Ein Buch mit dem Titel ...« Er hielt inne, blätterte es durch und setzte fort: »Ein Buch mit leeren Seiten m i t . . .
in dem auf einigen Seiten Dinge aufgeklebt sind?«
Gregor lachte. Ein paar andere Leute kicherten.
»Zeigen Sie es mir«, befahl Ileana, und ich meine: be fehlen.
Ignatz brachte es ihr hinauf.
Ileana blätterte die Seiten vorsichtig um. »Eine Seite mit Wolken«, sagte sie. »Eine Seite mit wunderschönen Federn von meinem Lieblingsvogel. Goldene Eichen blätter. Und hier, auf der letzten Seite, die Sterne. Meine eigenen Sterne. Ja. Und die restlichen Seiten für mich, um sie mit den Tagen meines Lebens zu füllen.« Sie wandte sich an mich: »Danke, Freund. Du bist immer so großzügig zu mir.«
Sie legte das Buch neben sich auf den Tisch und setzte sich.
Ileanas Mutter fing zu klatschen an, doch diesmal schlossen sich nur ein paar wenige Leute an und der Ap plaus erstarb beinahe so rasch, wie er angefangen hatte.
Szasz hielt das nächste Geschenk hoch.
Endlich war dieses ganze fürchterliche Spektakel vor bei. Die Karren wurden weggerollt, die Tische hinausge tragen und das Orchester begann wieder zu spielen. Jetzt machten sie wilde Zigeunermusik und die Jenti, die per fekten, beherrschten Jenti, begannen zu tanzen.
Es war unglaublich. Sie tanzten und sprangen im Saal umher wie eine Meute wild gewordener Hunde. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Leute sich derart verbie gen konnten — geschweige denn in Abendkleidung. U n d zwar vollkommen kontrolliert. Niemand stieß auch nur ein einziges Mal mit einem anderen zusammen oder ver gaß auch nur einen einzigen Schritt.
Und mit wem tanzte Ileana? Mit Gregor. Er hob sie hoch und wirbelte sie herum, als wäre sie aus Zucker watte. Ileana bewegte sich mit ihm, als wäre sie sein ver längerter Arm. U n d niemand versuchte ihn aufzuhalten.
Ich hasste es.
»Für einen Cousin tanzt er ziemlich eng mit ihr«, sagte ich an einer Stelle zu Justin.
»Es gibt solche Cousins und solche«, erwiderte Justin.
»Und was genau bedeutet das?«
»Eine Menge Leute erwarten, dass sie heiraten«, sagte Justin.
»Was? Aber sie sind miteinander verwandt!«
»Viele Leute heiraten Leute, mit denen sie verwandt sind«, meinte Justin. »Ich wette, du hast keine Ahnung, dass mehr als die Hälfte aller Präsidenten mit wenigstens einem anderen Präsidenten verwandt waren.«
»Gregor wird nicht Präsident werden«, schnauzte ich ihn an.
»Nein, aber Ileana wird eines Tages so eine Art Köni gin sein«, sagte Justin.
»Ach, jetzt mach aber mal halblang!«
Justin sah mich irgendwie komisch an. »Du weißt es nicht, oder? Sie hat es dir nie erzählt.« Er schüttelte den Kopf. »Das hätte sie aber tun sollen. Ich frage mich, wa rum sie es nicht getan hat.«
»Wovon redest du eigentlich?«
»Die Jenti haben sozusagen ihr eigenes Königshaus«, sagte Justin. »Ileana steht ziemlich weit oben. Ihre Mutter ist die Jenti-Königin eines großen Teils von Europa. Und auch von hier.«
»Das hier ist Amerika, sie ist Amerikanerin«, sagte ich im besten Patrick-Henry-Stil. »Wir haben dieses ganze Zeug vor langer Zeit hinter uns gelassen.«
»Klar. Aber einiges davon folgt uns wie ein Schatten.
Ich glaube nicht, dass Ileana es besonders mag. Doch es gibt nicht sehr viel, was sie dagegen tun kann.«
»Sie wird also Gregor heiraten, nur weil ein paar Leute glauben, dass sie eine Königin ist? Was hat er für einen Rang?«, sagte ich und wurde immer wütender.
»Er steht auch ziemlich weit oben.«
»Was ist er? Der König?«
»Die Jenti haben keine Könige, nur Königinnen«, ant wortete Justin. »Aber er ist hoch genug oben, um sie hei raten zu können.«
»Das ist Scheiße. Ich verschwinde von hier.«
»Es zeugt von schlechten Manieren, wenn man vor der Mutter aufbricht«, sagte Justin.
»Na und? Ich bin bloß ein blöder Gadjo. Mich will so wieso niemand hier haben.«
Justin legte mir die Hand auf den Ärmel. »Sie will es.
Geh nicht weg, ohne es ihr zu sagen.«
Ich schüttelte ihn ab.
»Ich hab die Schnauze voll! Ich verschwinde jetzt.«
Aber Justin packte mich wieder mit der ganzen Kraft des Vampirs, der er war, am Ärmel. »Renn jetzt nicht davon, ohne ihr eine Chance zu geben, sich von dir zu verabschieden. Du begreifst nicht alles, was hier abläuft.«
»Ich begreife genug«, sagte ich.
»Nein, das glaube ich nicht«, gab Justin zurück. »Du bist wahrscheinlich der erste Gadjo, der je zu einem fünf zehnten Geburtstag eingeladen wurde. Du bist auf jeden Fall der erste, der je eingeladen wurde am Ehrentisch Platz zu nehmen. Und du hast Recht - niemand sonst will dich hier haben. Nicht ihre Eltern, keiner ihrer Ver wandten. Und du kannst dir wohl ziemlich gut vor stellen, was Gregor davon hält. Kapierst du, wovon ich rede?«
»Nein, und lass mich jetzt endlich los, verdammt noch mal!«
»Warum sollte sie das tun?«
Ich schwieg.
»So, wart hier einen Augenblick«, sagte Justin. »Bitte, Cody. Ich möchte dir nicht die Beine brechen müs sen.«
Also saß ich da und kochte vor mich hin, während Justin zwischen den Tänzern verschwand. Ich wartete lange — zumindest kam es mir lange vor — und wurde es schließlich müde. Wenn Justin mir die Beine brechen wollte, musste er mich zuerst erwischen.
In diesem Moment spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
»Bitte kommen Sie mit mir mit, Sir«, sagte Ignatz.
»Ich bin am Gehen«, gab ich zurück.
»Ich möchte Sie nicht aufhalten, Sir, aber Ihre Gastge ber haben ausdrücklich nach Ihnen gefragt. Bitte folgen Sie mir.«
Von einem über zwei Meter großen Vampir nett ge beten zu werden macht irgendwie jeden Vorschlag zu einem guten Vorschlag. Also ging ich mit ihm den Gang entlang in ein kleines Zimmer, das von Schatten und einem schwachen, warmen Licht erfüllt war. Dort war teten Mr Antonescu mit seiner Frau und Ileana.
Als ich eintrat, machte Mrs Antonescu einen Knicks vor mir. Mr Antonescu verbeugte sich.
»Wenn wir richtig verstanden haben, möchtest du das Fest gerne verlassen«, sagte Mr Antonescu. »Cody, ver zeih uns bitte, dass wir dir nicht richtig gedankt haben, als du mit Justin zurückgekommen bist. Es schien uns das Beste zu sein, Ileanas fünfzehnten Geburtstag nicht zu unterbrechen. Vielleicht war das falsch von uns. Es ist nicht immer leicht, zu wissen, was das Richtige ist, nicht einmal nach jahrelanger Übung.«
»Das ist es nicht«, sagte ich. »Ich - ich muss bloß nach Hause, das ist alles. Ich hätte nicht gewollt, dass Sie Ilea nas Party unterbrechen.«
»Ich möchte jetzt etwas Unpassendes tun«, sagte Mrs Antonescu und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Du hast ein tapferes Herz und bist voller Großmut.«
»Es gibt bei den Jenti Legenden über Gadje wie dich«, sagte Mr Antonescu. »Aber ich bin zuvor noch nie einem begegnet.«
»Ich habe bloß ein bisschen Blut hergegeben.«
»Ja, du hast es hergegeben. Du hast es hergegeben, ohne zu handeln oder auch nur darum gebeten worden zu sein«, sagte Mrs Antonescu. »Das ist alles.«
»Du läufst Gefahr, für uns ein Held zu werden«, mein te Mr Antonescu.
»Nein«, sagte ich. »Ich meine, bitte erzählen Sie es nie mandem. Es war keine große Sache.«
»Mutter, Vater, darf ich meinen Freund einen Mo ment allein sprechen?«, bat Ileana.
Ihre Eltern sahen sich an. »Aber nur kurz, mein Schatz.
Du hast Gäste«, sagte Mr Antonescu.
»Ja, Papa«, erwiderte sie.
Ileana stand im Halbdunkel da und sah wie die Köni gin aus, die sie war. Mir fiel absolut nichts ein, was ich hätte sagen können.
Schließlich sagte sie etwas. »Danke.«
»Gern geschehen.«
»Du weißt, Justin ist mein ältester Freund. Du hast ihn zu mir gebracht. Das war großmütig von dir.«
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