jeden Mann. Nur den kann sie glücklich lieben, der das übereinstimmende Gift in sich trägt. Die Weisen wollten damit wohl sagen, daß wir nur mit jenem Menschen wirklich ganz unbeschadet leben können, der schon seit der Geburt für uns bestimmt ist.»
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