»Keins von beiden«, sagte Mirtin. »Er arbeitet nicht nach dem gleichen Prinzip wie die Laser, die es hier auf der Erde gibt.«
»Nach welchen dann?«
Mirtin blieb still.
»Ist es etwas, wovon wir nichts wissen dürfen? Etwas, das wir selber entdecken müssen?«
»Gewissermaßen, ja.«
Charley war zappelig vor Neugier. Sie sprachen noch eine Weile, dann wurde Mirtin müde. Der Junge bereitete sich zum Aufbruch vor.
»Bis morgen abend«, versprach er und eilte davon.
Einige Zeit später entdeckte Mirtin, daß der Laser fehlte. Er hatte gesehen, wie Charley ihn mit den anderen Werkzeugen weggelegt hatte, wenigstens glaubte er es gesehen zu haben. Aber jetzt war er fort. Mirtins Beunruhigung legte sich bald. In einer Weise hatte er etwas Ähnliches erwartet; er hatte gewußt, daß es ein Risiko war, Charley die Werkzeuge zu zeigen.
Würde Charley den Laser als Waffe gebrauchen? Schwerlich.
Würde er ihn anderen zeigen? Gewiß nicht.
Würde er versuchen, ihn auseinanderzunehmen und seinen Mechanismus zu studieren? Sehr wahrscheinlich.
Wie dem auch sein mochte, Mirtin sah keine Bedrohung darin. Soll er das Ding behalten, sagte er sich. Vielleicht kann er davon profitieren. Ich kann jedenfalls nichts daran ändern.
Vorneen überlegte verwundert, wie es geschehen war, und wann. Er hatte sich in Kathryn Mason verliebt, daran konnte es keinen Zweifel geben. Was er für sie empfand, war genauso stark wie seine Gefühle für Glair, und weil er Glair liebte, mußte er auch sie lieben. Aber wie war das möglich? Hatte es überhaupt einen Sinn?
Er hatte sich natürlich von Anfang an sexuelle Beziehungen mit ihr gewünscht. Aber das war eine andere Sache; das hatte nichts mit Liebe zu tun.
Vorneen war von Natur aus ein Verführer, und das war auch seine Rolle in der Sexualgruppe. Mirtin würde nie eine aktive Rolle übernehmen, während Glairs sexuelle Aktivität auf die weibliche Provokation, die mehr oder minder verhüllte Aufforderung beschränkt blieb. Vorneen suchte die Leidenschaft um ihrer selbst willen. Das war für das Fortbestehen der Gruppe notwendig. Wenn er es gelegentlich für nötig hielt, sich außerhalb der Gruppe umzusehen, hatten weder Glair noch Mirtin etwas dagegen einzuwenden. Warum sollten sie?
Freilich hatte Vorneen niemals an die Möglichkeit gedacht, seine Verführungskünste an einer irdischen Frau auszuprobieren. Wie jeder Beobachter hatte er angenommen, daß er nie Gelegenheit bekäme, direkte Verbindung mit Erdbewohnern aufzunehmen. Noch weniger war ihm je in den Sinn gekommen, er könne nach einer Frau von der Erde körperliches Verlangen fühlen.
Doch er trug den Körper eines Erdbewohners, und dieser Körper war anatomisch perfekt, wenigstens äußerlich. Seine inneren Triebe waren rein dirnaischer Art, wie er glaubte; sein Körper konnte irdische Nahrung verarbeiten, aber wenn er etwas aß, das die Erdbewohner schätzten, einen Dirnaer jedoch krank machte, so wurde er krank. Daraus hatte er gefolgert, daß der Sexualtrieb seines Körpers gleichfalls rein dirnaisch bleiben würde. Er fühlte weiterhin Verlangen nach Glair. Warum also sollte er erwarten, daß sein nachgemachter irdischer Körper ein echtes Verlangen nach einer irdischen Frau verspürte?
War es nur sein innerer Trieb, der hier einen Ausweg suchte? Das war die Antwort, sagte er sich zuerst. Weil keine Dirnaer zur Hand waren, mußte diese Frau genügen. Und dann war da noch eine andere Herausforderung. Konnte er sie verführen, wie er so viele von seiner eigenen Art verführt hatte?
Ein Spiel, also. Keine emotionelle Bindung. Verführung als Selbstzweck. Das war nicht Liebe, Vorneen wußte es.
Aber wie war es dann zu dieser unerwarteten Emotion gekommen?
Es mußte irgendwann während der zweiten Woche seines Aufenthaltes in ihrem Haus begonnen haben. Er konnte den Prozeß rekonstruieren, nicht aber die emotionelle Entwicklung. Er wußte, was er getan hatte, aber nicht wie oder warum. Besonders nicht warum.
Als er ihr das erste Mal vorgeschlagen hatte, daß sie mit ihm ins Bett gehe, war er von seiner Notlandung noch zerschlagen und voller Schmerzen gewesen, und der Schock über den möglichen Tod Mirtins und Glairs war noch nicht abgeklungen gewesen. Er hatte Wärme und Geborgenheit gesucht. Sie hatte sich geweigert, aber sie hatte seine Hand gehalten, und das war genug gewesen.
Später hatte er sich allerdings mehr gewünscht. Er wollte sie nahe genug bei sich haben, um seine Verführungskünste anwenden zu können. Aber davon wollte sie nichts wissen.
Er wünschte sich, daß Kathryn weniger prüde wäre. Er wünschte sich, sie würde eines Abends in sein Zimmer kommen und sich ihm hingeben.
So kam es denn auch. Aber es geschah ohne Planung und ohne Zuhilfenahme seiner Tricks.
Sein gebrochenes Bein heilte rasch, und er hielt die Zeit für gekommen, es auszuprobieren. Weil sein Funksprechgerät beim Aufprall beschädigt worden war, mußte er aufstehen und selbst etwas unternehmen, wenn er hoffen wollte, jemals von einer Rettungsmannschaft gefunden zu werden. Und es schien ihm, daß sein Bein ihn bereits tragen würde. Eines Abends, nachdem Kathryn schlafen gegangen war, schlug er die Decken zurück und schwang beide Beine über die Bettkante.
Schwindel ergriff ihn. Dies war das erste Mal, daß er richtig aufrecht saß, und er mußte sich eine Weile an den Rand der Matratze klammern, bis sein Körper sich an die veränderte Lage gewöhnt hatte.
Dann setzte er vorsichtig seine Fußsohlen auf den Boden, schob seinen Oberkörper langsam vor und zog sich an einer Stuhllehne empor, ganz behutsam. Wie verhielt sich das Bein? Trug es ihn?
Ein Schritt auf die Kommode zu. Er ließ die Stuhllehne los, aber im nächsten Augenblick traf ihn eine neue Welle von Schwindelgefühl. Der Raum begann sich vor seinen Augen zu drehen, und ihm war, als ob sein Körper auseinanderfiele. Vorneen stieß einen unterdrückten Schrei aus und tat einen verzweifelten Schritt mit seinem guten Bein, dann einen zweiten, gleitenden, mit dem gebrochenen. Nach beendetem Manöver stand er in der Mitte des Schlafzimmers, hielt eine zweite Stuhllehne umklammert und zitterte vor Schwäche. Das Schwindelgefühl war so stark, daß er kaum noch sehen konnte. Er verlagerte sein Gewicht auf das gesunde Bein, ohne damit eine Besserung zu erreichen.
»Was machen Sie da?«
Kathryn stand auf der Schwelle, und ihr Gesicht war erschrocken und zornig.
»Mein Bein«, sagte Vorneen kläglich. »Ich wollte — ausprobieren.«
Sie eilte zu ihm. Er stand hilflos drei Meter vom Bett entfernt, unfähig, vorwärts oder rückwärts zu gehen, und vermochte sich nur mit Mühe aufrecht zu halten. Dann fühlte er ihre Arme um sich. Sie hielt ihn fest und brachte es irgendwie fertig, ihn so lange zu stützen, bis sie zusammen vier oder fünf Schritte zum Bett zurück gewankt und quer darüber gefallen waren.
Er war nackt, und sie trug nur ein hauchdünnes Nachthemd. Sie landeten keuchend vor Anstrengung, Kathryn auf ihm, und mehr durch Zufall als durch eine beabsichtigte Bewegung berührten sich ihre Lippen. Plötzlich, wie wenn irgendeine stromführende Leitung zwischen ihren Leibern angeschlossen worden wäre, fühlte er das Feuer in ihr und wußte, daß sie sein war.
Danach weinte sie und küßte seine kühle Haut. »Es ist ein so seltsames Gefühl, Vorneen, als ob ich einen Fluß überquert hätte und in einem fremden Land wäre, einem Land, wo ich noch nie war. Ich weiß nicht, wo es liegt, und ich weiß nicht mal, wo ich bin.«
»Gefällt es dir dort, wo du jetzt bist, wo immer es sein mag?«
»Ich — ich glaube schon.«
»Warum sich dann Sorgen machen? Du kannst dir die Landkarte ein anderes Mal vornehmen.«
Sie lachte, dann umarmte sie ihn stürmisch.
»Fühlst du dich immer noch schwindlig?« fragte sie.
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