Im übrigen führen sich im Werk des gründlichen Olaus Magnus die Werwölfe nicht nur tierisch sondern auch menschlich genug auf. Er erzählt von seinen Werwölfen, die in der Weihnachtszeit die Gegend unsicher machen: «Sie dringen in die Bierkeller ein. Sie trinken dort etliche Tonnen(!) Bier oder Met aus. Die leeren Fässer stellen sie in der Mitte des Kellers aufeinander. Dadurch unterscheiden sie sich von geborenen und echten Wölfen.» Dieses tüchtige Zechen des Wolfsvolks in den Langen Nächten ist ganz sicher ein wichtiger Hinweis: Der Eindruck der Tierleute, sich wirklich in wilde Tiere zu verwandeln, wurde zweifellos durch ihren starken Rausch gefördert.
Wichtig scheint uns noch ein weiterer Hinweis des bedeutenden schwedischen Wissenschaftlers: «Dem Ort jedoch, wo sie in jener Nacht (der Verwandlungen, S. G.) gerastet haben, schreiben die Einwohner dieser Länder etwas Prophetisches zu.» Dies sei offensichtlich eine Erfahrung der baltischen und angrenzenden Stämme «seit langer Zeit».
Hier haben wir möglicherweise einen weiteren Hinweis auf die Tatsache, daß das Volk aller Länder gewisse Plätze in der Wildnis als «heilig» ansieht. Zumindest im Alpenraum sind das häufig Orte, die naturverbundene Menschen der Umgebung als Treffpunkte von Wildtieren kannten. Man betrat sie mit Scheu und Ehrfurcht. Es war schlimmer als Frevel, sie etwa durch die Jagd zu entweihen. Selbstverständlich wurden sie nie durch Abfall beschmutzt.
Sagen um Hexen und Hexer, «die sich hier in Tiere verwandeln», umgeben solche Stellen noch heute. Es ist darum in den meisten Fällen wahrscheinlich, daß sich hier, an den Lieblings-plätzen ihrer Tiere, deren Verehrer trafen. Sie zogen ihre Felle an und versuchten sich in einer entsprechenden Umgebung in das besonders verehrte Geschöpf möglichst vollkommen einzufühlen.
Im Alpenraum und im oberen Rheintal nannte man mir noch etliche Stellen, «wo sich einst Wildkatzen paarten und sich die Hexen in Katzengestalt trafen». Es ist kaum zu bezweifeln, daß die Angaben von Olaus Magnus im wesentlichen stimmen. Im Norden gab es zweifellos viele Plätze, die mitten im «Wolfsland» lagen: Hier trafen sich die Verehrer der «Fürsten der Nacht» im Fell.
In jedem Fall finden wir hier die Erfahrung und Überzeugung der Alten, daß solche Treffpunkte in Wald und Feld von einer bestimmten «Kraft» erfüllt sind. Diese brauchen die Tiere für ihr glückliches Gedeihen. Die Menschen, die sich mit ihnen wesensverwandt fühlen, suchen sie ebenfalls auf. Gemeinsam versuchen sie, diesen Zauber der Umwelt besser zu erfühlen, zu begreifen und für das eigene Wohlergehen zu verwenden.
Verwandlungen durch 2000 Jahre
Eine verhältnismäßig ausführliche Schilderung der Verwandlung in den Werwolf finden wir bereits beim römischen Schriftsteller Petronius. Er lebte im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung: Zur Zeit des ungerechten Kaisers Nero wurde er aus Neid über seine hohe Bildung in den Selbstmord gehetzt.
Mit einem ihm nicht näher bekannten Mann geht der Held der Geschichte, die uns Petronius erzählt, auf nächtlichem Wege. Wie in den ganz modernen Erzählungen und in Filmen um die Werwölfe scheint der helle Vollmond: «Wir machten uns gegen Mitternacht... auf den Weg. Der Mond schien so helle, als wenn es Mittag wäre. Wir gingen endlich nun über die Gräber. Da fing auch mein Kerl an, die Sterne zu beschwören...»
Der unheimliche Begleiter entledigt sich sodann aller Kleider - und verwandelt sich darauf in einen grimmigen Wolf. Petronius läßt den Zeugen des Vorganges feststellen: «Es schwindelte mir vor den Augen, und meine Seele wollte aus der Nase fahren...». Petronius, der bekanntlich auch erschreckende Geschehnisse mit überlegenem Humor schilderte, will offensichtlich sagen: Der Mensch kann die Verwandlung in einen Wolf nur dann schauen, wenn seine Sinne in eine andere Wirklichkeit blicken.
Das helle Mondlicht, eine Umwelt von Wald und Gräbern, die Beschwörung der Sternenkräfte durch den unheimlichen Begleiter - dies alles versetzt den Zeugen in eine gesteigerte Erregung. Ein Schwindelgefühl durchfährt seine Sinne. Die Verbindung der Seele zum Leib scheint sich nun zu lockern. Es wird also dem Menschen fast, als betrete er das Jenseits: Er kann nun Dinge wahrnehmen, die nicht in unserer materiellen Welt stattfinden.
In volkstümlichen Sagen und modernen Romanen verwandelt sich der Werwolf monatlich in sein Lieblingstier - immer wenn am Himmel der Vollmond scheint. Gewisse Berichte, die genau sein wollen, lassen ihn noch viel seltener erscheinen. Nämlich nur: «Die Nächte des Vollmondes, während denen der Akonit wächst.»
Das ist eine sehr gefährliche Pflanze, die wir als Eisenhut kennen. Sie einzunehmen bedeutet einen qualvollen Selbstmord. Von der Sage wird behauptet, daß die einstigen Hexen und Heiler eine Reihe von Verfahren kannten, um die geheimen Wirkungen unbeschadet benützen zu können.
Immerhin wird von der Naturwissenschaft, die vorsichtig die uralten Überlieferungen zu überprüfen versucht, versichert: Schon wenn man winzige Mengen Akonit mit unserer Haut in Verbindung bringt, entsteht auf ihr eine gewisse Verminderung des Gefühls. Schläft dann der Mensch, der mit allen Vorsichtsmaßnahmen den Versuch unternimmt, empfindet er seine Haut irgendwie «pelzig»! Gerät er darüber in wildes Träumen, so kann es ihm erscheinen, er besitze ein richtiges Fell. Dies sei nur die Folge seines durch das Gift verringerten oder gestörten Empfindungsvermögens ...
Im Neuenburger Jura hat man es mir erzählt: Es gab früher Menschen, denen die Jagd in der Wildnis als die höchste Leidenschaft galt. Sie durchstreiften darum in bestimmten Nächten, gemeint ist sicher in denen des Vollmondes, ihr Lieblings gebiet. Dies taten sie, wenn schon die kalten Winde durch das Land streiften, das welke Laub naß den Boden bedeckte. Es nahte also die strenge Zeit, in denen die Wölfe mit immer kühneren Streifzügen begannen.
In der Öde der Nacht, von tausendfachen Düften erfüllt, begann auch der Mensch zu spüren und zu riechen, als wäre er selber ein wildes Tier. Das Mondlicht und die Schwaden, die vom Eisenhut und namentlich von der Fäulnis im Sumpf aufstiegen, sollen das übrige getan haben. Früher oder später kam über den wilden Jäger der Herbstrausch, seine Wahrnehmung verwirrte sich, unglaubliche Bilder umhüllten den Geist. Wellen der Angst vor dem Unbekannten, dem lauernden Feind, reizten die Nerven bis zum Unerträglichen. Die sich steigernde Spannung zwang die Sinne, jeden Geruch, jeden aufglänzenden Lichtfunken schärfer wahrzunehmen, als es sonst die Gewohnheit von uns Menschen ist.
Irgendwo, in einer ihm bekannten Höhle oder einsamen Waldhütte endete der Weg des Menschenwolfs. Er fiel auf die bloße Erde und ergab sich endgültig der Traumwelt, die ihn in das Reich der wilden Tiere entführte. Es soll sogar vorgekommen sein, daß er nicht einmal fähig war, ein schützendes Dach zu erreichen. Er fiel auf den bloßen Erdboden und schlief fest ein.
Sein Körper zuckte nun auf eine Art und Weise, die den aufmerksamen Zeugen erkennen ließ: Hier war ein Mensch, dessen Seele gierig durch die Wildnis hetzte, als wäre sie ein echtes Raubtier. Manchmal öffnete sich sogar der Mund des Schlafenden, er fletschte die Zähne und ließ ein undeutliches Knurren hören.
Die alten Jurassier sollen vor solchen Nachbarn, die schließlich am Tage recht vernünftige Verwandte und Freunde sein konnten, keinerlei Angst gezeigt haben. Fanden sie einen Nachbarn beim Morgengrauen ziemlich nackt im feuchten Grase daliegen, bedeckten sie ihn vorsichtig mit einem warmen Mantel. Sie weckten ihn auf jeden Fall nicht gewaltsam: Sie nahmen an, daß es sonst die noch abwesende Seele schwer habe «zurückzukommen».
Dieses Begrüßen des Herbstmondes «nach Art des Wolfes» sollte im übrigen viele Vorteile mit sich bringen. Die sonst von kränklichen Leuten so gefürchteten «herbstlichen Giftnebel» sollten dem leidenschaftlichen Jäger nichts mehr anhaben. Er konnte nun durch Kälte und Nässe eilen, ohne jedesmal für Tage ins Bett sinken zu müssen.
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