Die Wölfe waren ungeduldig und umringten Mandreds Pferd. Der Menschensohn schien nicht recht zu wissen, wie er den Tieren begegnen sollte. Ständig behielt er die Wölfe im Auge. Er musste wohl schlechte Erfahrungen gemacht haben, dachte Noroelle. Vielleicht waren Wölfe in seiner Welt eine Gefahr für Leib und Leben, so wie es die Wölfe in Galvelun für die Albenkinder waren. Als Mandred Noroelles Blick bemerkte, beugte er sich im Sattel hinab. Als wollte er seinen Mut beweisen, strich er dem größten Wolf über das Nackenfell. Das gefiel dem Tier! »Sollen wir reiten?«, fragte der Menschensohn. Der Wolf knurrte und musterte Mandred dann.
Lijema musste lachen. »Der spricht kein Fjordländisch. Aber er mag dich.« Auf Elfisch erklärte Lijema den Wölfen, warum sie Mandred nicht verstehen konnten, und übersetzte dann, was der Menschensohn gefragt hatte. Der Wolf legte den Kopf schief, dann wurde er mit einem Mal unruhig. Auch die anderen ließen sich davon anstecken und liefen umher, mal voran, dann wieder zurück zu Mandred. Die Wölfe wollten weiter.
»Verstehen die denn, was du sagst?«
»Jedes Wort. Die sind klüger als mancher Elf. Das darfst du mir glauben.«
»Und sie? Wie sprechen sie?«, wollte Mandred wissen.
Lijema strich dem größten unter den weißen Wölfen über das Fell. »Sie haben ihre eigene Sprache. Und ich beherrsche sie.«
Noroelle musste schmunzeln. Dieser Mensch war leicht zu durchschauen. Wie er den großen Wolf betrachtete, wie er die eine Augenbraue hochzog und sich gleichzeitig auf die Lippe biss, konnte er nur eines denken: Ein solcher Wolf wäre ein vollkommener Jagdgefährte.
»Die sind sicher die besten Jagdgefährten«, sagte Mandred.
Noroelle musste sich beherrschen, um nicht laut zu lachen.
»Gewiss«, antwortete Lijema dem Menschensohn.
»Sind sie so treu wie Hunde?«
Lijema lachte ausgelassen. »Nein, mit Hunden kannst du sie nicht vergleichen. Sie sind viel klüger. Sag noch mal, was du eben gesagt hast.«
»Auf Fjordländisch?«
»Ja.«
»Sollen wir reiten?«
Und wieder wurden die Tiere unruhig und warteten darauf, dass es endlich weiterging.
»Na dann los!«, rief Mandred, und die Gemeinschaft setzte ihren Weg fort.
Das Schweigen zwischen Noroelle und ihren Liebsten hielt an. Die sieben Wölfe schürten Noroelles Sorge um ihre Liebsten. Die Tiere hatten ein Gespür dafür, wie groß die Gefahr war, welche die Jäger erwartete. Sie entschieden selbst, wie groß die Meute sein sollte, die sich der Elfenjagd anschloss. Als Gaomee gegen den Drachen Duanoc geritten war, hatten sie acht Wölfe begleitet. Was mochte das nur für eine Kreatur sein, die dort jenseits des Steinkreises lauerte? Zwar vertraute Noroelle auf die Fähigkeiten ihrer Liebsten, aber selbst große Helden waren schon im Kampf gestorben. Was, wenn das Schlimmste geschah? Was, wenn Nuramon sich täuschte und eine Elfenseele, die in den Menschenreichen starb, nicht in Albenmark wiedergeboren wurde?
Sie kamen an der Fauneneiche und an Noroelles See vorbei. Gestern noch war sie hier mit Farodin und Nuramon gewesen. Noroelle fragte sich, ob ein solcher Tag je wiederkehren würde.
Als der Festungsturm bei der Shalyn Falah in Sicht kam, machten sie kurz Halt, um sich von Aigilaos zu verabschieden; er konnte die weiße Brücke mit seinen beschlagenen Hufen nicht überqueren. Der Kentaur fluchte mehrfach über das alte Bauwerk. »Ich sehe euch am Tor«, sagte er dann und trabte davon.
Noroelle schaute dem Kentauren nach und dachte an all die Geschichten, die man sich über ihn erzählte. Gewiss beneidete er die Elfenrösser, die mit ihren unbeschlagenen Hufen und ihrer elfischen Gewandtheit ohne weiteres über die Brücke schreiten konnten.
»Wieso hat er sich eigentlich die Hufe beschlagen lassen, wenn das der Grund ist, dass er nicht über die Brücke kann?«, fragte Mandred.
»Die Kobolde am Hof haben ihm angeblich erzählt, mit beschlagenen Hufen könne er schneller laufen«, antwortete Lijema. »Nun glaubt er, schneller zu sein, und muss dennoch den Umweg auf sich nehmen.«
Mandred musste lachen. »Das klingt mir ganz nach Aigilaos!«
Sie setzten ihren Weg fort. Am Turm der Shalyn Falah erwartete Ollowain die Gemeinschaft. Mandred begegnete ihm kühl, was Ollowain zu einem amüsierten Lächeln herausforderte. Zügig passierten sie das Tor. Noroelle fragte sich, was zwischen Ollowain und Mandred wohl vorgefallen war.
Sie überquerten die Shalyn Falah und folgten auf der anderen Seite dem breiten Weg vorbei an den Überresten von Welruun. Die Trolle hatten einst den Steinkreis zerstört. Sie selbst hatte es nicht miterlebt, aber die Bäume erinnerten sich ebenso daran wie die Waldgeister. Früher einmal hatte das Tor von Welruun in eines der Fürstentümer der Trolle geführt. Deutlich spürte Noroelle dort die Macht der sieben Albenpfade, die sich zu einem großen Albenstern kreuzten. Die Trolle hatten einen Weg gefunden, das Tor zu schließen. Und kein Elf wusste, welchen Zaubers sie sich dabei bedient hatten.
Der Wald wurde immer dichter. Noroelle erinnerte sich an früher, da sie oft hier gewesen war. Sie mochte diesen Wald.
Die Gefährten folgten dem Weg hinab zwischen den Birken und erreichten schließlich die große Lichtung, auf der sich der Hügel mit dem Steinkreis befand. Bei der Turmruine hatte einst Landowyn die letzte Schlacht gegen die Trolle geschlagen. Betrübt dachte Noroelle daran, wie viele Elfen hier den Tod gefunden hatten.
Die Gemeinschaft hielt am Fuß des Hügels und wartete auf Aigilaos. Mandred stieg ab und trennte sich schweigend von den Gefährten. Er wollte zu Atta Aikhjarto gehen.
Noroelle hatte davon gehört, dass die Eiche sein Leben gerettet hatte. Sie fragte sich, was Atta Aikhjarto in Mandred gesehen hatte. Die Fauneneiche hatte ihr einmal zugetragen, der alte Atta Aikhjarto könne in die Zukunft schauen. Was die alte Eiche wohl wusste, dass sie ihre Kraft schmälerte, um einen Menschensohn zu retten?
Noroelle ließ sich von Farodin vom Pferd helfen. Nuramon kam ein wenig zu spät und half stattdessen Obilee abzusteigen. Die junge Elfe bekam rote Wangen, so sehr war sie angetan von Nuramons Geste. Er führte sie zu Noroelle.
Gemeinsam setzten sie sich ins Gras, doch es war noch immer zu früh für Worte. Bald schwiegen auch die anderen Gefährten. Selbst die Wölfe waren ungewöhnlich still.
Erst als Aigilaos eintraf, wurde wieder gesprochen. »Hab ich etwa zu lange gebraucht?«, fragte er außer Atem. Blanker Schweiß stand ihm auf den Flanken.
»Nein, Aigilaos. Mach dir keine Sorgen«, sagte Noroelle.
Der Kentaur war erschöpft und musste sich ausruhen. Wiederum senkte sich Schweigen über die Gemeinschaft.
Nun fehlte nur noch Mandred, dann würde die Elfenjagd endgültig aufbrechen. Es verging über eine Stunde, bis der Menschensohn zu ihnen zurückkehrte. Noroelle hätte viel darum gegeben zu wissen, was Mandred bei Atta Aikhjarto erfahren hatte. Er aber fragte nur: »Seid ihr bereit?«
Die Gefährten nickten. Noroelle fühlte sich ein wenig schuldig. Sie wusste, sie hatte das Schweigen in die Gemeinschaft getragen. Nun wollte sie es wieder gutmachen. »Kommt, ich werde euch noch bis nach oben zum Steinkreis begleiten.«
Auf dem Weg hinauf spürte Noroelle die Macht des Albensterns wie einen Windhauch, der ihr entgegenwehte. Dieser Ort hatte nichts von seiner Magie verloren. An einen Stein gelehnt stand dort Xern und schaute in den Kreis, in dessen Mitte Nebel aufwallte. Ohne sich zu ihnen umzudrehen, fragte er: »Wer geht dort?« Da er auf Fjordländisch fragte, wusste er offenbar, dass es Mandred war.
Der Menschensohn kam nach vorn und antwortete: »Die Elfenjagd!«
Xern wandte sich ihnen zu. »Dann steht euch dieses Tor offen. Mandred, du kamst mit kaum einem Funken Leben in diese Welt. Und du verlässt sie mit der Kraft Atta Aikhjartos. Möge seine Macht dich und deine Gemeinschaft schützen!« Er wies mit der Hand auf die Nebelwand.
Читать дальше