»Wir haben uns in einem Geschäft bedient«, erklärte Bethan.
»Und Geld zurückgelassen«, fügte Zweiblum hinzu. »Ich meine: Das hätten wir getan, aber leider bin ich derzeit ziemlich knapp bei Kasse…«
»Er bestand darauf, eine kurze Nachricht zu schreiben«, seufzte Bethan.
Zweiblum richtete sich zu seiner vol en Größe auf. Es war kaum der Mühe wert.
»Ich sehe keinen Grund…«, begann er eingeschnappt.
»Ja, ja, schon gut!« Bethan winkte ab und nahm im Schneidersitz Platz.
»In deiner Heimat scheinen seltsame Sitten zu herrschen. Wenn dort al e Leute so sind wie du…« Sie schüttelte den Kopf und sah Rincewind an.
»Die Plünderer haben kein Geschäft verschont. Wir sind sogar einigen Burschen begegnet, die Musikinstrumente auf einen Karren luden. Verrückt, was?«
»Inzwischen wundert mich überhaupt nichts mehr«, entgegnete der Magier. »Vielleicht wol en sie den bevorstehenden Weltuntergang musi-kalisch untermalen.«
Er griff nach einem Messer, prüfte die Klinge, stieß sie in einen schmalen Spalt zwischen zwei Steinen und drehte sie mehrmals. Als er zurück-trat, löste sich ein breiter Ziegel und fiel zu Boden. Rincewind hob den Kopf, zählte lautlos und bohrte den Dolch in eine weitere Mörtelschicht.
»Wie hast du das fertiggebracht?« fragte Zweiblum.
»Hilfst du mir bitte hoch?« entgegnete der Zauberer. Er nutzte die Löcher in der Mauer als Trittstellen und setzte das Messer ein, um weitere Steine aus der Wand zu hebeln. Auf diese Weise arbeitete er sich Meter um Meter in die Höhe.
»Die Studenten der Unsichtbaren Universität hüten dieses Geheimnis schon seit Jahrhunderten«, sagte er. »Einige Ziegel sitzen ganz locker.
Ein geheimer Zugang. He, ihr da unten, paßt auf!«
Ein Granitbrocken fiel aufs Pflaster.
»Für die Schüler und Novizen eine gute Möglichkeit, nach dem Zap-fenstreich zu verschwinden und spät in der Nacht zurückzukehren«, fügte Rincewind hinzu.
»Oh«, machte Zweiblum, »jetzt verstehe ich. Über die Mauer und ein Streifzug durch Schenken und Tavernen. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Trinken, singen und Gedichte vortragen. Auf den Putz hauen. Die Sau raus-lassen. Richtig einen draufmachen.«
»Stimmt genau – bis auf das Singen und die Gedichte«, antwortete Rincewind. »Nun, einige der Eisendorne müßten sich leicht lösen lassen…«
Ein metal enes Klappern folgte auf seine Worte.
»Auf dieser Seite ist es nicht sehr tief«, ertönte kurz darauf die etwas leisere Stimme des Zauberers. »Kommt jetzt! Wenn ihr unbedingt wollt.«
Und so betraten Rincewind, Zweiblum und Bethan die Unsichtbare Universität.
Während im Kellergeschoß tief unten…
Die acht Zauberer schoben ihre Schlüssel in acht Schlösser, drehten sie und wechselten besorgte Blicke. Ein seltsames Geräusch erklang, wie von einer stumpfen Klinge, die langsam durch dicke Wurst schnitt.
Die Kette rasselte und löste sich vom Buch. Blasses oktarines Funkeln tanzte über den Deckel.
Trymon streckte die Hand aus und griff nach dem Oktav. Niemand erhob Einwände.
Irgend etwas prickelte ihm auf der Haut, als er sich der Tür zuwandte.
»Und jetzt in den Großen Saal, Kol egen«, sagte er. »Wenn ich voraus-gehen darf…«
Wieder blieb alles still.
Trymon klemmte sich das Buch unter den Arm. Es schien immer wärmer zu werden, sich hin und her zu winden.
Bei jedem Schritt rechnete er mit einem Schrei, mit lautem Protest.
Aber nichts dergleichen geschah. Trymon brauchte seine ganze Selbst-beherrschung, um nicht schal end zu lachen. Es war al es wesentlich einfacher, als er angenommen hatte.
Die anderen Magier wandten sich gerade erst von dem greulichen Pult ab, als er die Tür erreichte, und vielleicht hielten sie das Zittern in den Schultern des jüngeren Mannes für verdächtig. Aber sie bekamen keine Gelegenheit mehr, rechtzeitig zu reagieren. Trymon trat über die Schwel-le, schloß die Hand um den Knauf, warf die Pforte zu, schloß ab und lächelte.
Er wandte sich um und schritt zufrieden durch den Korridor, überhör-te die wütenden Schreie der Thaumaturgen, die gerade feststellen muß-
ten, wie schwierig es war, in einer magiesicheren Kammer zu zaubern.
Das Oktav bog sich, aber Trymon hielt es fest. Er lief jetzt und versuchte nicht in Panik zu geraten, als sich das Buch unter dem Arm in haarige, knöcherne und stachelige Dinge verwandelte. Die Hand fühlte sich taub an. Das leise Schnattern, das er schon seit einer ganzen Weile hörte, wurde lauter, und hinter ihm erklangen auch andere Geräusche: ein dumpfes Fauchen und Zischen, ein bedrohliches Knurren, ein Knacken wie von splitternden Knochen – die Stimmen unvorstel barer Schrecken, die sich Trymon nur zu gut vorstel en konnte. Als er durch den Großen Saal eilte und dann die breite Treppe hinaufhastete, gerieten die Schatten um ihn herum in Bewegung, verdichteten sich und kamen näher. Außerdem merkte er, daß ihm etwas folgte, irgendeine mit dünnen Stelzenbei-nen ausgestattete Wesenheit, die abscheulich schnel zu ihm aufschloß.
Eis formte sich an den Wänden. Türen schnappten nach ihm, als er vor-beistürmte. Die Stufen unter ihm gaben wie weiches Gummi nach. Oder wie Zungen, die gierig nach ihm leckten…
Trymon hatte nicht ohne Grund viele Stunden im Universitätsäquiva-lent einer Sporthal e verbracht und dort seine mentalen Muskeln trai-niert. Du darfst deinen Sinnen nicht vertrauen, denn sie können getäuscht werden, erinnerte er sich. Die Treppe erstreckt sich irgendwo vor und unter mir. Du mußt sie deinem Wil en unterwerfen, sie dazu zwingen, weiterhin zu existieren. Und du solltest dir große Mühe geben, mein Junge, denn das, was du spürst, ist nicht nur Einbildung…
Groß-A'Tuin wurde langsamer.
Mit kontinentengroßen paddelförmigen Füßen kämpfte sie gegen die Zugkraft der Sterne an und wartete.
Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern…
Rincewind schlich in den Großen Saal. Mehrere Fackeln brannten an den Wänden, und einige Anzeichen deuteten darauf hin, daß eine magische Zeremonie geplant gewesen war. Aber die rituellen Kerzenständer lagen auf dem Boden, und irgend jemand hatte das komplexe, mit Kreide auf den Boden gezeichnete Oktagramm verschmiert. Hinzu kam der seltsame Geruch, der selbst dann unangenehm blieb, wenn man die großzügigen Maßstäbe Ankh-Morporks anlegte. Es roch nach Schwefel, aber das war noch längst nicht al es.
Es stank wie am Grund eines Sumpftümpels.
In der Ferne krachte etwas, und wütende Stimmen wehten durch die Korridore und Flure.
»Offenbar haben die Tore nicht länger standgehalten«, sagte Rincewind.
»Verschwinden wir von hier!« schlug Bethan vor.
»Zum Keller geht’s dort entlang.« Rincewind eilte in einen dunklen Bogengang.
»Hier runter?«
»Ja. Oder möchtest du lieber im Saal bleiben?«
Der Zauberer griff nach einer Fackel und wandte sich den Stufen zu.
Nach einigen Treppenabsätzen wich die Wandvertäfelung nacktem Fels. Hier und dort sahen sie schwere offenstehende Türen.
»Ich habe etwas gehört«, sagte Zweiblum.
Rincewind lauschte. In den dunklen Tiefen der Kel ergewölbe rührte sich etwas. Es klang nicht sehr furchterweckend, hörte sich eher an, als hämmerten mehrere Personen an eine Pforte. Er glaubte, Ausrufe wie
»Au!«, »Auch das noch!« und »Oh, meine Hand!« zu vernehmen.
»Das sind doch nicht etwa die Dinge aus den Kerkerdimensionen, von denen du uns erzählt hast, oder?« erkundigte sich Bethan.
Weit unten ächzte es: »Hat jemand eine Zigarette für mich? Ich gäbe mich schon mit einem teerigen Stummel zufrieden.«
»Geister rauchen nicht«, sagte Rincewind. »Kommt!«
Sie eilten durch eine finstere Passage, durch Tropfwasserpfützen, die sich auf dem Boden gebildet hatten, orientierten sich dabei anhand der Schreie und Flüche. Röchelndes Husten verdrängte ihre letzten Zweifel: Wer so keuchte, konnte unmöglich eine Gefahr darstel en.
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