»Bist du ein magisches Wesen?« erkundigte er sich.
»So eine Frage hat man mir noch nie gestel t«, antwortete der Baum.
»Nun, ich glaube schon.«
Es ist unmöglich, mit einem Baum zu sprechen, überlegte Rincewind. Wenn ich anfange, mich mit Bäumen zu unterhalten, bin ich verrückt. Und da ich nicht verrückt bin, können Bäume nicht reden.
Beeindruckt von seiner Logik sagte er: »Leb wohl.«
»He, geh noch nicht fort«, sagte der Baum, begriff dann aber die Nutz-losigkeit seiner Bemühungen. Er sah Rincewind nach, der durchs Ge-büsch davonstapfte, konzentrierte sich dann wieder auf seine Empfin-dungen, spürte das Licht der Sonne auf den Blättern; lauschte dem leisen Gurgeln des Wassers, das über die Wurzeln plätscherte, fühlte, wie in den Kapillaren Saft emporstieg, der dem Wechselspiel von Sonne und Mond folgte. Ein langweiliges Leben, dachte er. Wie seltsam. Natürlich ist uns Bäumen manchmal langweilig. Kein Wunder, wenn man dauernd an einer Stel e steht. Aber das ganze Leben? Und dann: Werde ich jemals etwas anderes sein?
Zwar sprach Rincewind nie wieder mit diesem einen Baum, aber das kurze Gespräch legte den Grundstein für die erste Baum-Religion, die sich im Laufe der Zeit in allen Wäldern auf der Scheibenwelt ausbreitete.
Ihr Glaubenssatz lautete folgendermaßen: Ein Baum, der ein anständiges und tadelloses Leben führt, sich niemals etwas zuschulden kommen läßt, kann auf ein Leben nach dem Tod hoffen. Wenn er keine Sünde auf sich lädt, wird er in Form von fünftausend Rol en Toilettenpapier wiedergeboren.
Einige Meilen entfernt überwand Zweiblum al mählich seine Überraschung angesichts der unverhofften Rückkehr zur Scheibenwelt. Er hockte auf der Hül e des Mächtigen Reisenden, der durch die dunklen Wasser eines großen und von Bäumen gesäumten Sees tauchte.
Seltsamerweise machte er sich keine besonderen Sorgen. Zweiblum war Tourist, der erste Vertreter dieser neuen Spezies, die sich nur sehr zögernd in den Scheiben-Regionen entwickelte. Seine ganze Existenz gründete sich auf die unerschütterliche Überzeugung, daß ihm eigentlich nichts wirklich Schlimmes zustoßen konnte, weil er sich mit der Rolle eines Beobachters zufriedengab. Er glaubte auch, daß ihn al e Leute verstanden, wenn er laut und deutlich sprach, hielt Fremde zunächst immer für vertrauenswürdig und meinte, mit gutem Willen und vernünftigem Verhalten ließen sich alle Probleme lösen.
Im Prinzip verlieh ihm diese Einstel ung eine Überlebenschance, die kaum größer war als die einer Seifenblase, aber Rincewind mußte immer wieder verblüfft zur Kenntnis nehmen, daß Zweiblums Philosophie funktionierte. Wenn er mit irgendeiner Gefahr konfrontiert wurde, reagierte er mit solcher Gelassenheit, daß die Gefahr den Mut verlor, aufgab und verschwand.
Allein der Umstand, daß er nicht mehr atmen konnte, brachte Zweiblum nicht aus der Fassung. Er vertrat die Auffassung, eine moderne Gesel schaft ließe es bestimmt nicht zu, daß Leute einfach so ertranken.
Die einzigen Sorgen, die er sich machte, betrafen sein Gepäck. Trost spendete ihm die Erinnerung, daß der Koffer aus intelligentem Birnbaumholz bestand und klug genug war, al ein zurechtzukommen…
In einem anderen Teil des Waldes unterzog sich ein junger Schamane gerade einem höchst bedeutsamen Teil seiner Ausbildung. Er verspeiste den sakralen Pilz, rauchte das heilige Rhizom, puderte sich sorgfältig ein und schob sich die mystischen Kräuter und Beeren in verschiedene Körperöffnungen. Anschließend nahm er mit überkreuzten Beinen unter einer Kiefer Platz und konzentrierte sich zunächst darauf, eine Verbindung zu den ebenso sonderbaren wie wundervol en Geheimnissen im Herzen des Seins herzustel en. Doch schon nach kurzer Zeit richtete sich sein Bemühen vor al en Dingen darauf, seinen Kopf am Auseinan-derplatzen zu hindern: Der obere Teil des Schädels schien bestrebt zu sein, abzuheben und fortzufliegen.
Blaue vierseitige Dreiecke zogen brennend durch sein Blickfeld. In un-regelmäßigen Abständen rang er sich ein wissendes Lächeln ab und gab so ausdrucksvolle Laute wie »Oh!« und »Ah!« von sich.
Irgend etwas bewegte sich vor ihm in der Luft, und unmittelbar darauf entstand ein Phänomen, das der junge Schamane später folgendermaßen beschrieb: »Eine Art Explosion, die umgekehrt verlief, du weißt schon, was ich meine.« Plötzlich materialisierte sich dort, wo zuvor nur Leere gewesen war, eine große und ziemlich mitgenommen aussehende Holzkiste.
Mit einem dumpfen Pochen fiel sie ins welke Laub, streckte Dutzende von kleinen Beinen aus, drehte sich schwerfällig um und sah den Schamanen an. Nun, sie hatte natürlich kein Gesicht, aber trotz des mykolo-gischen Dunstes, der vor ihm wal te, zweifelte der junge Mann nicht daran, daß die Kiste ihren Blick auf ihn richtete. Und einen ziemlich finsteren noch dazu. Es ist erstaunlich, wie unheilvoll ein Schlüsselloch und mehrere Spangen aussehen können.
Tiefe Erleichterung durchströmte ihn, als der Koffer auf für Truhen typische Art und Weise mit den hölzernen Achseln zuckte, sich um-wandte und in langsamem Galopp davonstürmte.
Mit einer übermenschlichen Anstrengung gelang es dem Schamanen, aufzustehen und einige Schritte zu gehen. Nach wenigen Metern blieb er wieder stehen, starrte zu Boden und gab die Verfolgung auf, da er plötzlich glaubte, keine Beine mehr zu haben.
Unterdessen hatte Rincewind einen Pfad gefunden. Er verlief nicht gerade, beschrieb immer wieder Kurven, die den Zauberer störten, und außerdem fehlte ihm ein anständiges Kopfsteinpflaster. Aber immerhin gab er ihm die Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben.
Einige Bäume versuchten, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber inzwischen war Rincewind so gut wie sicher, daß es sich dabei keineswegs um eine charakteristische Verhaltensweise von Bäumen handelte, und deshalb beachtete er sie nicht.
Stunden verstrichen. Um ihn herum herrschte Stil e, abgesehen vom Summen lästiger Insekten, die ihn dauernd zu stechen versuchten, dem gelegentlichen Knacken eines herabfal enden Zweigs und dem Flüstern der Bäume, die sich über Religion und den Ärger mit Eichhörnchen un-terhielten. Rincewind begann sich sehr einsam zu fühlen. Er stellte sich vor, wie er für immer und ewig durch den Wald irrte, auf Blättern schlief und sich von, von… von den Dingen ernährte, die ihm ein solcher Ort anbot. Bäume, dachte er und schnitt eine Grimasse. Nüsse und Beeren.
Vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig, als…
»Rincewind!«
Er hob den Kopf und sah Zweiblum, der über den Weg wanderte – platschnaß und ganz offensichtlich quietschvergnügt. Hinter ihm lief der Koffer wie ein treuer Hund. (Alle Gegenstände, die aus diesem Holz hergestellt sind, folgen ihren Eigentümern überallhin: Es wurde oft benutzt, um Koffer für die Grabbeilagen sehr reicher Könige anzufertigen, die ihr Leben im Jenseits nicht ohne frische Unterwäsche beginnen wolten.)
Rincewind seufzte. Bisher hatte er angenommen, der Tag könne nicht noch schlimmer werden.
Ein besonders nasser und kalter Regen fiel. Rincewind und Zweiblum saßen unter einem Baum und beobachteten ihn.
»Rincewind?«
»Hm?«
»Warum sind wir hier?«
»Nun, manche Leute meinen, der Schöpfer des Universums habe die Scheibenwelt und alles darauf geschaffen. Andere sind der Ansicht, es sei eine sehr komplizierte Geschichte, bei der es angeblich um die Hoden des Himmelsgottes und die Milch der Himmlischen Kuh geht. Einige behaupten, wir verdanken unsere Existenz nur der völ ig zufälligen Zu-nahme von Wahrscheinlichkeitspartikeln. Aber wenn du fragst, warum wir uns hier befinden, obgleich wir vom Rand der Scheibe gefal en sind…
Nun, ich habe nicht die geringste Ahnung. Vermutlich ist al es nur ein dummes Versehen.«
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