Nun, der Oberste Bibliothekar saß auf seinem Schreibtisch, schälte gerade eine Orange und war sich der Gefahren sehr wohl bewußt.
Er sah auf, als Trymon eintrat.
»Ich möchte al e Berichte, die wir über die Pyramide von Tsort haben«, sagte der Zauberer. Er hatte sich vorbereitet und zog eine Banane aus der Tasche.
Der Bibliothekar betrachtete sie traurig und sprang zu Boden. Trymon spürte, wie ihn eine weiche Hand berührte, um ihn an den Regalen ent-langzuführen. Das Wesen neben ihm watschelte, wankte dabei immer wieder von einer Seite zur anderen. Dann und wann sträubte sich sein dichter Pelz.
Um sie herum zischten die Bücher, und dann und wann stoben glitzernde Funken auf. Manchmal flammte eine Entladung purer magischer Energie über die speziel en Blitzableiter, die an den Regalen befestigt waren. Ein metallisch blauer Geruch lag in der Luft, und in der Ferne flüsterten die gräßlichen Wesenheiten aus den Kerkerdimensionen.
Wie viele andere Teile der Unsichtbaren Universität beanspruchte die Bibliothek weitaus mehr Platz, als die äußeren Abmessungen vermuten ließen. Magie krümmt den Raum auf eine sehr seltsame Art und Weise, und wahrscheinlich war dies die einzige Bibliothek im ganzen Universum, die Möbius-Regale aufwies. Doch der tadellose geistige Katalog des Bücherhüters sorgte dafür, daß er nie die Übersicht verlor. Er verharrte vor einem schwindelerregend hohen Stapel, hangelte sich mit erstaunli-chem Geschick an einem wackligen Gestell empor und verschwand in der Dunkelheit. Kurz darauf raschelte Papier, und eine dichte Staubwol-ke schwebte zu Trymon herab. Dann kehrte der Bibliothekar mit einem dünnen Band zurück.
»Ugh«, sagte er.
Trymon nahm ihn vorsichtig entgegen.
Der Deckel war brüchig und zerknittert, und nur einige kleine Partikel erinnerten an das Blattgold der Aufschrift. Trymon konzentrierte sich auf die darunter zurückgebliebenen blassen Flecken und las einige Worte in der alten magischen Sprache des Tsort-Tals: D’r Goss Teimp’l ffo Tsort – Aine Mistysch G’schikkte.
»Ugh?« fragte der Bibliothekar diensteifrig.
Trymon blätterte vorsichtig. In fremden Sprachen kannte er sich nicht sonderlich gut aus, sah in ihnen ein Hindernis für die Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen. Er hielt es für besser, eine Art inter-nationale Kommunikationsnorm zu schaffen, die auf einem logischen Zahlsystem basierte, das keinen Platz für Mißverständnisse und Fehlin-terpretationen ließ. Deshalb schlug sein Herz sofort höher, als er ganze Seiten mit herrlich eindeutigen Hieroglyphen entdeckte.
»Ist dies das einzige Buch über die Pyramide von Tsort?« fragte er langsam.
»Ugh.«
»Bist du ganz sicher?«
»Ugh.«
Trymon spitze die Ohren. Vom Treppenhaus her vernahm er das Schlurfen sich langsam nähernder Schritte, begleitet von Stimmen, die gegenseitig ihre fachliche Kompetenz in Frage stel ten. Der Zauberer lächelte dünn: Auch darauf war er vorbereitet.
Erneut griff er in die Tasche.
»Möchtest du noch eine Banane?« fragte er den Bibliothekar.
Der Wald von Skund war tatsächlich verzaubert, wie die meisten Dinge auf der Scheibenwelt. Außerdem gab es im Rest des Universums sicher keinen anderen Wald, der »Die Finger weg, du Blödmann!« hieß – so lautete die wörtliche Übersetzung des Wortes ›Skund‹.
Bedauerlicherweise fand diese Art der Namensgebung eine breite An-wendung. Als die ersten Forschungsreisenden aus den warmen Regionen im Bereich des Runden Meers das kühle Hinterland erreichten, fül ten sie die weißen Stellen auf ihren Karten auf folgende Weise: Sie schnappten sich den nächsten Einheimischen, deuteten auf irgendeinen Teil der Landschaft, sprachen laut und deutlich und schrieben die verwirrte (und manchmal auch ärgerliche) Antwort des Befragten nieder. Aus diesem Grund enthielten die Atlanten seit zahllosen Generationen eher seltsame geografische Angaben wie: Nur ein Berg, was sol ’s? und natürlich, Finger weg, du Blödmann.
Regenwolken hingen über den kahlen Oolskunrahod-Höhen (Wer ist der Narr, der nicht weiß, was ein Berg ist?), und der Koffer machte es sich unter einem tropfnassen Baum bequem, der vergeblich versuchte, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Zweiblum und Rincewind stritten sich miteinander. Der winzige Mann, um den es dabei ging, hockte auf seinem Pilz und hörte fasziniert zu. Er sah wie jemand aus, der wie jemand roch, der in einem Pilz wohnte – und das beunruhigte den Touristen.
»Warum hat er denn keine rote Mütze?«
Rincewind zögerte und fragte sich mit wachsender Verzweiflung, worauf Zweiblum hinauswollte.
Schließlich gab er auf. »Was?« erwiderte er.
»Er müßte eigentlich eine rote Mütze tragen«, beharrte Zweiblum.
»Und er sol te sauberer und, und… und fröhlicher sein. Gnome habe ich mir immer anders vorgestellt.«
»Was soll das heißen?«
»Nimm nur den Bart«, sagte Zweiblum ernst. »Ich habe Ziegen mit wesentlich längeren und hübscheren gesehen.«
»Meine Güte!« brummte Rincewind. »Er ist fünfzehn Zentimeter groß und wohnt in einem Pilz. Diese Beschreibung trifft haargenau auf Gnome zu.«
»Vielleicht will er sich damit nur tarnen.«
Rincewind beobachtete den Gnom aus zusammengekniffenen Augen.
»Entschuldige bitte«, sagte er, griff nach dem Arm des Touristen und führte ihn auf die andere Seite der Lichtung.
»Jetzt hör mir mal gut zu«, preßte Rincewind zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wenn er fünf Meter groß wäre und behauptete, ein Riese zu sein – hieltest du ihn dann für einen Kobold?«
»Viel eicht für einen Kobold, der auf Stelzen steht«, erwiderte Zweiblum trotzig.
»Lieber Himmel«, ächzte Rincewind und sah zu der winzigen Gestalt zurück, die mit hingebungsvol em Eifer in der Nase bohrte. »Gnome, Riesen, Kobolde, Feen, Elfen, von mir aus auch Klabautermänner und Waldschrate – entscheide dich. Du hast die freie Wahl.«
Zweiblum schürzte die Lippen. »Elfen kommen nicht in Frage«, erwiderte er fest. »Sie tragen grüne Kleidung, haben spitze Ohren und kleine Antennen am Kopf. Ich kenne sie von Bildern.«
»Von welchen Bildern?«
Zweiblum zögerte und sah zu Boden. »Ich glaube, es hieß ›murmel, murmel, murmel‹.«
»Wie hieß was?«
Der winzige Mann schien sich plötzlich für seine Handrücken zu interessieren.
»Es hieß Elfengeschichten für die Kleinen «, sagte der Tourist kleinlaut.
Rincewind zwinkerte.
»Beschreibt es die Möglichkeiten, ihnen aus dem Weg zu gehen?« fragte er.
»O nein«, entgegnete Zweiblum eifrig. »Es schildert, wo man sie finden kann. Ich erinnere mich jetzt wieder an die Illustrationen.« Verträumt wanderte sein Blick in die Ferne, und Rincewind stöhnte innerlich. »Unter anderem war auch die Rede von einer Fee, die des Nachts kommt, um Zähne zu holen.«
»Braucht sie etwa ein neues Gebiß?« erkundigte sich Rincewind in einem… nun, bissigen Tonfal .
»Nein, nein, keineswegs. Du hast mich völlig falsch verstanden. Mit ihren Zähnen ist al es in Ordnung. Sie nimmt nur diejenigen von Kindern, als eine Art… Andenken. Ich weiß nicht genau. Wie dem auch sei. Wenn Jungen und Mädchen ihre Milchzähne verlieren, legen sie sie am Abend unters Kopfkissen. Dann kommt die Fee, holt sie und läßt irgendein kleines Geschenk zurück.«
»Warum?«
»Warum was?«
»Warum sammelt sie Zähne?«
»Keine Ahnung.«
Rincewind stel te sich ein sonderbares Wesen vor, das in einem ganz aus Zähnen bestehenden Schloß wohnte. Es war jene Art von gedankli-chem Bild, das man am liebsten sofort wieder vergessen möchte – und von dem man sich einfach nicht befreien kann.
»Argh«, machte er und rol te mit den Augen.
Rote Mützen! Er überlegt, ob er dem Touristen erklären sol te, wie das al tägliche Leben eines Gnoms aussah: Frösche, die eine üppige Mahlzeit darstel ten, das riesige Gewölbe eines Kaninchenbaus, das Schutz vor dem Regen bot (aber nur dann, wenn es nicht zu stark regnete), Eulen, die Schrecken der Nacht. Ja, eine Idylle, wahrhaftig. Hosen aus Maul-wurfspelz mochten so lange romantisch erscheinen, bis man den ursprünglichen Eigentümer in die Enge treiben und ihm im wahrsten Sinne des Wortes das Fell über die Ohren ziehen mußte. Und was rote Mützen anging: Al es, was sich im Wald bewegte und bunt genug war, um Aufmerksamkeit zu erregen, erreichte kein hohes Alter.
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