»Ja, das tue ich tatsächlich«, erwiderte Justin. »Es gibt da einen Jungen, der Thornton Arnes heißt. Den könnte ich fragen. Seine Familie hat seit Jahren einen Swim mingpool, nur zum Anschauen. Natürlich benutzen sie ihn nie. Aber sie halten ihn in Stand und alles. Du weißt schon, um dazuzugehören.«
»Könnten wir ihn diesen Samstag benutzen? Ohne dass Erwachsene dabei sind?«, fragte ich.
»Das wird kompliziert«, sagte Justin. »Aber wir werden sehen.«
Manchmal fügt sich einfach alles zusammen. Es stellte sich heraus, dass Thornton Ames' Eltern an diesem Samstag zu einer Nachmittagsvorstellung nach Boston fuhren, also konnten wir ihren Swimmingpool benut zen. U n d Thornton hatte Interesse. Ebenso wie Helen und Carlton Danforth.
Wir trafen uns alle um zwei Uhr nachmittags bei den Ames. Es war ein schöner, windiger Tag und Wasser dampf schwebte in Schleiern über dem Becken. Justin und ich zitterten in unserer Badekleidung, als die drei anderen uns ansahen wie eine Tür, von der sie nicht ge wusst hatten, dass es sie gab, und bei der sie nicht sicher waren, ob sie durchgehen wollten.
Genau wie Justin gesagt hatte, waren sie alle der glei che Typ wie er. Sie waren so klein und sahen so un scheinbar aus, dass man, wenn sie alle drei nebeneinan derstanden, beim schnellen Hinschauen das Gefühl hatte, es wären nur zwei. Ich fragte mich, ob diese Unschein barkeit ein weiterer Schutzmechanismus von Vampiren war — für jene, die nicht wegfliegen oder sich nach Belie ben in einen Wolf verwandeln konnten.
»Okay«, sagte Justin. »Ihr wisst alle, worum es hier geht. Cody hat mir gezeigt, wie ich mich in etwas ver wandeln kann, das schwimmt. Es ist das großartigste Ge fühl, das ich je hatte, und ihr habt wohl auch alle Inte resse daran, sonst wärt ihr nicht hier. Nur damit ihr es wisst: Cody und ich sind auf jeden Fall da, um euch -
nun, sollte sich herausstellen, dass das Ganze nicht euer Fall ist, werden wir euch helfen.«
Ganz in der Nähe war ein Haufen Handtücher, die Justin und ich von der Vlad mitgebracht hatten. Helen Danforth betrachtete sie mit ernster Miene. Sie sah aufs Wasser. Dann ging sie zu einer Ecke des Swimming pools, beugte sich hinunter und tauchte den Finger hinein.
»Nett und warm«, meinte sie nachdenklich.
»Zeig uns, wie du es machst, Justin«, sagte Carlton.
Justin ging zum anderen Ende des Swimmingpools und sprang hinein. Fast im selben Moment, als das Was ser über seinem Kopf zusammenschlug, verwandelte er sich in - in was auch immer er da wurde.
Ich hörte ein Aufkeuchen von Helen.
»Oh.« Carlton holte tief Luft.
»Okay«, sagte Justin, als er wieder auftauchte. »Jetzt kommt Cody zu mir rein und wir helfen jedem von euch, der es versuchen möchte.«
Die drei starrten uns bloß an. Wer hätte ihnen daraus einen Vorwurf machen können?
Schließlich sagte Helen: »Nun, ich hab für dieses Ba deteil eine Menge Geld ausgegeben. Ich kann es ebenso gut ausprobieren.«
Sie ging ins Haus und kam ein paar Minuten später in einem einteiligen Badeanzug zurück, der ihr fast bis an die Knie reichte.
»Dass bloß niemand zu lachen wagt«, sagte sie.
»Du siehst gut aus«, meinte ich. »Sehr profimäßig. Be reit es zu versuchen?«
»Warum nicht«, sagte Helen. »Hier draußen ist es zu kalt.«
Sie ging ruhig die Stufen des Swimmingpools hinun ter, bis ihr das Wasser bis zur Taille reichte.
»Fühlt sich überhaupt nicht anders an«, meinte sie.
»Vielleicht musst du untertauchen«, sagte Justin.
»Ich gehe erst mal so weit rein, dass nur noch mein Kopf rausschaut«, antwortete Helen und genau das tat sie dann auch.
»Ich fühle mich noch immer nicht anders«, sagte sie.
Und dann: »Du meine Güte!«
Sie stand. Vom Nacken abwärts war sie mit glattem braunem Fell bedeckt und hatte Schwimmfüße.
Sie schrie und tauchte den Kopf unter Wasser. Als sie wieder hochkam, war ihr Gesicht braun, behaart und lä chelte.
»Das fühlt sich wunderschön an«, sagte sie und verfiel in den gleichen Freudentaumel wie Justin beim ersten Mal.
»Sei vorsichtig, Schwesterherz«, sagte Carlton.
»Ach, pah, komm doch selbst rein!«, rief sie ihm zu.
»Ich denke, ich werde das«, sagte Thornton. Er zog seine Kleider aus. Darunter hatte er seine Badehose an.
»Muss ich sonst noch was machen?«, fragte er.
»Nein, komm einfach rein«, antwortete Justin.
»Ich glaube, ich werde springen«, sagte Carlton. U n d das tat er.
»Carlton, eigentlich solltest du zuerst die Kleider aus ziehen«, meinte Justin, als Carlton wieder auftauchte und wie eine Art Seehund in Hemd und Hose aussah.
»Nächstes Mal denk ich dran«, erwiderte Carlton. »Ich fürchte, ich bin ein bisschen aufgeregt.«
»Alle herschauen, bitte«, sagte Thornton und stürzte sich ins Wasser.
Und da war ich also, ein Gadjo mit vier Jenti-Otter-Seehund-Wesen, die alle um mich herumplanschten, als wäre das der größte Spaß, den sie je in ihrem Leben ge habt hatten. Was es vermutlich auch war.
Es dauerte fast eine Stunde, bis sie sich wieder be ruhigten.
»Was sind das wohl fiir Wesen, in die wir uns ver wandelt haben?«, fragte Thornton schwer atmend. »Mir scheint, wir sollten einen Namen haben.«
»Ich hab nie zuvor gehört, dass einem Jenti so was pas siert ist«, sagte Justin.
»Es muss wohl irgendeine neue Fähigkeit sein, die in uns herangewachsen ist«, meinte Carlton. »Vielleicht schlummert sie schon seit Generationen in uns und hat bloß darauf gewartet, dass Cody sie findet. Menschen können sich verändern.«
»Ich hab darüber nachgedacht«, sagte Helen. »Auf den Britischen Inseln gibt es Legenden über Wesen, die die Gestalt von Seehunden oder Menschen annehmen kön nen. Sie werden Seikies genannt. Wir alle hier haben Vorfahren, die von dort stammen. Vielleicht sind wir eine Art britische Spezialität.«
»Selkie. Das ist ein gutes Wort«, sagte ich.
»Es ist so gut wie jedes andere«, meinte Justin. »Wir wollen also Seikies sein!«
»Wir wollen noch ein bisschen schwimmen«, sagte Thornton und sie tobten weiter wie Otter durchs Be cken.
Es dauerte noch einmal fast eine Stunde, bis sie sich so weit beruhigt hatten, dass ich sie fragen konnte: »Hat Jus tin irgendwas von Wasserball erwähnt?«
»Natürlich«, war Helens Antwort.
»Soweit wir verstanden haben, sollen wir Teil der Mannschaft werden«, sagte Carlton.
»Ich muss sagen, das scheint ein Spaß zu werden«, meinte Thornton.
»Ich wette, sie werden alle überrascht sein«, sagte Helen.
»Das sollten sie besser auch«, erwiderte ich. »Vor allem Horvath.«
»Wir werden es ihm bestimmt nicht sagen«, meinte Thornton. »Wir werden uns alle bloß freiwillig für die Ersatzmannschaft melden.«
»Aber warum würde Mr Horvath sich nicht darüber freuen, zu erfahren, dass wir das für die Schule tun kön nen?«, fragte Carlton.
»Ich kann nicht mit Sicherheit behaupten, dass er das nicht tun würde«, antwortete ich. »Ich hab keine Ah nung, was von ihm zu erwarten ist. Aber ich weiß, er mag keine Veränderungen. Also müssen wir ihm und dem Staat etwas präsentieren, was sie nicht ignorieren oder vertuschen können.«
»Bloß für den Fall, dass er es vorzieht, die Schule schließen zu lassen, statt die alten Traditionen über den Haufen zu werfen«, sagte Justin.
»Na schön, hat irgendwer die Spielregeln mitge bracht?«, fragte Helen.
Wir stiegen aus dem Wasser, standen zitternd herum und sahen uns die zwei Seiten Wasserballspielregeln an.
»Scheint ziemlich klar zu sein«, meinte Thornton.
»Ich sehe keine Probleme«, stimmte Carlton ihm zu.
»Nein, wirklich nicht«, sagte Helen. »Ich glaube, wir sind fertig.«
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