»Warum muss bloß immer alles so kompliziert sein?«
»So sind die Dinge eben, das ist alles.«
»Ich nehme nicht an, dass du Gadje-Freunde hast?«
»Nur dich.«
»Wasserball«, sagte ich und stieg aus dem Becken, um mich neben ihn zu setzen. »Eine ganze Schule wegen Wasserball zuzusperren.«
»Nicht nur deswegen«, sagte Justin. »Wasserball wäre bloß der Vorwand.«
Ich bemerkte, dass ich auf Justins Bein tropfte, und zuckte zurück.
»Himmel, Justin! Tut mir leid«, sagte ich.
»Oh, ist ja nur ein bisschen«, erwiderte er und wischte es mit dem Ärmel ab. Er betrachtete das warme grün liche Wasser, wo die letzten kleinen Wellen, die ich ge macht hatte, gerade verschwanden.
»Ich möchte wirklich gern dasselbe wie du machen.
Bloß einmal. Nur um zu wissen, wie meine Fische sich fühlen.«
»Und warum tust du's dann nicht?«, fragte ich.
»Bist du verrückt oder glaubst du, ich bin es?«, wollte Justin wissen.
»Keins von beiden«, antwortete ich. »Aber du warst noch nie im Wasser, stimmt's?«
»Natürlich nicht!«
»Und woher willst du dann wissen, was mit dir passie ren würde?«, fragte ich.
»Weil es mit allen von uns passiert«, sagte er. »Schon immer. Ich hab's dir erzählt.«
»Justin, hast du je einen anderen Jenti gekannt, der ir gendwas mit Schwimmen zu tun haben wollte?«
»Eigentlich nicht.«
»Hast du je einen anderen Jenti gekannt, der Fische gezüchtet hat?«
»Nun, es gibt da ein Mädchen in Sozialkunde, sie heißt Helen Danforth. Sie hat ein Becken mit Guppys.«
»Ich versuch nicht, dich zu irgendwas zu überreden«, sagte ich. »Aber, Justin, du bist in mancher Hinsicht so anders als die restlichen Jenti, dass du vielleicht auch in dieser Hinsicht anders bist.«
Justin gab keine Antwort. Er sah nur das Wasser an und biss sich auf die Lippen. Schließlich sagte er: »Wie tief ist das flache Ende? Einen Meter?«
Ich nickte.
»Wenn ich hineinginge, könnte ich im Notfall wirk lich schnell wieder draußen sein«, sagte er. »Und du wärst in der Nähe, oder?«
»Natürlich wäre ich das!«
»Lass uns eine Badehose für mich suchen«, sagte er.
Wir fanden eine Badehose und eine Sporttasche. Ich holte an die vierzig zusätzliche Handtücher, bloß für alle Fälle. Ich hoffte, dass ich nicht so verängstigt aussah, wie ich mich fühlte.
Ich ging zuerst ins Wasser.
»Okay«, sagte ich und täuschte ein Lächeln vor. »Ist nichts dabei. Immer schön einen Schritt nach dem ande ren.«
Justin setzte ein Gesicht auf, als stünde er vor einer Wand und überlegte sich, wie er mit dem Kopf durch käme. Er sah das Becken an und stieg auf der Leiter eine Stufe nach unten. Das Wasser rann über seinen Fuß. Er hielt inne.
»Wie fühlt sich das an?«, fragte ich.
»Nicht schlecht«, entschied er nach einem Augenblick.
Er setzte den zweiten Fuß neben den ersten.
»Ziemlich gut«, sagte er.
Er stieg noch eine Stufe herunter und stand jetzt bis zu den Oberschenkeln im Wasser.
»Wie geht's dir?«, fragte ich. Ich war bereit ihn an den Haaren aus dem Wasser zu zerren.
»Komisch«, meinte er. »Echt komisch.«
Das war's dann also. Ich streckte den Arm aus, um ihn am Nacken zu packen und herauszuziehen, aber bevor ich ihn erreichte, hatte Justin sich flach ins Wasser ge schmissen. Mit einem Platsch verschwand er unter Was ser und schoss von mir weg.
»Justin!«, rief ich. »Justin, nicht! Warte einen Moment!
Warte auf mich! Warte!«
Aber Justin hätte mich sowieso nicht gehört.
Wo sein Kopf gewesen war, sah ich einen Wasserpfeil wegschnellen und durchs Schwimmbecken flitzen, schnel ler, als ich es je bei irgendjemandem gesehen hatte. Dann tauchte er unter dem Sprungbrett auf.
»Juchhu!«
Ihr habt nie in eurem Leben tatsächlich jemanden
»Juchhu« rufen hören, stimmt's? Nun, ich auch nicht.
Aber genau das rief Justin. Dann sprang er aus dem Was ser. Und als er erst eineinhalb, dann drei Meter in die Luft sprang, sah ich, dass es nicht mehr Justin war.
Aus meinem Freund war ein dunkles stromlinienförmi ges Wesen geworden, das mit glattem braunem Fell be deckt war. Es sah menschlich aus - so wie ein Mensch aussehen würde, der für ein Leben im Wasser bestimmt ist.
Das Wesen erreichte den höchsten Punkt seines Sprungs, beschrieb einen anmutigen Bogen, platschte ins Wasser und kam auf mich zugeschossen.
»Das ist einfach großartig!«, sagte Justin. »Ich wünschte, ich hätte das schon vor Jahren gemacht. Komm schon!«
Aber ich hatte nicht die geringste Chance, mit ihm mitzuhalten. Er schoss durchs Wasser, hin und her, be schrieb in langen Schwüngen große Bögen, schwamm im Zickzack, sprang, tauchte. Es war, als würde er vom Schwimmbecken Besitz ergreifen.
Ich blieb einfach in der Mitte und rief Dinge wie: »Jus tin, vielleicht solltest du nicht ...«, »Vielleicht brauchst du ...« und »Es ist dein allererstes Mal«.
Aber er war für das geboren, was er da gerade machte.
Schließlich tauchte er neben mir auf, lächelte und sagte: »Jetzt hast du mich zum dritten Mal gerettet.«
»Was?«
»Zuerst hast du mich vor Gregor gerettet, dann davor, Ileanas Party zu versäumen. Und jetzt hast du mich davor gerettet, niemals herauszufinden, wer ich wirklich bin«, sagte er.
»Weißt du, es wird spät«, erwiderte ich. »Wir trocknen uns besser ab.«
»Ich möchte nie wieder trocken sein.«
»Mach schon. Die Wachleute werden vorbeikommen, um das Schwimmbad zu schließen und Underskinker aufzuwecken.«
»Okay«, sagte Justin zögernd. Er glitt in eine Ecke des Beckens und sprang aus dem Wasser.
Als er sich abtrocknete, wurde er wieder zu dem Jus tin, den ich kannte. Aber es gab einen Unterschied. Er lächelte und es lag keine Scheu darin. Er war glücklich und er wusste, dass niemand ihm dieses Glück nehmen konnte. Er bewegte sich sogar anders.
Wir zogen uns an und gingen in die frühe Dämme rung hinaus. Der Schnee hatte sich jetzt in die Ecken und an die schattigen Plätze zurückgezogen. Er leuchtete schwach.
»Also«, sagte Justin, als hätte er darüber nachgedacht,
»was muss ich tun, um in die Wasserballmannschaft auf genommen zu werden? Als regulärer Spieler, meine ich.«
Diese Idee war so einfach, dass sie genial war. U n d ich war mir sicher, Horvath würde sie hassen. Aber dann kam mir selbst eine Idee, die entweder genauso genial wie die von Justin oder idiotisch war. Ich wusste, wie ich Justin in die Mannschaft bringen und die Zulassung der Schule retten konnte. Und wie ich Horvath davon abhal ten würde, sich einzumischen.
Es gab da nur einen möglichen Haken.
»Das hab ich schon gelöst«, sagte ich. »Aber das wird nicht reichen. Wir brauchen noch zwei oder drei andere Spieler. Justin - glaubst du, es gibt hier noch mehr Jenti, die das Gleiche können wie du?«
»Könnte sein«, meinte Justin nach ein paar Minuten.
»Dieses Mädchen, das ich erwähnt habe, Helen, die mit den Guppys. Und ihr Bruder Carlton. Man sagt, dass er mit drei in ein Planschbecken gefallen ist. Hat seiner Mom einen fürchterlichen Schreck eingejagt.«
»Das wären mit dir dann drei«, sagte ich.
»Mir fallen noch ein paar ein, die in Frage kommen könnten«, meinte Justin. »Das Komische daran ist — sie sind alle so wie ich. Irgendwie klein und braunhaarig.
Oder fast blond. Und sie haben alle das gleiche Problem wie ich - sie brauchen manchmal zusätzliches Blut. Und keiner von ihnen verwandelt sich. Aber jeder von ihnen macht irgendwas mit Wasser. Und wenn sie nur den Ra sensprenger einschalten.«
»Okay«, sagte ich und versuchte an alles gleichzeitig zu denken. »Es ist wichtig, dass Horvath nichts davon er fährt. Das heißt, wir müssen die Probespiele irgendwo anders abhalten. Kennst du irgendwen mit einem eige nem Swimmingpool?«
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