Riesenspuren vom Himalaya bis Kalifornien
Wahrscheinlich die meistgenannte Rasse der Tiermenschen oder Menschentiere ist heute das Yeti-Volk im Himalaya-Raum. Forscher, Bergsteiger und Abenteurer veröffentlichen laufend Berichte über die Schneemenschen, und diese scheinen immer mehr jeder vernünftigen Erklärung zu spotten.
Es gibt sehr alte Berichte über menschenähnliche Großaffen in den indischen Gebirgen. Beim Zoologen Conrad Gesner werden die Erzählungen darüber mit den antiken Satyren oder alpenländischen «Ziegenmännlein» zusammengebracht. Doch es ist unmöglich, alle die Sagen und Beobachtungen allein auf das europäische Altertum zurückzuführen; denn schließlich tauchen die völlig behaarten Halbmenschen ebenfalls in den alten chinesischen Handbüchern auf.
Nachrichten voller Ungenauigkeiten, die man gleichermaßen für die Yeti-Affenmenschen und das «Geißenvolk» der Griechen buchen kann, sind recht häufig. Doch die Unterschiede der beiden sind deutlich: Das letztere treibt sich vor allem in Waldbergen herum, nah all der schönen Hirten und Nymphen. Die ersteren leben meist in Gegenden, in denen die Luft dünn und die Umwelt mörderisch kalt ist. Als Bereiche, in denen man sie trifft, werden Höhen von 4000-7000 Metern genannt. Während die Satyrn höchstens so groß wie wir Menschen sind, ragen die «Bewohner des ewigen Schnees» bis 5 Meter und mehr empor.
Entsprechend der kalten Umgebung wird die Sinnlichkeit der Yetis in deren Sagenkreis bedeutend weniger betont als in jenem um die Geschöpfe der freundlicheren Gefilde von Griechenland und Kleinasien. Beiderlei Tiermenschen stellen aber das Geheimnis und die Verkörperung der Lebenskraft der ursprünglichen Natur dar: Die Satyrn in wärmeren, romantischfreundlichen Landschaften, durchweht von glühender Sinnlichkeit; die Yetis, entsprechend ihren übermächtigen Felsengebirgen, die übermenschliche Macht, die in der Umwelt schlummert.
Das Bergvolk der Sherpas kennt aus alter Erfahrung die geheimen Pfade zu den Himalayagipfeln. Ohne deren Hilfe wäre es den Europäern kaum gelungen, unbeschadet bis in diese Höhen vorzudringen. Ihnen verdanken wir die meisten Hinweise auf die gewaltigen Spuren der Gebirgsriesen im vereisten Schnee: Sie sind es auch, die bei den Lagerfeuern den staunenden Reisenden über all die behaarten Urmenschen, die Yetis, Rimi oder Nyalmo, erzählen.
Es ist nun entscheidend, daß gerade diese Sherpas zu den Völkern gehören, denen ihre Umwelt noch immer heilig ist. Professor John Napier wies darauf hin, daß sie keinerlei wilde Tiere zu töten versuchen, nicht einmal Leoparden oder Bären. Der kritische Gelehrte stellt weiter fest, daß das gleiche Volk kaum zwischen der Realität seiner Umwelt und der von ihm felsenfest geglaubten Wirklichkeit seiner Sagen und naturverbundenen Religion unterscheidet. Ist der Anblick eines Yeti eine sinnliche oder übersinnliche Erfahrung? Ob man dies genau unterscheiden kann, mag uns wichtig sein, für die Himalaya-stämme ist es aber ziemlich gleichgültig: Es gibt eben und auf alle Fälle die Menschentiere in der Welt der Sherpas. So oder so.
Neuere Bücher bringen eine rasch wachsende Zahl von ähnlichen Beobachtungen aus anderen Erdteilen. Die Fotos der entsprechenden Wesen aus den USA, China und der früheren Sowjetunion wirken wenig überzeugend. Wir sehen meist nur Schatten in einem verwirrenden Gelände. Zahllos sind aber die oft gewaltigen Abdrücke der Hinterfüße der Bergriesen: Sie werden heute so ziemlich überall in ähnlichen wilden Landschaften gefunden. (Leider nehmen zum Ende des 20. Jahrhunderts die Stammeskriege und Umwälzungen überall zu, daher sind Hinweise auf die verschiedenen Wundergeschöpfe immer schwieriger zu überprüfen.)
Es wimmelt zur Zeit in den Vereinigten Staaten und im westlichen und nördlichen Kanada von «Yeti-Abdrucken». Die Gebiete von British Columbia, das angrenzende Washington, Oregon, Idaho und Kalifornien sind offenbar mit diesen Spuren besonders gesegnet. Angeblich zuverlässige Beobachtungen stammen auch aus New-Mexico, Oklahoma, Iowa, Missouri, Tennessee, Florida: Wegen der erstaunlichen Zeichen auf dem Boden nennt man die selten gesichteten Wesen allgemein «Großfüße» (Bigfoot).
Wichtig scheint uns der Nachweis, daß die ursprünglichen Indianerstämme diese Wesen der Wälder und Berge seit jeher kannten. Ein französisch-kanadischer Priester hörte z.B. in den dreißiger Jahren von den Algonquin-Eingeborenen: Der Groß fuß heißt bei ihnen «Windigo», «er trägt keine Kleider. Sommer und Winter geht er nackt, er leidet nie unter der Kälte.»
Der Yeti und die mit ihm verwandten Rassen in aller Welt wurden in den letzten Jahrzehnten gleichsam zu einem weltanschaulichen Sinnbild: Die Fortschrittsgläubigen, vor allem Menschen aus dem europäisch-nordamerikanischen Raum, erklärten schon im 18. und 19. Jahrhundert, unsere Erde sei gründlich erforscht. Für unsere unstillbare Neugier gäbe es wohl nur eine Flucht vor der drohenden Langeweile: den Vorstoß zu anderen Planeten.
Demgegenüber behaupten Eingeborene, die noch ihre eigenen Überlieferungen bewahren, überall in den durch die Zivilisation wenig berührten Landschaften gebe es noch geheime Tore: Sie führen uns zu Geheimnissen unserer Welt, von denen wir höchstens in unseren Träumen und Dichtungen eine schwache Ahnung haben.
«Wilde Leute» auch im Abendland
Die «Wilden Leute» der alpenländischen Sagen stellt man sich behaart und riesenhaft vor. Ihre Urkraft genügt, ganze Baumstämme und Felsblöcke wie Spielzeug zu bewegen. Sie gleichen den Yeti der Himalayaländer wie Geschwister.
Es gab in den Gegenden von Europa, die lange von der Zivilisation verschont blieben, eigenartige Sippen, die an diese Übermenschen erinnerten. Rassistische Beobachter rechneten diese Stämme weniger den Menschen als den Waldtieren zu. Es gibt sogar Berichte darüber, daß man auf sie mörderische Jagden veranstaltete, nicht anders als auf das Wild der Einöden...
In seinem Wörterbuch der modernen Zigeunersprachen erklärt der Sprachforscher Wolf auch den Ausdruck «Netoto» (Mehrzahl: Netotsi): «Angehörige einer sehr primitiven nomadisierenden Zigeunergruppe von dunkler Hautfarbe, die langes Haupthaar trägt. Sie zieht ohne Wagen und Zelte umher und nährt sich vornehmlich von Wildfrüchten und Wurzeln.» Der rumänische Gelehrte Popp Serbeianu, der sie anscheinend aus eigener Anschauung kannte, beschreibt sie: «Halbwild und halb nackt. Immer ohne Zweck umherirrend, ... sich von allerlei ekelhaften Dingen ernährend, auf dem Boden schlafend, in den Ruinen Zuflucht suchend... Die Netotsi sind schwarz und fast Neger. Sie lassen ihre Haare frei wachsen.» Es ist sehr schwer, bei solchen Berichten Sage und genaue Beobachtung voneinander zu trennen.
Der polnische Schriftsteller und Forscher Dr. Georg Stempowski war in der Huzulei und in angrenzenden Bergländern den Traditionen geheimnisvoller Völker nachgegangen. Als Flüchtling vor den Schergen Stalins in Bern weilend, versicherte er uns 1957: Es gab diese «Wilden Waldmenschen» bis in die Gegenwart, als ihre geliebte Wildnis einer rücksichtslosen Zerstörung anheimfiel. Bis dahin waren sie die Bewohner der Einsamkeiten, die sie, gleich den Tieren, auf Schritt und Tritt kannten.
Stempowski erzählte von ihnen eigentümliche Geschichten über ihre Unempfindlichkeit gegen Kälte und Hitze, ihre Fähigkeit, «Spuren zu riechen» oder herannahendes Unwetter zu fühlen. Die Zigeunerstämme der Sinti und Roma bezweifelten ihm zufolge allerdings, daß diese wilden Waldmenschen ihrer Gruppe zuzurechnen seien. Sie neigten dazu, in ihnen die Nachkommen eines Urvolks zu sehen, das bereits in den Waldbergen hauste, «als die Tiere und Bäume noch ganz anders aussahen».
Der gleiche Pole versicherte: «Sie lebten in kleinen Familien zwischen Balkan, Karpaten und Ural.» Die seßhaften wie auch die eigentlichen Zigeunerstämme sahen in ihnen die Herren der noch ursprünglichen Waldeinsamkeiten. Selbstverständlich gab es in Scherz und Ernst die boshafte Behauptung, daß sie aus einer Verbindung zwischen den «in die Einöden geflüchteten Menschen und deren Getier» hervorgegangen seien.
Читать дальше