»Ah, der junge Held«, sagte sie mit starkem Jenti-Akzent.
»Und wie findest du Vlad Dracul?«, fragte mich Mr Antonescu.
»Oh, äh — anders«, antwortete ich. »Sehr anders.«
»Ja, das ist sie wohl.« Mr Antonescu lächelte. »Aber ich frage mich, ob es dir dort gefällt.«
Ich hätte irgendwas Höfliches antworten können, aber Mr Antonescu sah nicht aus, als ließe er sich von Höf lichkeiten täuschen.
»Es gibt kein Gesetz, dass Schule einem gefallen muss«, sagte ich. »Ich mag Ileana und Justin und die Schwimm halle, wenn ich allein dort bin. Auf den Rest kann ich verzichten.«
Mr Antonescu wandte sich an Ileana. »Eine gute, ehr liche Antwort«, sagte er. »Es ist, vor allem in meinem Beruf, erfrischend, so etwas zu hören. Ich danke dir.«
Ich hatte das Gefühl, bei irgendeiner Art Test durch gefallen zu sein.
»Komm«, sagte Ileana, »ich zeige dir deinen Platz.«
An einem Ende des Raums waren lange Tische aufge stellt. Ich sah, dass vor jedem Gedeck eine kleine Tisch karte stand. Am anderen Ende des Saals war ein Tisch im rechten Winkel zu den anderen Tischen gedreht. Er be fand sich auf einem Podium und es gab nur auf einer Seite Stühle, so dass sie allen anderen im R a u m gegen-
überstanden.
»Das da ist deiner«, sagte Ileana.
Mein Platz war genau neben ihrem.
»Jetzt muss ich dich ein paar Freunden von mir vor stellen«, meinte Ileana.
Wir gingen auf zwei Mädchen zu.
»Marie und Erzsebet, das ist Cody Elliot«, sagte sie.
»Cody, das sind Marie und Erzsebet Haraszthy. Sie sitzen ebenfalls an unserem Tisch.«
»Wie geht's?«, schnurrten beide.
»Darf ich mich bitte entschuldigen?«, sagte Ileana. »Ich muss noch ein paar andere Leute begrüßen.«
Wir drei standen da und lächelten, wie Leute eben lä cheln, wenn sie nicht wissen, was sie sonst tun sollen.
Um genau zu sein — sie lächelten auf mich herab. Marie, die Kleinere, war einen halben Kopf größer als ich. Erz sebet war noch größer.
»Ihr geht also auch an die Vlad?«, fragte ich Erzsebets Schulter.
»Vlad?«, fragte sie vorsichtig, als wäre sie nicht daran gewöhnt, Englisch zu sprechen. »Nein, nein. Wir sind nicht aus den Vereinigten Staaten!«
»Wir sind echte Transsylvanier«, sagte Marie und lä chelte mich dabei an, als wäre ich das bestaussehende Sandwich, das ihr je unter die Augen gekommen war.
»Obwohl unsere Familien natürlich schon seit vielen Jahren in Paris leben«, fuhr Erzsebet fort. »Das war we gen der Kommunisten in Ungarn und Rumänien nötig.
Nun bleiben wir, weil — nun, weil es eben Paris ist.«
»Aber wir verbringen einen Teil des Jahres im — ent schuldige, auf dem — Land unserer Vorfahren«, sagte Ma rie. »Es ist wichtig, dass man sich eine Verbindung zu sei nen Ursprüngen bewahrt, findest du nicht auch?«
»O doch«, antwortete ich. »Ich bin aus Kalifornien und vermisse es sehr.«
»Ein Gadjo aus Kalifornien«, sagte Erzsebet. »So etwas habe ich noch nie getroffen.«
Marie legte die Hand auf meinen Arm.
»Du musst uns erzählen, wie du unsere Ileana kennen gelernt hast«, sagte sie.
Ich würde diesen Mädchen bestimmt nichts über Illy rien erzählen. Sie verhielten sich so, als würden sie auf die siebenunddreißig zugehen, und nicht wie die Fünf zehnjährigen, die sie waren. Ich meine - blasiert.
»Wir sind Klassenkameraden«, gab ich zur Antwort.
»Ileana, Justin - kennt ihr übrigens Justin Warrener? -
und ich. Wir hängen oft gemeinsam ab.«
»Aha. Ihr hängt also ab«, sagte Erzsebet, als hätte ich etwas Witziges gesagt und sie kämpfe gerade gegen ein Lachen an.
»Abhängen muss sehr nett sein«, meinte Marie. »Wir haben zu Hause keine Gelegenheit dazu.«
»In Europa sind wir immer mit irgendetwas be schäftigt«, sagte Erzsebet. »Man erwartet das so von uns.«
»Sie halten uns an der Vlad auch ganz schön auf Trab«, sagte ich.
»Aber ihr findet trotzdem Zeit zum Abhängen«, meinte Marie.
»Nach der Schule«, gab ich zurück.
Marie und Erzsebet warfen sich dieses gewisse rätsel hafte Lächeln zu, bei dem Jungs sich wie Kröten vor kommen. Dann richteten sie ihre schönen, strahlenden Augen auf mich, als wäre ich ein Witz, den sie nicht so recht verstanden.
»Und, bleibt ihr lange hier?«, fragte ich in dem Ver such, die Stille mit etwas zu füllen.
»Nein. Wir kehren sehr bald nach Europa zurück«, sagte Erzsebet. »Wir sind nur gekommen, weil Ileanas Geburtstag so überaus wichtig ist.«
»Kommt ihr jedes Jahr zu ihrem Geburtstag her?«, fragte ich.
»Wohl kaum«, antwortete Marie. »Du musst wissen, dass der fünfzehnte Geburtstag bei uns von überaus gro ßer Bedeutung ist.«
»Hab noch nie davon gehört«, erwiderte ich.
»Du hast wohl die Rose bemerkt, die sie trägt«, sagte Erzsebet. »Das bedeutet, dass sie jetzt eine Frau ist.«
»Sie ist in keinerlei Hinsicht mehr ein kleines Mäd chen«, sagte Marie.
»In Europa würde sie bereits wissen, wer ihr zukünf tiger Ehemann ist«, sagte Erzsebet. »Aber hier ...« Sie wedelte mit der einen Hand, als würde sie etwas ver scheuchen.
»Hierzulande werden nicht einmal die Jenti so reif, wie sie sollten«, meinte Marie. »Und das ist bedauerlich, wenn man bedenkt, wer sie ist —«
»Aber es steht uns nicht zu, das zu kritisieren«, unter brach sie Erzsebet.
»Nein, gewiss nicht«, bekräftigte Marie.
»In Amerika liegen die Dinge eben anders«, sagte Erzsebet. »In Europa wäre es undenkbar, an einem Festtag wie diesem einen Gadjo in unserer Mitte zu haben.«
Und wieder lächelte sie mich an.
Dieses Lächeln machte mich verrückt.
»Ja«, sagte ich. »Ihr wisst ja, wie Amerika ist. Wir lassen jeden herein. Sogar Vampire. U n d jetzt entschuldigt mich bitte.« Ich lächelte zurück und ging.
Reizende Leute auf dieser Party. Wo war Justin bloß, wenn ich ihn brauchte?
Dad hatte mir sein Mobiltelefon mitgegeben, damit ich ihn anrufen konnte, wenn ich abgeholt werden wollte.
Ich ging auf den Flur hinaus und wählte Justins Nummer.
»Hallo?« Ich erkannte Mrs Warreners schöne Stimme.
»Hallo, Mrs Warrener, hier ist Cody Elliot«, sagte ich.
»Ich wollte nur fragen, wie es Justin geht.«
»Justin wird in ein, zwei Tagen wieder auf dem Damm sein«, antwortete sie und hörte sich traurig an. Sie zö gerte. »Es ist nur so, dass unser Blutvorrat diesen Monat etwas zu früh zu Ende gegangen ist. Ich glaube nicht, dass Justin dir je davon erzählt hat, aber er braucht etwas mehr als die durchschnittliche Menge, und diesen Mo nat - er musste aufbrauchen, was wir noch hatten.«
Ich hörte ein Schluchzen und wie sie es zu unterdrü cken versuchte.
»Und wie geht es Ihnen, Mrs Warrener?«, fragte ich.
»Oh, mir geht es ziemlich gut, danke. Ich brauche ein paar Tage nicht zu — zu trinken. Bis dahin wird wieder etwas Geld im Haus sein.«
»Kann ich bitte mit Justin reden?«, fragte ich.
»Einen Augenblick.«
»Hallo«, flüsterte Justin.
»He, Mann! Ich bin auf Ileanas Party und alle hier schauen mich an, als stünde ich auf der Speisekarte«, sagte ich. »Ich kenn hier niemanden außer Ileana und Gregor und seiner Gang. Hilfe!«
»Ich kann nicht kommen, das weißt du ja«, sagte er bitter. »Meine Mutter hat dir erklärt, warum.«
»Aber wenn du etwas - etwas Menschensaft bekämst, könntest du es dann hierher schaffen?«
Justin seufzte. »Es ist der einzige Ort, an dem ich gern wäre.«
»Warum sage ich Ileana dann nicht einfach, sie soll dir eine Gallone rüberschicken? Sie müssen es hier fässer weise haben!«
Am anderen Ende der Leitung herrschte langes, langes Schweigen.
Schließlich sagte Justin: »Das kann ich nicht. Ich kann nicht darum bitten.«
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