»Na toll«, meinte ich. Ich wollte ins warme Wasser zu rück. »Dann schnappt sich jetzt jemand einen Ball und wir trainieren ein bisschen.«
»Wozu?«, fragte Thornton. »Wir wissen, wie man das spielt. Außerdem furchte ich, ich habe gar keinen Ball.
Ich finde, wir sollten noch ein bisschen schwimmen.«
»Aber —«, begann ich und hielt dann den Mund. Was machte es schon für einen Unterschied, ob wir trainierten oder nicht? Die Pfähler hatten vorher noch nie trainiert.
Einer nach dem anderen sprangen die Jenti anmutig ins Wasser und begannen dort Dinge zu tun, die kein Gadjo jemals fertigbringen würde. Ich hatte das Gefühl, dass wir bei unserem nächsten Spiel ziemlich viel besser abschneiden würden als je zuvor.
Justin erzählte mir später, Horvath sei ziemlich über rascht gewesen, als sie alle vier gleichzeitig aufgetaucht seien und sich als freiwillige Ersatzspieler gemeldet hätten.
»Das ist äußerst unüblich«, sagte er. »Normalerweise wird einem Wasserball als Pflicht auferlegt.«
»Na ja, wir möchten tun, was wir können, um zu hel fen, Sir«, erklärte Justin ihm. »Vor allem ich. Nach dem, was ich letzte Woche getan habe.«
Horvath sah ihn scharf an, aber er teilte ihnen allen Spinde zu und bestellte einen speziellen Badeanzug in den Mannschaftsfarben für Helen.
Ich erzähle hier nur, wie es sich zugetragen hat und was meine Rolle bei der ganzen Angelegenheit war. Es gibt da nur eine wichtige Sache, die ich ausgelassen habe. Ich habe bis jetzt nicht darüber gesprochen, weil es einfach keine Möglichkeit gibt, es in die Geschehnisse mit rein zubringen, die ich gerade beschreibe. Es war einfach da.
Ileana.
Genauer — das Fehlen von Ileana.
Mein Herz quälte mich jeden Augenblick, ganz gleich was ich sonst auch tat oder zu tun schien. In Mathe, wo wir nebeneinandersaßen, sah ich sie nie auch nur an.
Aber das Einzige, woran ich denken konnte, war, sie nicht anzusehen. Und in den Fächern, die wir nicht ge meinsam hatten, hielt ich immer Ausschau nach ihr.
Manchmal stieg mir ihr Duft in die Nase, wenn sie gar nicht in der Nähe war. Das war das Schlimmste und Selt samste.
Aber mehr als das kann ich euch darüber nicht erzäh len. Ich vermisste sie einfach weiterhin, ganz gleich was ich sonst auch tat.
Was vermudich auch die Sache mit Gregor irgendwie erklärt.
Es war Mittwoch. Und ein wunderschöner Tag. Die Luft war weich wie der Atem eines Kätzchens und das Licht einfach unglaublich. Der kleine Bach, der durch den Campus floss, sang und die winzig kleinen Frösche, die man Frühlingspfeifer nennt, sangen zurück.
In meiner Freistunde ging ich zum Bach hinunter und hoffte einen dieser kleinen Frösche zu Gesicht zu be kommen. Stattdessen traf ich Gregor. Er stand am Ufer unter einem Baum und blickte aufs Wasser, ohne es zu se hen. Er sah weder das Licht noch das neue Grün der Bäume, noch die Blumen, die ihre Blütenblätter öffneten.
Er sah so aus, wie ich mich fühlte. Das gab mir den Rest.
Ich ging zu ihm hin und sagte: »Es tut mir leid, Gre gor. Was ich gesagt habe, war blöd, und es tut mir wirk lich leid.«
Er drehte sich lange Zeit weder nach mir um noch gab er mir eine Antwort. Dann sagte er: »Das spielt keine Rolle. Du bist ein Gadjo. Nichts, was du sagst, kann mich verletzen.«
Ich war kurz davor, zu gehen. Und hätte ich mich bes ser gefühlt, hätte ich das auch getan. Aber ich fühlte mich nicht besser, also sagte ich: »Es war trotzdem falsch von mir. Und es tut mir leid, dass ich versucht habe dich zu verletzen.«
Er drehte sich noch immer nicht um. Alles, was er sagte, war: »Ich hasse diesen Ort. Ich hasse dich.«
»Komisch«, erwiderte ich. »Ich hasse ihn auch. Und dich vermutlich auch. Ich bin mir nicht sicher.«
»Diese widerwärtigen langen Winter. Diese endlosen Sommer, wo es nachts nie abkühlt. Nur Amerikaner würden freiwillig hier leben.«
»Ich bin Amerikaner und ich würde es nicht.«
»Europa ist wunderschön, vor allem Frankreich«, sagte Gregor.
»Kalifornien«, sagte ich. »Besonders die Gegend süd lich von San Francisco. Und die Redwoods an der Küste.
U n d San Diego. Sogar Los Angeles kann gut aussehen, wenn der Wind den Smog aufs Meer hinaustreibt.«
»Das ist nichts verglichen mit den Bergen Norwegens oder der Stille einer Dorfstraße im Languedoc in der Dämmerung«, erwiderte Gregor.
»Hast du Kalifornien je gesehen?«, fragte ich.
»Das brauche ich nicht«, gab Gregor zurück. »Ich habe wahre Schönheit gesehen.«
»Ich schätze, wir sind wohl beide weit weg von zu Hause.«
Gregor schwieg wieder. Nun, ich hatte versucht mich zu entschuldigen.
»Ich werde dann ...«, fing ich an.
»Danke«, sagte Gregor.
»Aber es gibt da noch was. Nur für den Fall, dass es wichtig ist - was auch immer zwischen Ileana und mir war, es ist nicht mehr da.«
Gregor kicherte. Dann sagte er: »Du bist kein schlech ter Kerl, Gadjo. Aber du bist entsetzlich blöd.«
»Danke«, gab ich zurück. »Ich mag dich auch.«
Ich wandte mich ab, um zurückzugehen.
»Wir können allzu stolz sein«, sagte Gregor. »Wir alle.«
Was auch immer das hieß.
Aber ich war froh, dass ich es getan hatte.
Horvath geriet ins Schleudern. Er hatte das Spiel um eine weitere Woche verschieben können und versuchte außerhalb des Bundesstaats Mannschaftsmitglieder anzu werben, was - wie ich glaube - gesetzwidrig ist, aber wir sprechen hier schließlich von Horvath. Jedenfalls klappte es nicht.
Es kursierten die ganze Woche über Gerüchte, dass es kein Spiel geben und die Schule eine letzte Verwarnung bekommen würde. Dass sie vielleicht zusperren musste.
Ich hörte, wie die Gerüchte im Speisesaal flüsternd die Runde machten. Ein Junge fragte Mr Shadwell sogar, ob sie das Schuljahr beenden dürften. Shadwell sagte irgend was von hervorragendem Niveau, hundertjähriger Ge schichte, Weltruf und keinem Anlass zur Sorge. Aber er sah genauso verängstigt aus wie die Kids.
Carlton, Justin, Helen und Thornton verhielten sich so, als wären sie nicht die Hüter eines Geheimnisses, das die sen Ort retten würde. Ich bewunderte sie wirklich. Wenn man bedenkt, wie schnell etwas unter den Jenti die Runde machte, war es erstaunlich, dass nie etwas darüber zu hö ren war, was am Tag des nächsten Spiels passieren würde.
Und schließlich kam dieser Tag.
Am Tag des Spiels hatte Horvath noch immer keinen einzigen neuen Gadjo für seine Mannschaft aufgetrie ben. Wenn wir nicht einmal genug Jungs ins Wasser schi cken konnten, würden wir von vornherein aufgeben müssen. Zwei feine Stadtpinkel von der staatlichen Schulbehörde waren extra aus Boston angereist in der Hoffnung, Zeugen unseres Untergangs zu werden.
Wir sahen sie den ganzen Tag in den Gängen auf und ab gehen, wie sie sich alles anschauten, uns anschauten.
Horvath war bei ihnen und Charon ebenfalls. Die beiden Männer trugen Anzüge und Aktentaschen. Trotzdem sa hen sie wie Gorillas aus. Sie bewegten sich auf die glei che schlingernde Art wie Underskinker und ihre Kra watten schnürten ihre dicken Hälse ein. Egal wie groß und knallhart sie auch waren, sie verhielten sich trotzdem so verängstigt, wie ich mich an meinem ersten Tag ge fühlt hatte. Ständig blickten sie über die Schulter zurück, als erwarteten sie von hinten angesprungen zu werden.
Und Horvath sah aus, als sollte er erhängt werden.
Ich wollte fast hingehen und ihnen sagen: »Machen Sie sich keine Sorgen. Niemand erteilt dieser Schule eine allerletzte Verwarnung oder sperrt sie zu. Genießen Sie das Spiel.« Aber natürlich tat ich das nicht.
In meiner Freistunde ging ich in die Schwimmhalle und machte mich fertig. Dann warf ich einen kurzen Blick in Underskinkers Büro. Er war nicht dort.
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