„Stimmt. Du hattest übrigens recht, dieses Geschöpf war nackt.
Vielleicht versuchte es, sich irgendwo zu verstecken, und kroch in seiner Panik in die erste beste Öffnung. Das war ausgerechnet der Tunnel, der in unsere Rakete führt.“
„Diese Hypothese ist ebenso verlockend wie riskant“, erwiderte der Doktor. „Wir sind Menschen, wir assoziieren und überlegen auf irdische Weise und können deshalb schwere Fehler begehen, wenn wir fremden Schein für unsere Wahrheit gelten lassen, das heißt, wenn wir gewisse Fakten in Schemata pressen, die wir von der Erde mitgebracht haben. Ich bin mir völlig sicher, dass wir heute früh alle dasselbe gedacht haben, nämlich, dass wir auf ein Grab mit Opfern von Gewalttätigkeit gestoßen seien, ein Grab mit ermordeten Opfern, aber in Wirklichkeit weiß ich nicht, wissen wir nicht…“
„Du wiederholst das, obwohl du selbst nicht daran glaubst“, begann der Ingenieur erregt. „Es geht nicht um das, was ich glaube“, unterbrach ihn der Doktor. „Wenn Glauben irgendwo besonders fehl am Platze ist, dann hier auf Eden. Nehmen wir zum Beispiel die Hypothese vom ›Hetzen‹ des elektrischen Hundes…“
„Wieso?“
„Du nennst das Hypothese? Das war doch eine Tatsache“, riefen Chemiker und Ingenieurfast gleichzeitig.
„Ihr irrt euch. Warum griff er uns an? Darüber wissen wir nichts. Möglich, dass wir ihn mit unserem Aussehen an hiesige Küchenschaben oder an Hasen erinnerten… Und ihr habt, Verzeihung, wir haben dieses aggressive Verhalten mit dem in Zusammenhang gebracht, was wir zuvor gesehen hatten und was einen erschütternden Eindruck auf uns gemacht hatte, so dass wir die Fähigkeit, ruhig zu denken, einbüßten.“
„Aber hätten wir sie uns bewahrt und nicht sofort geschossen, wehte jetzt unsere Asche dort am Wäldchen, oder etwa nicht?“ versetzte der Ingenieur ärgerlich. Der Koordinator schwieg. Seine Blicke wanderten von einem zum anderen. „Wir taten, was wir tun mussten, aber es ist durchaus möglich, dass ein Mißverständnis vorlag — auf beiden Seiten… Glaubt ihr, dass jetzt schon alle Steinchen des Puzzlespiels geordnet sind? Und die Fabrik, die angeblich vor mehreren hundert Jahren verlassen wurde und außer Kontrolle geriet? Was ist damit? Wohin paßt dieses Steinchen?“
Sie schwiegen eine Weile. „Ich bin der Meinung, dass viel Wahres an dem ist, was der Doktor sagt“, begann der Koordinator von neuem. „Wir wissen noch zu wenig. Die Situation ist insofern günstig, als dass sie, wie wir annehmen können, noch nichts von uns wissen. Wie ich glaube, hauptsächlich deshalb, weil keiner ihrer Wege, keine Furche in die Nähe dieses Ortes hier führt. Aber wir können kaum damit rechnen, dass das lange so bleibt. Ich möchte euch bitten, unsere Lage einmal von diesem Gesichtspunkt aus zu betrachten und eure Vorschläge dazu zu äußern.“
„Augenblicklich sind wir in unserem Wrack eigentlich wehrlos. Man braucht ja nur den Tunnel richtig zuzuspunden, und wir ersticken wie die Mäuse. Deshalb ist größte Eile geboten, gerade mit Rücksicht darauf, dass wir jeden Moment entdeckt werden können. Und obwohl meine Hypothese von der Aggressivität der Doppelts angeblich nur meine irdische Einbildung ist“, sagte der Ingenieur leidenschaftlich, „schlage ich, da ich nicht anders denken kann, trotzdem vor, eigentlich fordere ich es, dass wir unverzüglich alle Vorrichtungen reparieren und die Aggregate in Betrieb nehmen.“
„Wieviel Zeit, schätzt du, werden wir dafür brauchen?“ fragte der Doktor. Der Ingenieur zögerte mit der Antwort. „Da siehst du…“, versetzte der Doktor gelangweilt. „Warum sollen wir uns Illusionen machen? Sie entdecken uns, bevor wir fertig sind. Denn eines will ich euch sagen, wenn ich auch kein Fachmann bin, es werden lange Wochen vergehen, ehe…“
„Das stimmt leider“, warf der Koordinator ein. „Außerdem werden wir unseren Wasservorrat ergänzen müssen, ganz zu schweigen von dem Ärger, den wir mit dem verseuchten Wasser haben werden, das die untere Etage überflutet hat. Ebenso ist nicht bekannt, ob wir selbst alles tun können, was nötig ist, um die Schäden zu beheben.“
„Zweifellos wird ein weiterer Ausflug erforderlich sein“, räumte der Ingenieur ein. „Sogar noch mehr Ausflüge, aber die können nachts unternommen werden. Außerdem sollte ein Teil von uns, sagen wir die Hälfte oder zwei Mann, ständig bei der Rakete bleiben. Aber warum reden nur immer wir?“ Er wandte sich unvermittelt an die drei anderen, die dem Streit stumm zugehört hatten.
„Eigentlich müssten wir so intensiv wie nur möglich in der Rakete arbeiten und zugleich die hiesige Zivilisation erforschen“, sagte der Physiker bedächtig. „Diese Aufgaben kollidieren erheblich miteinander. Die Anzahl der Unbekannten ist so groß, dass selbst eine strategische Rechnung nicht viel helfen würde. Eines unterliegt keinem Zweifel — ein Risiko, das an eine Katastrophe grenzt, werden wir trotz der erwählten Verfahrensweise nicht vermeiden können.“
„Ich sehe schon, worauf das hinausläuft.“ Die tiefe Stimme des Doktors klang müde. „Ihr wollt euch selbst davon überzeugen, dass wir weitere Ausflüge unternehmen müssen, weil wir mächtige, das heißt atomare Schläge zu versetzen vermögen. Selbstverständlich zur eigenen Verteidigung. Und da das damit enden wird, dass wir den ganzen Planeten gegen uns haben, verspüre ich nicht die geringste Lust, mich an einem solchen Pyrrhusunternehmen zu beteiligen. Es bleibt selbst dann ein Pyrrhusunternehmen, wenn die hier keine Atomenergie kennen, was im übrigen noch gar nichtfeststeht. Welche Art von Motor trieb denn das Rad an?“
„Das weiß ich nicht“, erwiderte der Ingenieur. „Jedenfalls kein atomarer. Dessen bin ich mir so gut wie sicher.“
„Dieses ›so gut wie‹ kann uns alles kosten.“ Der Doktor lehnte sich zurück, schloss die Augen und legte den Kopf an den Rand des schräg hängenden Bibliothekschranks, womit er zu verstehen gab, dass er an der Diskussion nicht weiter teilzunehmen gedenke. „Eine Quadratur des Kreises“, murmelte der Kybernetiker. „Und wenn wir versuchten… uns mit ihnen zu verständigen?“ schlug der Chemiker zögernd vor. Der Doktor setzte sich auf. „Ich danke dir. Ich hatte schon befürchtet, dass niemand es sagen würde!“
„Sich mit ihnen verständigen wollen bedeutet doch sich ihnen ausliefern!“ schrie der Kybernetiker und sprang auf. „Wieso?“ fragte der Doktor kühl. „Wir haben doch Waffen, sogar Atomwerfer. Aber wir werden uns nicht nachts an ihre Städte oder an ihre Fabriken heranschleichen.“
„Schon gut. Wie stellst du dir also einen solchen Verständigungsversuch vor?“
„Ja, bitte, sag es“, verlangte der Koordinator. „Ich räume ein, dass wir ihn in diesem Augenblick nicht versuchen sollten“, erwiderte der Doktor. „Je mehr Geräte wir in der Rakete reparieren, um so besser.
Wir sollten uns bewaffnen, wenn auch nicht unbedingt mit Atomwerfern… Ein Teil von uns bleibt bei der Rakete, der andere Teil, sagen wir drei Mann, geht in die Stadt. Zwei halten sich zurück, um den dritten im Auge zu behalten, der versuchen wird, sich mit den Einwohnern zu verständigen.“
„Du weißt alles sehr genau. Du weißt natürlich auch, wer derjenige sein wird, der in die Stadt geht“, sagte der Ingenieur in einem Ton, der nichts Gutes verhieß.
„Ja. Ich weiß es.“
„Und ich werde dir nicht erlauben, Selbstmord vor meinen Augen zu begehen!“
schrie der Ingenieur, sprang auf und trat an den Doktor heran, der nicht einmal aufsah. Der Ingenieur zitterte am ganzen Leib. So erregt hatten sie ihn noch nie gesehen. „Wenn wir diese Katastrophe alle überlebt haben, wenn es uns gelungen ist, uns aus diesem Grab, in das sich die Rakete verwandelte, zu befreien, wenn wir heil herausgekommen sind und das unberechenbare Risiko leichtsinniger Eskapaden auf uns genommen haben, als ob der Planet, ein fremder Planet, ein Gelände für Spaziergänge wäre, so nicht deshalb, damit durch irgendwelche verdammten Hirngespinste, durch Phantastereien…“ Der Ärger würgte ihn in der Kehle. „Ich weiß, worauf es dir ankommt“, schrie er, die Fäuste ballend. „Die Sendung des Menschen! Der Mensch in den Sternen! Du bist ein Narr mit deinen Ideen, verstehst du! Niemand wollte uns heute töten! Kein Massengrab wurde zugeschüttet!
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