Das soll sogar erklären, warum unser Körper, ähnlich den Meerestieren, Stromlinienform besitzt. Aus dem gleichen Grund weisen die uns übriggebliebenen feinen Körperhärchen in eine Richtung, vom Haupt zu den Füßen. Unsere ganze Anatomie wäre demnach für den englischen Biologen das Zeugnis von vergessenen Ahnen. Für dieses Leben als halbe Delphine fand auch der russische Arzt Igor Tjarkovskij eine Bestätigung. Frauen, die unter kundiger Führung im Wasser gebären, haben oft Lustempfindungen. Dieser Forscher vergleicht die werdenden Mütter, die sich gerne in den Wellen aufhalten, mit den Nereiden, Nixen oder Russalken.
Es gibt eine schöne Sage, nach der die Götter und das Leben überhaupt dem befremdlich aussehenden Triton Dank schulden. Als die riesenhaften Titanen, Gewalten der Zerstörung, die Erde erobern wollten, blies das menschliche Seepferd sein weitschallendes Muschelhorn. Die bösartigen Riesen ergriff darob das bleiche Entsetzen. Sie gaben auf und suchten ihr Heil in der Flucht. Drückt sich auch hier eine Ahnung der Alten aus, daß im Fall des Untergangs des Landlebens eine Erneuerung aus dem Weltmeer denkbar wäre?
Wunder um die Uferbewohner
Bis zum Anfang unseres Jahrhunderts lebten die Uferbewohner von Europa noch «magisch». Viele ihrer Erfahrungen decken sich erstaunlich genau mit denen der einstigen griechischen Inselmenschen. Von den Landratten ließen sie sich in keinem Fall darüber belehren, was im Meer möglich sei und was nicht. Ein leidenschaftlicher Erforscher des Volkslebens war August Strindberg. Ausführlich schildert er, wie damals nahe der schwedischen Hauptstadt unter den Fischern noch «vollständiges Heidentum» herrschte: «Er (der Held seiner wirklichkeitsnahen Geschichten) berichtet, wie Fischer auf Steinen opferten, die Flinten mit Blei von Kirchenfenstern luden; von den Böcken Thors (des Gewittergottes) sprachen, wenn der Donner rollte; von Odins wilder Jagd, wenn die Gänse im Frühling anflogen.» Sie ließen auch die diebischen Elstern in ihrer Inselwelt unbeschränkt hausen: «Weil sie aus Furcht vor unbekannten Rächern die Elsternnester nicht auszunehmen wagten.»
Strindberg schildert auch den peinlichen Kampf, den die Zivilisation gegen diese schwedischen Fischer führte. Um diese ursprünglichen Menschen endlic h durch Staatsbeamte steuerbar zu machen, wurde ihnen mit allen Mitteln ein unduldsames puritanisches Christentum eingebläut. Wohlverstanden, dies taten Menschen, die selber an keinen Gott mehr glaubten! Aber sie sahen in der von ihnen so mißbrauchten Religion eine gute politische Waffe. Mit ihr, die nichts mehr mit der Botschaft der Liebe zu tun hatte, wollten sie die überlieferte Volkskultur auslöschen...
Man kann ruhig sagen, in der Südsee, auf den skandinavischen Inseln, in der Bretagne, im Baskenland und bei den Griechen verschwand der Nixenglaube erst mit dem Ende einer tiefen Überzeugung, dem lange in den Seelen wurzelnden Gefühl, daß die Gewässer die Gebärmutter und die Nähramme des Lebens seien. Der Mensch, der in Traum und Wachen so empfand, fühlte sich selber als naher Verwandter der Seegeister.
Wahrscheinlich wurden besonders begabte, in das Meer verliebte Uferstämme bald selber mit den Nixen verwechselt. Armand Landrin erzählt nach einem alten arabischen Schriftsteller: Im griechischen Meer gebe es die «Wassermädchen» (filles aquatiques). Sie haben eine dunkle Haut und schwarze Augen. Sie sind fröhliche Wesen und lieben das helle Lachen. Sie kommen auf die Schiffe und kosen mit den Seeleuten ... Offenbar fanden beide Seiten Wohlgefallen daran. Merrin verweist auf ähnliche Märchenberichte über die ebenso kühnen wie schönen und zärtlichen Schwimmerinnen der Südsee. Auch er vermutet, daß solche Sagen verbreitet wurden, um den Jünglingen den Matrosenberuf anziehend zu machen.
Mein Vater war nach der russischen Revolution von 1920 Steuermann auf griechischen Schiffen. Noch immer erzählte man dort von verwegenen Seefahrern auf dem Schwarzen Meer, die aus einer «Nereidenfamilie» stammten: Nur wer unter seinen Vorfahren eine Wasserfrau zählte, konnte stets unbeschadet durch die oft gefährlichen Wellen reiten.
Mein Vater war fest davon überzeugt, daß es Menschentöchter mit solchen Anlagen wirklich gab. Er erzählte mir von einem griechischen Mädchen aus einem Dorf nahe Odessa, das schon «bevor es auf dem Boden laufen konnte, wie ein Fisch schwamm». Später heiratete die junge Frau einen recht bekannten Schmugglerkapitän. Sie war aber selten, und dann eher leicht bekleidet, auf den festen Planken anzutreffen. So oft sie konnte, und namentlich im Mondschein, umschwamm sie den altmodischen, aber erstaunlich tüchtigen Kahn.
Für die Matrosen war es völlig klar, wie die Sage von all den Ozean-Töchtern entstanden war. Durchruderte eine «für das Wasser geborene Frau» im Sternenschein die aufspritzenden Wellen, «mußte man sich richtig zusammennehmen»: Sonst wäre man einem eigenartigen Meereszauber verfallen.
Man hätte nachträglich schwören können, man habe auf ihrem Körper aufglänzende Schuppen erblickt. Es soll vorgekommen sein, daß fromme Menschen, die dies sahen, sich bekreuzigten: Sie glaubten, zu Zeugen einer echten Verwandlung geworden zu sein.
In der Inselwelt von Japan gibt es scheinbar noch immer Fischerdörfer, in denen die berühmten Perlentaucherinnen leben. Sie werfen sich in die Flut, in der sie sich spielend längere Zeit aufhalten können. Sie gehen nackt ins Wasser und sind nach den Photos, die ich sah, meistens vollkommen gleichmäßig gebaut. Das Perlensuchen ist hier aus verschiedenen Gründen eine Frauenarbeit. Herz und Lunge sind bei ihnen scheinbar sstärker entwickelt als bei den Männern. Auch besitzen die Fischerinnen eine Fettschicht unter ihrer Haut, die das Innere des Leibs vor der Kälte schützt.
Im übrigen erkennen wir in diesem Beruf die Auswirkung der alten taoistischen Philosophie und Naturwissenschaft: Die Silberkugel der Perle gilt, genau wie der Mond, als Verkörperung der weiblichen Energie der Schöpfung (Yin). Ähnliche Symbole sind natürlich auch Muscheln und das Meer selbst. Wenn Frauen die echten Perlen aus der Tiefe heraufholen, sollen diese ganz von ihrer «urweiblichen» Kraft erfüllt sein. Viel mehr als die künstlich erzeugten Zuchtperlen sind sie dann die Träger und Bringer von Glück und Gesundheit. Sind die Nixen unserer Zaubersagen, die aus ihrem Wasserreich Wunderperlen holen, die Erinnerungen an solche echte Meerfrauen? Hat sich auch in dieser Beziehung in Ostasien etwas erhalten, was es einst überall auf den «Nixeninseln» gab?
Die wunderbaren Lichterscheinungen um alle Dinge und lebendigen Geschöpfe erfüllen unsere Sagen. Die alten Erzähler, von denen ich die meisten Geschichten vernommen habe, wußten etwa beizufügen: «Einst hat man mehr darüber erzählt. Heute haben wir so viel elektrisches Licht, daß unsere Augen weniger in der Nacht sehen, als das früher möglich war.»
Im Altertum schildert etwa Lucian in seiner Dichtung Das Schiff oder die Wünsche, wie eine göttliche Macht den Matrosen in ihrer Not hilft. Sie zeigt sich oben auf dem Mast «in der Gestalt eines helleuchtenden Sterns». Solche Hinweise können wir unzählige Male in entsprechenden Berichten aus den letzten Jahrtausenden unserer Kulturgeschichte nachlesen.
So etwa, wenn Jacques Cazotte (1719-1792) in seinem Werk Der verliebte Teufel die heimlichen und unheimlichen Begegnungen seines Helden mit einer schönen Geisterfrau der Elemente schildert: «Phosphoreszierende Lichter» erscheinen, und die ganze Umgebung verwandelt sich. Alles wird dann möglich, und die Welt ist ein bald lockendes, bald durch ihre Geheimnisse erschreckendes Märchenland.
Der französische Dichter und Geschichtenerzähler Alexandre Dumas hat sich bekanntlich mehrfach mit den Rassen der Tiermenschen beschäftigt. In seiner Erzählung Die Eben des Herrn Olifus berichtet er von den Seemannsträumen eines Matrosen und dessen Liebe zu einer Meernixe. Sehr stark und in genauer Übereinstimmung mit der Volksdichtung wird hier auch deren Erscheinen im freien Meer geschildert.
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