Dann segelte Barzini irgendwie über meinen Kopf hinweg ins Schwimmbecken, in dessen Mitte kurz da rauf ein lauter Platsch zu hören war. Danach folgte Brian Blatt, der ein Geräusch von sich gab, das. vielleicht
»Hilfe« bedeuten sollte, aber mehr wie »Hüüüüüüülfp«
klang.
Lapierre bettelte und fluchte ein bisschen, als Justin ihn über seinen Kopf hievte. Dann gab es einen weiteren Platsch und alle drei befanden sich in der Mitte des Be ckens und beschimpften uns.
Justin stand mit verschränkten Armen am Beckenrand.
Vampirstärke. Wenn er sie einsetzen wollte, hatte Justin genauso viel davon wie jeder andere Jenti. Dieser dünne kleine Arm hatte mich an Ileanas fünfzehntem Geburts tag ohne irgendwelche Schwierigkeiten an meinem Platz festgenagelt.
Ich versuchte aufzustehen. Barzini hatte mich übler zugerichtet als Gregor oder Ilie, aber im Großen und Ganzen schien ich in Ordnung zu sein — wenn enorme körperliche Schmerzen und die Unfähigkeit, sich aus eigener Kraft vom Boden zu erheben, als im Großen und Ganzen in Ordnung sein durchgehen können.
Barzini paddelte ans andere Ende des Beckens und be gann herauszuklettern.
»Nix da«, sagte Justin. »Nicht solange wir es dir nicht erlauben.«
Barzini verfluchte ihn.
»Du willst mich nicht ernstlich böse machen, oder?«, sagte Justin.
Meiner Meinung nach war er bereits ernstlich böse.
Seine Vampirzähne waren zu sehen.
Lapierre begann zu jammern.
»Mach schon, lass uns raus«, sagte er. »Das da ist unsere Schulkleidung.«
Justin schüttelte den Kopf.
»Willst du, dass ich sie rauslasse?«, flüsterte er mir zu.
»Ja, okay«, sagte ich. Der Ausdruck in Justins Augen war sogar noch angsteinflößender als seine Vampirzähne.
»Okay, wir lassen euch raus«, sagte Justin. »Aber wenn ihr je wieder auf Cody losgeht, seid ihr alle ein Haufen Brams. Brams. Wisst ihr, was das bedeutet?«
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen wussten Blatt, Barzini und Lapierre genau, was das bedeutete. Sie kletterten aus dem Becken und rannten zu den Umklei deräumen.
Justin wandte sich mir zu und flüsterte: »So etwas wollte ich schon immer mal sagen.«
»Danke«, erwiderte ich. »Wenn du nicht aufgetaucht wärst, hätten sie mich plattgemacht.«
Justin nickte. »Bist du okay?«, fragte er.
»Ich hab mich schon besser gefühlt«, antwortete ich.
»Aber es ist nichts gebrochen.«
»Setzen wir uns einen Moment«, sagte Justin. »Wir wollen diesen Brams eine Chance geben zu verschwin den.«
Er half mir zu einer Bank zu humpeln.
»Warum bist du eigentlich hier aufgetaucht?«, fragte ich. »Du solltest in der Bibliothek sein.«
»Oh. Ich habe gehört, dass vielleicht etwas in der Art passieren könnte«, sagte er. »Diese Kerle reden ziemlich laut.«
Ich spürte, wie es mir die Kehle zuschnürte.
»Weißt du was?«, sagte ich, als ich mir sicher war, dass ich wieder sprechen konnte. »Du bist der beste Freund, den ich je hatte.«
»Du auch«, erwiderte Justin.
Wir hörten die Außentüren der Schwimmhalle zu knallen. Das graue Licht von den Fenstern hoch über der Zuschauertribüne verblasste und das Wasser im Becken wurde dunkel. Schließlich sagte ich: »Könntest du mir vielleicht helfen nach Hause zu kommen? Vielleicht kannst du ja zum Essen bleiben.«
»Klar«, sagte mein bester Freund.
Mr Horvath unterhält sich mit Charon
Justin half mir zu einem Wagen zu humpeln und fuhr mit mir nach Hause.
M o m bekam einen Anfall, als wir zur Tür hineinka men. Sie rief Dad an, dass er nach Hause kommen solle, und als er sah, wie ich ausschaute, wollte er die Schule, die Stadtgemeinde, die Familien der restlichen Wasser ballmannschaft und den Staat Massachusetts verklagen.
Aber nach einer Weile gelang es Justin und mir, die bei den zu besänftigen.
Als sie sich beruhigt hatten, adoptierten Mom und Dad Justin und schenkten ihm ein Auto - okay, nicht wirklich, aber jedenfalls verhielten sie sich so. Ich sagte ihnen die Wahrheit — dass er mich davor bewahrt hatte, noch viel übler zugerichtet zu werden, als ich es ohnehin schon war. Ich erwähnte nichts davon, wie ein so kleiner Kerl wie er das hatte bewerkstelligen können, und sie fragten nicht danach. Es genügte, dass er mein kostbares Ich gerettet hatte. Ihre Lobeshymnen brachten Justin zum Strahlen.
Ich schätze, davon hatte er in seinem Leben nicht viel abbekommen. Als Dad uns an diesem Abend zu Justins HaUs zurückbrachte, stellte er sich Mrs Warrener vor und sagte ihr alles, was er Justin bereits gesagt hatte. Mein Freund war so glücklich, dass er fast weinte. Selbst in meinem zusammengeschlagenen Zustand fühlte ich mich besser, weil er so glücklich war.
Das war der angenehme Teil. Das und ein paar Tage herumliegen zu können und von vorn bis hinten bedient zu werden.
* * *
Der unangenehme Teil kam am Montag, als ich wieder zur Vlad ging. M o m und Dad wollten beide, dass ich zu Hause blieb, aber diese Genugtuung würde ich meinen Mannschaftskumpeln nicht gönnen.
Es stellte sich heraus, dass ich mir deswegen keine Sor gen zu machen brauchte.
Kurz vor neun kam Ms Prentiss in die Matheklasse und trug mir auf, mich bei Mr Horvath zu melden.
Justin war bereits dort. Er saß zusammengekrümmt auf dem großen Sofa. Charon lag an seinem üblichen Platz unter dem Tisch. Bei meinem Eintreten blickte er auf.
»Master Cody. Setzen Sie sich«, sagte Horvath. Er klang nicht gerade glücklich.
Ich setzte mich neben Justin. Horvath begann vor uns auf und ab zu gehen.
»Wisst ihr Jungs eigentlich, was ihr dieser Schule an getan habt?«, fragte er schließlich.
Was wir der Schule angetan hatten? Ja: genau nichts. Wo rum geht's hier eigentlich?
»Sie sind schuld, dass wir drei unserer besten Wasser ballspieler verloren haben«, sagte Horvath, »sowie am Verlust eines neuen Mannschaftsmitglieds.«Jetzt schrie er beinahe. »Ich habe diesen Morgen Telefonanrufe - äu ßerst unerfreuliche Anrufe übrigens, wie ich hinzufügen sollte - von den Familien von Master Blatt, Master Bar zini und Master Lapierre erhalten. Sie alle wechseln die Schule, weil Sie beide sie am Freitagnachmittag brutal und ohne Grund angegriffen haben.«
»Moment mal«, sagte ich. »Sie haben mich überfallen.
Alles, was Justin getan hat, war —«
»Schweigen Sie«, fuhr Horvath mich an. »Wegen Ihrer Aktionen hat Vlad Dracul jetzt nicht genug Spieler, um an der nächsten R u n d e der Wasserballspiele, die in ein paar Tagen stattfindet, teilzunehmen. Wir werden des wegen vom Staat eine Verwarnung erhalten, die dazu führen kann, dass wir unsere Zulassung verlieren, wenn die versäumten Spiele nicht nachgeholt werden können.
Die künftige Existenz dieser Schule steht vielleicht auf dem Spiel. Wisst ihr Jungs, wie schwierig es ist, Gadje dazu zu bringen, hierherzukommen?« Er knurrte etwas auf Jentisch und ich war froh, dass ich es nicht verstand.
Dann fuhr er mit ruhigerer Stimme fort: »Hätte Ihr Ver weis von dieser Schule die Familien unserer Schüler zum Bleiben bewegen können, wären Sie beide bereits ver schwunden.«
Justin schnappte nach Luft.
»Bedauerlicherweise waren sie nicht bereit diese Lösung zu akzeptieren«, fuhr Horvath fort. »Sie haben Angst, dass irgendein anderer Jent... irgendein anderer Schüler sie auf die gleiche grundlose Weise angreifen könnte, wie Master Justin es letzten Freitag getan hat.« Er wandte sich an Justin: »Eine derart offene Aggressivität hätte ich gerade von Ihnen niemals erwartet. Sie sind im Wissen um die Brüchigkeit jener Toleranz aufgewach sen, die New Sodom zu einem Zufluchtsort für - für uns alle macht. So eine Tat hat vielleicht Auswirkungen, die weit über die Grenzen dieses Ortes hinausreichen.«
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