Kamchak lachte, während Elizabeth mich zu meiner Verblüffung wütend ansah. Was war los mit ihr?
»Der Wettstreit endet unentschieden«, sagte Kamchak. »Die Punkte stehen gleich.«
»Einverstanden«, sagte Conrad.
»Nein«, sagte Albrecht. »Es muß einen Gewinner geben.«
»Ich bin heute schon genug geritten«, sagte Kamchak.
»Ich auch«, bemerkte Conrad. »Kehren wir zu den Wagen zurück.«
Albrecht deutete mit der Lanze auf mich. »Du bist herausgefordert. Lanze und Tospit. Lebendiges Ziel!«
Dieser Sport ist der gefährlichste überhaupt — der eigene Sklave muß für den Kämpfer stehen. Er oder sie hält dabei eine Tospitfrucht im Mund, die mit der Lanze aufgespießt werden muß. Schon mancher Sklave ist dabei schwer im Gesicht verletzt worden.
»Ich will nicht für ihn stehen!« rief Elizabeth Cardwell.
Aber sie konnte sich nicht dagegen wehren und bezog schließlich Position, seitlich zur Reitrichtung, die Tospit vorsichtig im Mund.
Elizabeth zeigte keine Furcht, wie ich erwartet hatte, sondern schien nur wütend zu sein. Sie rührte sich keinen Millimeter, als ich an ihr vorbeidonnerte und dabei die Tospit säuberlich aufspießte.
Das Mädchen, das in den Hals der Kaiila gebissen hatte, stand für Albrecht.
Mit fast verächtlicher Leichtigkeit galoppierte er an ihr vorbei.
»Drei Punkte für jeden!« verkündete der Schiedsrichter.
Albrecht rief: »Jetzt zur Lanzenspitze gewendet!«
»Ich will nicht mehr reiten«, sagte ich.
»Dann beanspruche ich den Sieg und die Frau!« brüllte Albrecht.
So blieb mir nichts anderes übrig, als zu reiten.
Elizabeth nahm etwa fünfzig Meter entfernt Aufstellung. Nun kam der schwierigste Lanzenstoß überhaupt. Der Reiter muß im entscheidenden Augenblick nicht nur die Frucht treffen, sondern seine Waffe auch mit der aufgespießten Tospit zurückziehen und um den Kopf der Sklavin herumschwingen lassen. Geschickt ausgeführt, ist es ein herrlicher Stoß. Doch von der Hand eines ungeschickten Reiters ist schon manche Sklavin entstellt oder gar getötet worden.
Ich hoffte, daß Elizabeth ohne Wunden davonkam. Die Kaiila kam schnell in Fahrt; ihr Galopp war gleichmäßig.
Die Menge brüllte auf, als ich an Elizabeth vorbeiraste, die Tospit auf der Lanzenspitze.
Krieger trommelten mit den Speeren gegen ihre lackierten Schilde. Männer brüllten.
Ich sah, wie Elizabeth zu schwanken begann, aber sie verlor das Bewußtsein nicht.
Albrecht von den Kassars senkte wütend die Lanze und galoppierte auf sein Mädchen zu. Eine Sekunde später war auch seine Lanzenspitze von einer Tospit gekrönt.
Das Mädchen hatte sich nicht von der Stelle gerührt und lächelte.
Die Menge bejubelte nun auch Albrecht.
Doch plötzlich wurde es still, denn der Schiedsrichter eilte zu Albrecht und bat um dessen Lanze. »Hier ist Blut an der Spitze«, sagte er.
»Ich habe sie nicht verletzt!« rief Albrecht
»Ich bin nicht verletzt!« rief das Mädchen.
Der Richter zeigte die Lanzenspitze herum. Ein winziger Blutfleck war an ihrer Spitze sichtbar, und auch die kleine grüne Frucht wies einen roten Striemen auf.
»öffne den Mund, Sklavin«, sagte der Richter.
Sie gehorchte nach anfänglichem Zögern, und der Richter entdeckte Blut in ihrem Mund. Das Mädchen hatte die Wunde zu verbergen versucht.
Mit einem kleinen Schreck wurde mir plötzlich klar, daß sie und Dina nun Kamchak und mir gehörten.
Lachend sprang Kamchak von seiner Kaiila und fesselte die beiden Mädchen.
»Ich weiß nicht, was wir mit all den Sklaven sollen«, sagte Elizabeth Cardwell. Sie sah mich mit zornblitzenden Augen an und wandte sich ab.
Kurze Zeit später ritten Kamchak und ich Seite an Seite zum Lager zurück, gefolgt von den drei Mädchen.
»Die Zeit des Kurzen Grases bricht an«, sagte Kamchak. »Morgen wenden sich unsere Herden in Richtung Turia.«
Ich nickte. Die Überwinterung war vorbei. Nun kam der dritte Abschnitt des Omenjahres, die Rückkehr nach Turia. Vielleicht erhielt ich jetzt Antwort auf die verschiedenen Fragen, die mich immer wieder beschäftigt hatten — auf die Frage nach dem Briefkragen, nach den seltsamen Begleitumständen dieser Sendung, nach dem goldenen Ei, dem letzten Ei der Priesterkönige.
»Ich nehme dich mit nach Turia«, sagte Kamchak.
»Gut«, erwiderte ich.
Die Überwinterung hatte mir Spaß gemacht, aber jetzt war sie vorbei. Bei Anbruch des Frühlings zogen die Bosks wieder nach Süden. Ich und die Wagen würden sie begleiten.
Es konnte kein Zweifel bestehen, daß ich in der abgetragenen Robe eines Kriegers und Kamchak in seiner schwarzen Tuchuk-Lederkleidung bei diesem Bankett Saphrars, des Kaufmanns von Turia, fehl am Platze schienen.
Es hatte mich einigermaßen überrascht, daß Kamchak und ich, die wir immerhin Botschafter der Wagenvölker waren, im Hause des Händlers Saphrar bewirtet und nicht in den Palast von Phanius Turmus geladen wurden, der Administrator von Turia war. Kamchaks Erklärung klang jedoch überzeugend. Es gab anscheinend zwei Gründe, einen offiziellen und einen wirklichen. Der offizielle Grund, von Administrator Phanius Turmus verkündet, besagte, daß die Angehörigen der Wagenvölker eine Bewirtung im Administrationspalast nicht verdient hätten; der wirkliche Grund, der wohl selten offen ausgesprochen wurde, lag darin, daß die Macht in Turia offenbar hauptsächlich bei der Kaste der Kaufleute lag, deren Anführer Saphrar war. Der Administrator war jedoch zweifellos unterrichtet. Er wurde bei diesem Bankett durch seine rechte Hand vertreten, Kamras aus der Kriegerkaste, ein Captain, der der beste Kämpfer der Stadt sein sollte.
Ich aß gewürztes Vulogehirn — und zwar mit einer goldenen Eßgabel, wie ich sie auf Go r noch nicht gesehen hatte. Dazu trank ich einen großen Schluck Paga. An dieser Stelle möchte ich einmal ausführen, daß die Kaste der Kaufleute der Tradition gemäß nicht zu den fünf Hohen Kasten Gors gehört — zur Kaste der Wissenden, Schriftgelehrten, Ärzte, Hausbauer und Krieger. In der Regel — ein leider unglückseliger Umstand — ist es nur Mitgliedern der fünf Hohen Kasten gestattet, Sitze in den Hohen Räten der Städte zu beziehen. Wie überall übt das Gold der Kaufleute einen nicht unbeträchtlichen Einfluß aus, besonders in den Städten, nicht immer vulgär durch Bestechungssummen und indirekte Zuwendungen, sondern oft auch sehr geschickt in der Form von Kreditzusagen oder -verweigerungen bei bestimmten Projekten, Wünschen und Bedürfnissen des Hohen Rates. Es gibt ein Sprichwort auf Gor: »Gold kennt keine Kaste« — ein Sprichwort, das die Kaufleute sehr lieben. Wie ich gehört habe, sehen sie sich insgeheim als die höchste Kaste überhaupt an, obwohl sie das natürlich nicht offen aussprechen, um die Mitglieder anderer Kasten nicht gegen sich aufzubringen. Der Anspruch ist nicht ganz unbegründet, könnte man sagen, denn die Kaufleute sind oft auf ihre Art sehr mutig und geschickt; sie unternehmen lange Reisen, setzen ihre Waren aufs Spiel, riskieren Karawanen, handeln Tauschvereinbarungen aus, formulieren und entwickeln untereinander Handelsgesetze, der einzigen gesetzlichen Vereinbarungen überhaupt, die zwischen den goreanischen Städten bestehen. Die Händler veranstalten und leiten effektiv auch die vier großen Jahrmärkte, die jedes Jahr am Fuße des Sardargebirges abgehalten werden. Ich sage ›effektiv‹, weil diese Märkte eigentlich unter der Leitung eines Komitees der Kaste der Wissenden stehen, das sich jedoch weitgehend auf seine Zeremonien beschränkt und zufrieden ist, die schwierige Führung dieses gewaltigen kommerziellen Phänomens den Mitgliedern der niederen, verachteten Kaste der Kaufleute zu überlassen.
»Dies«, sagte Saphrar der Händler, »ist eine Portion cosianischen Flügelfisches.«
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