An der Stelle, wo die Furche an den Bach heranführte, verband ein Bogen aus einer glasigen Substanz, der in regelmäßigen Abständen runde Öffnungen aufwies, die Ufer miteinander. Der Ingenieur erprobte mit dem Fuß die Festigkeit der Brücke und schritt dann langsam hinüber. Kaum war er drüben angelangt, flatterten wieder Scharen weißer „Blüten“ vor ihm auf und kreisten wie ein aufgescheuchterTaubenschwarm.
Sie machten am Bach halt, um eine Feldflasche mit dem Wasser zu füllen. Es war offensichtlich nicht trinkbar, und an Ort und Stelle konnten sie keine Analyse vornehmen. Sie benötigten lediglich eine Probe für spätere Untersuchungen. Der Doktor riss eines der kleinen Pflänzchen ab, die den rosa Streifen bildeten, und steckte es wie eine Blume ins Knopfloch. Der Stiel war von oben bis unten mit fleischfarben durchscheinenden Kügelchen beklebt, deren Duft der Doktor als köstlich bezeichnete.
Obwohl es keiner aussprach, tat es ihnen allen doch leid, sich von diesem schönen Ort zu trennen.
Der Hang, den sie nun hinaufstiegen, war mit raschelndem Moos bewachsen. „Da auf dem Gipfel ist was!“ rief der Koordinator plötzlich. Vor dem Hintergrund des Himmels bewegte sich an einer Stelle ein verschwommenes Gebilde, das ihnen alle paar Sekunden mit blendendem Glanz in die Augen stach. Mehrere hundert Schritt von dem Gipfel entfernt erkannten sie eine kleine, niedrige Kuppel, diesich um eine Achse drehte. Sie war mit Spiegelsektoren verkleidet, in denen sich die Sonnenstrahlen oder Ausschnitte der Landschaft spiegelten.
Oben auf dem Gipfel ließen sie den Blick über die Linie der Buckel schweifen. Dabei bemerkten sie ein Gebilde, das dem ersten ähnlich war. Jedenfalls schlössen sie aus dem gleichmäßigen Blitzen und Flimmern auf sein Vorhandensein. Immer mehr solcher funkelnder Punkte entdeckten sie auf allen Gipfeln, bis hin zum Horizont.
Von dem kleinen Paß unterhalb der Hügelspitze aus konnten sie schließlich das bisher verborgen gebliebene Gelände in seiner ganzen Tiefe überschauen. Der Hang fiel zu leicht gewellten Feldern ab, über die lange Reihen spitzer Mäste führten. Sie verschwanden in der Ferne zu Füßen einer blauen Konstruktion, die schwach herüberschimmerte. Über den nächsten Masten zitterte die Luft in deutlich erkennbaren senkrechten Säulen, als wäre sie stark erhitzt. Zwischen den Reihen der Mäste hindurch wanden sich Dutzende von Furchen, bündelten und gabelten sich, kreuzten einander und führten alle in eine Richtung — hin zur östlichen Linie des Horizonts. Dort zeichnete sich eine große Anzahl von Gebäuden ab, durch die beträchtliche Entfernung zu einer bläulich schimmernden Masse verschwommen, einem blassen Mosaik unregelmäßiger Einkerbungen, Erhebungen, goldener und silberner Nadelspitzen. Der Himmel war in dieser Richtung etwas dunkler. An einigen Stellen stiegen Streifen milchigen Dampfes auf und breiteten sich pilz-förmig zu einer dünnen Nebel oder Wolkenschicht aus, in der bei genauerem Hinsehen kleine schwarze Pünktchen auftauchten und verschwanden.
„Eine Stadt.…“, flüsterte der Ingenieur.
„Ich habe sie damals gesehen…“, sagte der Koordinator ebenso leise.
Sie begannen den Abstieg. Die erste Reihe der Mäste kreuzte ihren Weg am Ende des Abhanges.
Ihr pechschwarzer Fuß ragte kegelförmig aus dem Boden. Ungefähr drei Meter über der Erde erhob sich darauf ein durchsichtiger Mast mit einem durchscheinenden Metallkern. Die Luft darüber zitterte stark, und sie hörten ein gleichmäßiges, dumpfes Zischen. „Ist das ein Propeller?“ fragte der Physiker.
Sie berührten vorsichtig den kegelförmigen Schaft — nicht die leiseste Bewegung war zu spüren.
„Nein, hier wirbelt nichts“, sagte der Ingenieur. “Man fühlt keinen Luftzug. Es muss ein Sender sein oder…“
Sie schritten über ein Gelände mit sanften, flachen Falten. Die Stadt hatten sie inzwischen aus den Augen verloren, aber sie konnten sich nicht verlaufen. Nicht nur die langen Mastreihen, auch die zahlreichen Furchen mitten auf den Feldern zeigten ihnen die Richtung an. Von Zeit zu Zeit fegte ein hell wirbelndes Knäuel auf der einen oder anderen Seite vorüber, immer jedoch in einer solchen Entfernung, dass sie sich nicht einmal zu verstecken versuchten.
Bald tauchte vor ihnen der olivgelbe Fleck einer Schonung auf. Anfangs wollten sie ihr ausweichen, wie es die Linie der Masten tat, aber sie erstreckte sich zu weit nach beiden Seiten, so dass sie einen zu großen Umweg hätten machen müssen. So entschlossen sie sich, das Dickicht zu durchqueren.
Atmende Bäume umgaben sie. Trockene, bläschenartige Blätter, die bei jedem Schritt unter ihren Schuhsohlen unangenehm knirschten, bedeckten den mit röhrchenförmigen Pflänzchen und weißlichem Moos bewachsenen Boden. Hie und da zeigten sich zwischen dicken Wurzeln die Mäulchen blasser, fleischiger Blüten, aus deren Mitte ahlenförmige Stacheln spießten. Über die dickeRinde der Stämme rannen Tropfen von aromatischem Harz. Der Ingenieur, der vorn ging, verlangsamte plötzlich den Schritt und sagte unwirsch: „Verdammt, wir hätten hier doch nicht gehen sollen.“
Mitten zwischen den Bäumen klaffte eine tiefe Schlucht, deren lehmige Wände mit Girlanden aus langen, schlangenartigen Flechten bedeckt waren. Die Männer hatten sich zu weit vorgewagt, um noch umkehren zu können. Sie glitten über die mit biegsamen Lianen überwucherte Wand auf den Grund der Schlucht hinab, wo sich ein dünner Wasserlauf schlängelte. Der Hang gegenüber war zu steil, so marschierten sie die Schlucht entlang und hielten nach einer Stelle Ausschau, wo sie wieder hinaufklettern konnten. Auf diese Weise legten sie etwa hundert Schritt zurück. Die Schlucht weitete sich, ihre Ränder wurden flacher. Gleichzeitig wurde es etwas heller.
„Was ist das?“ rief der Ingenieur plötzlich und verstummte ebenso schnell wieder. Der Wind trug einen faden, süßlichen Dunst heran. Sie machten halt. Ein Guss Sonnenkringel überschüttete sie, dann verstärkte sich die Dunkelheit. Hoch oben rauschte in dumpfen Atemwogen das Gewölbe der Bäume.
„Da muss etwas sein“, flüsterte der Ingenieur. Sie hätten jetzt den anderen Rand der Schlucht erreichen können, die Böschung war flach und niedrig, aber sie hielten sich dicht beieinander und schritten, leicht vorgebeugt, weiter auf die Wand der Büsche zu, durch die hin und wieder, wenn der Wind darin einen Spalt aufriß, eine längliche, dunkle Masse schimmerte. Der Boden wurde sumpfig. Er schmatzte unter den Füßen. Sie achteten nicht darauf. Als sie die mit traubenförmigen Verdickungen behangenen Zweige auseinanderschoben, erblickten sie eine sonnenüberflutete Lichtung. Die Bäume wichen links und rechts zurück und traten erst weiter vorn wieder zusammen, nur durch einen schmalen Einschnitt getrennt, aus dem eine Furche auf die Lichtung führte. Sie endete an einem rechteckigen Graben, der von einem Lehmwall umgeben war. Wie angewurzelt blieben sie in dem Randdickicht stehen. Raschelnd streiften die sich sacht schlangelnden Stiele ihre Kombinationen, berührten mit den traubenförmigen Schößlingen träge ihre Schuhe und schienen nur ungern zurückzuweichen. Die Männer standen da und schauten sich um. Der wächserne Wall am Rand des Grabens kam ihnen im ersten Augenblick wie ein gleichmäßig angeschwollener Quader vor.
Ein fürchterlicher Gestank verschlug ihnen den Atem. Nur mit Mühe konnten sie einzelne Gestalten erkennen. Manche lagen mit dem Buckel nach oben, andere auf der Seite. Zwischen den zusammengedrückten Brustmuskeln ragten, eingekeilt zwischen andere, kümmerliche blasse Torsos mit abgekehrten Gesichtchen heraus. Die großen Rümpfe, zerdrückt, gepreßt, vermengt mit mageren Händchen und knotigen Fingerchen, waren von gelben Rinnsalen überzogen. Die Hände des Doktors krallten sich schmerzhaft in die Arme der Männer, die neben ihm standen. Seite an Seite rückten sie langsam vor. Ihre Augen starrten auf die Masse, die den Graben ausfüllte. Ein tiefer Graben. Dicke Tropfen einer wäßrigen Flüssigkeit rannen über die wächsernen Buckel und über die Seiten, sammelten sich in den eingefallenen, augenlosen Gesichtern. Man glaubte fast den Laut zu hören, mit dem die Tropfen zerplatzten.
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