Die Etage war ruhig, als ich aus der Aufzugnische trat. Kein sterblicher Einwohner des Palastes lebte hier, und ich konnte es ihnen nicht verübeln. Wer hätte schon den Lord der Finsternis als Nachbarn haben wollen? Es war nicht weiter überraschend, dass die ganze Etage ungewöhnlich düster wirkte. Die Palastwände leuchteten hier nicht so hell. Nahadoths bedrückende Anwesenheit breitete sich in der gesamten Etage aus.
Aber als ich die letzte Kurve umrundete, wurde ich plötzlich von einem unerwarteten Aufblitzen geblendet. Im Nachbild dieses Blitzes sah ich eine Frau. Sie hatte bronzefarbene Haut und silbernes Haar, war fast so groß wie Zhakkarn und von strenger Schönheit. Sie kniete im Flur, als ob sie betete. Das Licht stammte von Flügeln auf ihrem Rücken, die mit hellen, spiegelnden Federn aus verschiedenen wertvollen Metallen bedeckt waren. Ich hatte diese Frau schon einmal gesehen, in einem Traum ...
Dann blinzelte ich mit meinen tränenden Augen, schaute noch einmal hin — und das Licht war weg. An seiner Stelle befand sich korpulent wie immer die unscheinbare Kurue, die sich mühsam auf die Füße erhob und mich wütend anstarrte.
»Es tut mir leid«, sagte ich, da ich offensichtlich die Meditation einer Göttin unterbrochen hatte. »Aber ich muss mit Nahadoth sprechen.«
Es gab nur eine Tür auf diesem Flur, und Kurue stand genau davor. Sie verschränkte ihre Arme. »Nein.«
»Lady Kurue, ich weiß nicht, wann ich noch einmal die Chance bekomme, diese Dinge zu fragen ...«
»Was genau bedeutet ›nein‹ in eurer Sprache? Offensichtlich verstehst du kein Senmite ...«
Bevor unser Streit eskalieren konnte, glitt die Wohnungstür einen Spalt zur Seite. Ich konnte durch den Schlitz nichts erkennen, außer Dunkelheit. »Lass sie reden«, sagte Nahadoths tiefe Stimme von drinnen.
Kurues Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch mehr. »Naha, nein.« Ich erschrak ein wenig, da ich noch nie gehört hatte, wie ihm jemand widersprach. »Es ist ihre Schuld, dass du in diesem Zustand bist.«
Ich errötete, aber sie hatte recht. Aus dem Zimmer kam keine Antwort. Kurues Fäuste ballten sich, und sie starrte mit einem ausgesprochen bösen Blick in die Dunkelheit.
»Würde es helfen, wenn ich eine Augenbinde trage?«, fragte ich. Es lag etwas in der Luft, das auf einen lange währenden Ärger hindeutete, der über diesen Austausch hinausging. Ah, natürlich — Kurue hasste Sterbliche, da sie uns zu recht für ihren versklavten Zustand verantwortlich machte. Sie dachte, dass Nahadoth verrückt nach mir wäre. Wahrscheinlich hatte sie auch damit recht, da sie die Göttin der Weisheit war. Ich fühlte mich nicht beleidigt, als sie mich mit neuer Verachtung ansah.
»Es geht nicht nur um deine Augen«, sagte Kurue. »Es geht um deine Erwartungen, Ängste und Begierden. Ihr Sterblichen wollt, dass er ein Ungeheuer ist, und so wird er zu einem ...«
»Dann werde ich eben nichts wollen«, sagte ich. Ich lächelte, als ich das sagte, aber ich war jetzt verärgert. Vielleicht lag Weisheit in ihrem blinden Hass auf die Menschheit. Wenn sie das Schlimmste von uns erwartete, dann konnten wir sie nicht enttäuschen. Aber darum ging es nicht. Sie stand mir im Weg, und ich hatte noch etwas zu erledigen, bevor ich starb. Ich würde ihr befehlen, zur Seite zu sehen, wenn es sein musste.
Sie starrte mich an und erkannte vielleicht meine Absichten. Einen Moment später schüttelte sie den Kopf und machte eine wegwerfende Geste. »Fein. Du bist eine Närrin. Und du bist nicht besser, Naha. Ihr habt euch verdient.« Mit den Worten ging sie fort und murmelte immer noch, als sie um eine Kurve ging. Ich wartete, bis das Geräusch ihrer Schritte verklungen war — es wurde nicht leiser, sondern hörte einfach auf —, und drehte mich dann herum, um die Türe zu öffnen.
»Komm«, sagte Nahadoth von drinnen.
Ich räusperte mich und war auf einmal nervös. Warum machte er mir immer zur falschen Zeit Angst? »Entschuldigt, Lord Nahadoth«, sagte ich, »aber vielleicht sollte ich lieber hier draußen bleiben. Wenn es wahr ist, dass allein meine Gedanken Euch schon etwas anhaben können ...«
»Deine Gedanken konnten mir schon immer etwas anhaben. All dein Entsetzen, all deine Bedürfnisse — sie ziehen und zerren als schweigende Befehle an mir.«
Ich wurde vor Entsetzen steif. »Ich wollte nicht zu Eurem Leiden beitragen.«
Eine Pause entstand, und ich hielt den Atem an.
»Meine Schwester ist tot«, sagte Nahadoth sehr leise. »Mein Bruder ist verrückt geworden. Meine Kinder — die wenigen, die noch übrig sind — hassen und fürchten mich genauso, wie sie mich verehren.«
Und ich verstand: Was Scimina ihm angetan hatte, war gar nichts. Was waren ein paar Augenblicke Leiden neben den Jahrhunderten voller Trauer und Einsamkeit, die Itempas ihm auferlegt hatte? Und da stand ich nun und grämte mich wegen meines eigenen unbedeutenden Beitrags.
Ich öffnete die Tür und trat ein.
Im Inneren des Zimmers war die Finsternis vollkommen. Ich blieb kurz bei der Tür stehen und hoffte, dass meine Augen sich daran gewöhnten, aber das geschah nicht. In der Stille, nachdem die Türe geschlossen wurde, nahm ich in einiger Entfernung langsames, gleichmäßiges Atmen wahr.
Ich streckte meine Hände aus und begann, mich blindlings in die Richtung des Geräusches zu tasten. Dabei hoffte ich, dass Götter nicht viele Möbel brauchten. Oder Treppen.
»Bleib, wo du bist«, sagte Nahadoth. »Ich bin ... es ist in meiner Nähe nicht sicher.« Dann, leiser: »Aber ich bin froh, dass du hier bist.«
Das war der andere Nahadoth — nicht der sterbliche, aber auch nicht das irre Biest aus dem kalten Wintermärchen. Dies war der Nahadoth, der mich an dem ersten Abend geküsst hatte, derjenige, der mich scheinbar wirklich mochte. Der, dem ich am wenigsten entgegenzusetzen hatte.
Ich atmete tief ein und versuchte, mich auf die weiche, leere Dunkelheit zu konzentrieren.
»Kurue hat recht. Es tut mir leid. Es ist meine Schuld, dass Scimina dich bestraft hat.«
»Sie tat es, um dich zu bestrafen.«
Ich zuckte zusammen. »Noch schlimmer.«
Er lachte leise, und ich fühlte, wie ein Hauch an mir vorbeistreifte, weich wie eine warme Sommernacht. »Nicht für mich.«
Da war was dran. »Gibt es etwas, das ich tun kann, um dir zu helfen?«
Ich fühlte die Brise erneut, und diesmal kitzelte sie die kleinen Härchen auf meiner Haut. Ich stellte mir plötzlich vor, wie er hinter mir stand, mich festhielt und in die Biegung meines Nackens ausatmete.
Von der anderen Seite des Zimmers erklang ein leises, verlangendes Geräusch, und plötzlich war ich von Lust umgeben — mächtig, brutal und nicht ein bisschen zärtlich. O Götter. Schnell fixierte ich meine Gedanken wieder auf Finsternis, Nichts, Finsternis, meine Mutter. Ja.
Es schien lange zu dauern, aber schließlich ging dieses schreckliche Verlangen vorbei.
»Es wäre besser«, sagte er mit beunruhigender Sanftheit, »wenn du nicht versuchen würdest, zu helfen.«
»Es tut mir leid ...«
»Du bist eine Sterbliche.« Das schien alles zu erklären. Ich senkte beschämt meinen Blick. »Du hast eine Frage über deine Mutter.«
Ja. Ich atmete tief ein. »Dekarta hat ihre Mutter getötet«, sagte ich. »War das der Grund, warum sie zugestimmt hat, euch zu helfen?«
»Ich bin ein Sklave. Kein Arameri würde sich mir anvertrauen. Wie ich dir schon sagte, alles, was sie tat, war, als Erste Fragen zu stellen.«
»Und als Gegenleistung habt ihr sie um Hilfe gebeten?«
»Nein. Sie trug immer noch das Blutsiegel. Man konnte ihr nicht vertrauen.«
Unwillkürlich hob ich eine Hand an meine Stirn. Ich vergaß ständig, dass das Zeichen sich dort befand. Ich hatte vergessen, dass es auch in der Politik Elysiums eine Rolle spielte. »Also wie ...«
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