Das Schiff fährt durch die Nacht. Doch es scheint seine Reise in Richtung des Paradieses einzuschlagen! Die Stimmung wird immer märchenhafter, weil das ganze Wasser aufflammt und hell zu leuchten beginnt. Dumas läßt seinen Erzähler, den Seemann, versichern: «Man sagt, daß Fische dieses Wunder hervorbringen; ich aber glaube, daß der liebe Gott es ist... Plötzlich schien mir, als ob mitten aus diesen Flammen etwas wie eine menschliche Gestalt auftauchte.» Mitten im Glanz des Meeres zeigt sich in ihrer unsagbaren Schönheit die Wasserfrau.
Dieses «Leuchten der Wasser» brachte man immer gern mit den Nixen und verwandten «Seevölkern» in Verbindung. Schimmerte es über den Wellen auf, dann war man sicher, daß die Meerleute unmittelbar unter der Oberfläche spielten. Von ihren glatten Leibern sollten Strahlen ausgehen, die das Element durchdrangen und durchsichtig machten «gleich Diamantenglas». Verbreitete sich das Leuchten gar über eine weite Fläche, dann nahm man an, «dies seien die Spiegelungen der Städte in der Tiefe». Unter der Oberfläche der Meere sollten die Kristallwohnungen der Meerleute in unvorstellbarer Pracht liegen.

Man betrachte sich moderne mediterrane Volkskunst, die Bilder aus Altertum, Mittelalter, Barock: Die Vorstellungen um die «Menschen im Wasser» wandeln sich nie.
Mein Vater, der es immerhin auf einem Kahn des Schwarzen Meeres zum Steuermann gebracht hatte, sagte später: «Was die Matrosen einander erzählten, mag zur Zeit des Odysseus kaum anders gewesen sein.» Das «Meerleuchten» hat mein Vater mehrfach gesehen und sehr bewundert. Obwohl es viel schwächer war, als er es aus schriftlichen Berichten kannte, machte es auf ihn einen nachhaltigen Eindruck. Die Wirkung wurde dadurch ungemein verstärkt, daß die alten Schiffe noch keine starken Scheinwerfer besaßen und darum meist von undurchdringlicher Dunkelheit umgeben waren.
Auf den Ruf dessen, der «es» zuerst beobachtete, versammelten sich die Matrosen auf Deck und bestaunten das Naturwunder. Die griechischen, bulgarischen und ukrainischen Seefahrer pflegten dabei einige Gebetsworte zu murmeln. Sie taten dies nicht etwa aus Angst, um sich vor irgendwelchen Nachtschrecken aus der tiefen See zu schützen! Das SichBekreuzigen war ein Dank an Gott, «der uns würdig fand, eines seiner schönsten Wunder zuzuschauen».
Man blickte dann in völliger Stille zusammen auf das sich langsam ausdehnende Lichtfeld. Plötzlich hob einer der Matrosen seine Hand und zeigte in die Mitte der einzigartigen Erscheinung. Es war auf einmal, als treibe in der Mitte des eigenartig sich bewegenden, «wie atmenden» Lichts ein Lebewesen: Mitten im Glanz scheint sich ein von innen leuchtender Leib zu bewegen und in den schwankenden Wellen zu schaukeln.
Mein Vater, der noch die ursprüngliche Schiffahrt kennenlernen durfte, hat mir versichert: Die Matrosen auf dem Schwarzen Meer sprachen kaum je mit «Landratten» über solche Wahrnehmungen, von denen sie im übrigen wußten, daß sie schon den Völkern des Altertums bekannt waren. Auf dem festen Erdboden glaubten sie selbst kaum daran, hielten sie wahrscheinlich für Sinnestäuschungen, doch in der Wunderwelt des Meeres zweifelte niemand, «daß es dies gibt»! Ein alter Matrose sagte sogar zu meinem Vater: «Wer solches nie sehen kann, der lernt das Meer nie lieben und bleibt nicht lange Seemann.»
Alexandre Dumas läßt seinen Matrosen, den Freund einer Nixe, ähnlich versichern: «Wenn Sie ange Reisen machen, ... so dürfen Sie mit den Matrosen niemals von Sirenen oder Nereiden, noch von Meerweibchen oder Wassermännern sprechen. Auf dem Lande geht das noch, da lachen die Matrosen darüber, aber auf dem Meer haben sie das Reden darüber nicht gern.»
Die häufigen Sagen über die Nereiden und verwandte Wesen erklären viele moderne Wissenschaftler aus Mißverständnissen: Bei «schwankenden Lichtverhältnissen» verwechseln demnach die Seeleute Delphine, Seekühe oder andere Säugetiere des Meeres mit schwimmenden Menschen.
Es hat nun sicher zu allen Zeiten Verwechslungen zwischen Wassergeschöpfen und schwimmenden Menschen gegeben. Künstler folgten nicht ihrem Augenschein sondern verfertigten Holzschnitte von übertrieben menschenähnlichen Seetieren, die solche Mißverständnisse ermöglichten. Aber das sind Spielereien, die nur unerfahrene Zeitgenossen verwirren: Die echten Seeleute lebten aber nun einmal auf dem Wasser, in ihrem eigenen Element; sie mußten, wenn sie überleben wollten, gut und sehr genau beobachten.
Auch waren die Matrosen sicher mit den Bewohnern der Uferstädte befreundet, die lange Erfahrungen mit der Jagd auf Meertiere besaßen. Daß sie nicht sachlich und scharf genug beobachteten, richtige Menschen darum mit Tieren verwechselten, ist eigentlich schwer vorstellbar. Wir können niemals über Sagen reden, wenn wir nicht die Umwelt berücksichtigen, die sie geboren hat.
Die unglaubliche Anzahl von Berichten über die «Fischmenschen» wird uns eher verständlich, wenn wir die Geschichten der Meeranwohner von Kamtschatka, Sibirien bis nach Island und Kanada hören. Magische Stämme, die als Nachbarn der «echten» Menschen den Norden bewohnen, vermögen sich nach diesen Berichten in eigenartige Meeressäugetiere zu verwandeln. Wer dann diese Geschöpfe in bestimmten Stunden im Wasser sieht, der vermag ihre Umrisse «nie ganz genau zu erfassen». Es flimmert ihm vor den Augen, ganz als sehe er durch den Schaum der Brandung oder durch Nebel hindurch. Bald ist es ihm, als entdecke er deutlich die Gestalt eines Menschen und dann wieder die Flossen und den Schwanz eines Wesens aus dem Fischreich.
Für die Griechen und noch die europäischen Künstler von Barock und Rokoko tanzen und spielen die Delphine mit den Nereiden und Tritonen. In gewissen Schloßteichen bilden die Meersäuger mit all den Kindern des Meergottes ein richtiges Gewühl. Zusammen tauchen sie und zeigen sich an der Oberfläche. Es ist nun schwer, auf den ersten Blick zu erkennen, wo die Grenze zwischen den mehr fischähnlichen und den mehr menschenähnlichen Gestalten verläuft.
In den alten Schloßbibliotheken stehen die mächtigen Lederbände der alten Naturkunde. Es wurde mir mehr als einmal erzählt, wie die hochgebildeten Dichter und Denker des 18. und 19. Jahrhunderts an Teichen mit solchen in Stein gehauenen Märchengestalten saßen. An diesen Plätzen suchten sie die Wunder des Weltmeeres vor ihr inneres Auge zu bringen. Die Bilder der Tritone und Nereiden ließen vor ihnen die See erscheinen, wie sie die griechischen Ahnen ihrer Kultur schauten; alles von einem geheimnisvollen Leben durchflutet, das zum Menschen in mannigfaltiger Beziehung steht.
Gerade die Griechen konnten sich mit den Delphinen nahe verwandt fühlen. Über den antiken Glauben hatte noch Oppianus ein Wissen, das uns die Pforte zur Naturkunde der Alten aufreißt: «Einst waren sie (die Delphine) Menschen; jedoch Bacchus verwandelte sie. Seither wohnen sie im Wasser, besitzen aber immer noch menschliche Klugheit... Einen Delphin zu fangen, ist Sünde und Schande. Wer vollends einen tötet, der ist so schlimm wie einer, der Menschen mordet. Er ist den Göttern ein Greuel, darf sich an keinen Altar mehr wagen, und die bösen Folgen seines Verbrechens gehen selbst auf seine Hausgenossen über.»
Noch das deutsche Märchen, wie es ms im 18. Jahrhundert ein Musäus überliefert, kennt ein ganzes Volk, das sich in bestimmten Zeiten in Delphine oder ähnliche Wesen verwandelt. Er hat es mit der südfranzösischen Dauphine (deutsch Delphinat) in Zusammenhang gebracht. Dies könnte dafür sprechen, daß dieser märchenhafte Bericht in Richtung des Mittelmeeres weist. Dort lebte schließlich im Altertum die Sage von den menschenklugen Delphinen. Sie galten, wie wir schon sahen, als treue Diener und Gespielen der Meergötter. Sie pflegten mit den Schwimmern zu spielen und retteten auch Menschen in Seenot.
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