Die sogenannten „Bäume“ hatten dicke, stark glänzende, gleichsam mit Fett eingeriebene Stämme und vielschichtige Kronen, die gleichmäßig pulsierten: einmal dunkler und voller, einmal blasser und lichtdurchlässiger. Diese Wandlungen waren von einem trägen Geräusch begleitet, wie wenn jemand mit den Lippen an einem elastischen Material flüsternd „Fssss — hhaaa — fsss — hhaaa“ wiederholte. Als sie sich einen der Bäume genauer ansahen, entdeckten sie bananenlange Blasen, die aus den gewundenen Ästen herausragten, mit traubenartigen Verdickungen, die sich aufblähten und dabei dunkler wurden, dann zusammenfielen, sich aufhellten und verblaßten.
„Der Baum atmet“, murmelte der Ingenieur erstaunt und lauschte dem unablässigen Widerhall, der die ganze Schlucht erfüllte. „Horcht nur, jeder hat einen anderen Rhythmus“, rief der Doktor wie beglückt. „Je kleiner, desto schneller atmet er! Das sind Lungenbäume!“
„Weiter! Kommt weiter!“ drängte der Koordinator, der schon ein Stück vorausgegangen war. Sie folgten ihm. Die Schlucht, die anfangs ziemlich breit gewesen war, wurde allmählich enger. Ihr Grund stieg leicht an und führte sie schließlich auf einen kuppeiförmigen Hügel zwischen zwei tiefer gelegenen Baumgruppen.
„Wenn du die Augen zumachst, hast du den Eindruck, du stehst am Meer. Versuch's mal!“ sagte der Physiker zum Ingenieur. „Ich schließe lieber nicht die Augen“, erwiderte der. Sie näherten sich dem höchsten Punkt des Hügels, wobei sie ein wenig von der Marschrichtung abwichen. Vor ihnen lag eine faltige, verschiedenfarbige Gegend: gegliederte Schonungen von atmenden Bäumen, die olivgrün und rostbraun flimmerten, honighelle Hänge der lehmigen Hügel und Erdflecken, die in der Sonne mit silbrigem und im Schatten mit graugrünem Moos bedeckt waren. Das Gelände war in verschiedenen Richtungen von schmalen Linien durchschnitten. Sie zogen sich über den Boden der Talkessel hin und wichen den fingerartig vorgeschobenen Hängen aus. Die einen waren rostbraun, andere fast weiß, wie mit Sand beschüttete Pfade, wieder andere waren nahezu schwarz, wie Streifen von Kohlengrus.
„Das sind Wege!“ rief der Ingenieur, aber er berichtigte sich sogleich. „Nein, als Wege sind sie zu schmal.…“ Was mag das sein?“
„Hinter dem Spinnenwäldchen hatten wir etwas Ähnliches entdeckt, jenen kleinen Rasen“, sagte der Chemiker und blickte durch das Fernglas. „Nein, die waren anders“, wandte der Kybernetiker ein.
„Seht nur, seht!“ Alle zuckten beim Aufschrei des Doktors zusammen.
In mehreren hundert Meter Entfernung glitt etwas Durchsichtiges über einen gelben Strich, der von einem breiten Sattel zwischen zwei Hügeln herunterführte. Das Gebilde schimmerte blaß in der Sonne wie ein transparentes, sich schnell drehendes Speichenrad. Als es sich für einen Augenblick vor dem Hintergrund des Himmels befand, war es fast gar nicht mehr zu sehen, erst weiter unten, zu Füßen der Böschung, blitzte es als wirbelndes Knäuel heller auf, schwamm mit großer Geschwindigkeit dieGerade hinunter, vorbei an einer Gruppe atmender Bäume, vor deren dunklem Hintergrund es aufleuchtete, und verschwand dann im Ausgang einer fernen Schlucht.
Der Doktor sah die Gefährten an, er war blaß, seine Augen glühten.
„Interessant, was“, sagte er und zeigte die Zähne, als ob er lächelte, aber seine Augen verrieten keine Freude.
„Verdammt, ich hab mein Fernglas vergessen, gib mal deins“, bat der Ingenieur den Kybernetiker.
„Operngläser“, murmelte er nach einer Weile verächtlich und reichte ihm das Fernglas zurück. Der Kybernetiker ergriff den glasigen Kolben des Elektrowerfers und schien sein Gewicht in der Hand abzuschätzen. „Ich glaube, wir sind ziemlich schlecht bewaffnet“, sagte er zögernd.
„Warum denkst du jetzt an Kampf?“ fragte der Chemiker. Sie schwiegen eine Weile und hielten Ausschau. „Gehen wir weiter?“ Der Kybernetiker wurde ungeduldig. „Natürlich“, erwiderte der Koordinator. „Da, noch eines! Seht!“ Ein zweites flatterndes Blitzen. Es sauste viel schneller als das erste dahin, beschrieb einen S-Bogen zwischen den Hügeln und schien ein paarmal dicht über dem Boden zu segeln. Als es eine Zeitlang auf sie zu jagte, verloren sie es vollends aus den Augen. Erst als es wieder abbog, konnten sie die schnell rotierende, nebelhaft schimmernde Scheibe wieder sehen.
„Sicher ein Fahrzeug…“, murmelte der Physiker und berührte den Arm des Ingenieurs, ohne den Blick von der Erscheinung zu wenden, die sich, schwächer und kleiner werdend, bereits in der wogenden Schonung verlor. „Ich habe auf der Erde die Technische Hochschule absolviert“, sagte der Ingenieur, der aus irgendeinem Grunde plötzlich gereizt war. „Auf jeden Fall“, setzte er zögernd hinzu, „muss da in der Mitte irgend etwas sein, vielleicht der Zapfen eines Propellers.“
„Stimmt, in der Mitte glänzt etwas sehr stark“, bestätigte der Koordinator. „Wie groß mag das Ding sein, was meinst du?“
„Wenn die Bäume dort unten die gleiche Höhe haben wie in der Schlucht, dann mindestens zehn Meter.“
„Im Durchmesser? Ich glaube auch. Mindestens zehn.“
„Beide sind dort verschwunden.“ Der Doktor wies auf die letzte, die höchste Hügelkette, die ihnen die Sicht nahm.
„Wir gehen also auch in dieser Richtung weiter, nicht wahr?“
Die Arme schwenkend, begann er den Abhang hinabzusteigen. Die anderen folgten ihm. „Wir müssen uns auf den ersten Kontakt vorbereiten“, sagte der Kybernetiker; er kaute an den Lippen und benetzte sie. „Was geschehen wird, können wir nicht voraussehen. Die einzige Richtschnur, an die wir uns zu halten haben, sind Ruhe, Vernunft und Beherrschtheit“, erklärte der Koordinator. „Vielleicht ist es besser, wenn wir unsere Marschordnung ändern. Eine Sicherung vorn und eine hinten. Wir müssen unseren Zug außerdem etwas mehr in die Länge ziehen.“
„Sollen wir offen auftreten? Besser wird sein, wenn wir uns bemühen, möglichst viel zu beobachten, ohne selbst bemerkt zu werden“, sagte der Physiker.
„Uns zu verstecken, würde ich nicht raten. Das erregt nur Verdacht. Aber selbstverständlich, je mehr wir sehen, desto größeren Nutzen können wir daraus ziehen…“
Während sie die Taktik erörterten, erreichten sie das Tal und gelangten nach mehreren hundert Schritten an die erste rätselhafte Linie.
Sie erinnerte ein wenig an die Furche eines alten irdischen Pfluges. Der Boden war flach gepflügt, gleichsam zerkrümelt und zu beiden Seiten der Furche aufgeschüttet, die kaum zwei Hand breit war.
Die moosbewachsenen Streifen, auf die sie beim ersten Ausflug gestoßen waren, hatten ähnliche Abmessungen gehabt, doch wiesen sie einen recht wesentlichen Unterschied auf: Dort war die Umgebung der Furche kahl, während sie selbst mit Moos bewachsen war, hier hingegen war es umgekehrt, ein Streifen zermahlenen, entblößten Grundes führte durch eine geschlossene Decke ausweißlichen Flechten. „Merkwürdig“, murmelte der Ingenieur, richtete sich auf und wischte die lehmbeschmierten Finger an der Kombination ab. „Wisst ihr was?“ sagte der Doktor. „Ich nehme an, die im Norden sind sehr alt, sie wurden lange nicht mehr benutzt und sind daher mit diesem himmlischen Moos bewachsen.“
„Möglich“, versetzte der Physiker, „aber was ist das? Sicherlich kein Rad. Eine Radspur sähe anders aus.“
„Vielleicht eine landwirtschaftliche Maschine?“ warf der Kybernetiker ein. „Was denn, sollten sie den Boden nur in einer Breite von zehn Zentimetern bebauen?“ Sie übersprangen die Furche und gingen querfeldein weiter, auf die anderen Furchen zu. Als sie gerade am Rande einer Schonung entlangschritten, deren dumpfes Rauschen sogar die Unterhaltung erschwerte, vernahmen sie von hinten ein durchdringendes, klagendes Pfeifen. Instinktiv sprangen sie hinter die Bäume. Aus ihrem Versteck gewahrten sie über der Wiese einen senkrechten, blitzenden Wirbel, der mit der Geschwindigkeit eines Schnellzuges die Gerade entlangraste. Sein Rand war dunkler, die Mitte leuchtete entweder violett oder orange. Sie schätzten den Durchmesser dieser Mitte, die Imsenartig nach den Seiten ausgebaucht war, auf zwei bis drei Meter. Kaum hatte das flimmernde Fahrzeug sie überholt und war verschwunden, setzten sie ihren Weg in der gleichen Richtung fort. Die Schonung war zu Ende, sie überquerten jetzt notgedrungen offenes Gelände und fühlten sich dabei ziemlich unsicher. Andauernd schauten sie sich um. Die durch flache Sattel verbundenen Hügel waren bereits ganz nahe, als sie wieder dieses durchdringende klagende Pfeifen vernahmen. Mangels eines Verstecks warfen sie sich zu Boden. Ungefähr zweihundert Meter vor ihnen flog eine wirbelnde Scheibe vorüber. Diesmal hatte die Ausbuchtung in der Mitte eine himmelblaue Farbe. „Die war wohl mindestens zwanzig Meter hoch!“ zischte erregt der Ingenieur. Sie erhoben sich. Zwischen ihnen und den Hügeln tat sich ein Kessel auf, der von einem bunten Streifen eigenartig halbiert wurde. Als sie nahe herangekommen waren, bemerkten sie, dass es ein Bach war, dessen heller sandiger Grund durch das Wasser hindurchschimmerte. Seine beiden Ufer leuchteten in allen Farben. Ein Gürtel bläulichen Grüns rahmte den Wasserlauf, nach außen hin schloss sich ein Band von blassem Rosa an, und noch weiter weg funkelten schlanke Pflanzen in silbrigem Glanz, die dicht mit flauschigen Kugeln, groß wie Menschenköpfe, besetzt waren. Über jeder Kugel ragte, weiß wie Schnee, der dreiblättrige Kelch einer riesigen Blüte auf. Staunend über diesen außergewöhnlichen Regenbogen, verlangsamten sie den Schritt. Als sie sich den flauschigen Kugeln näherten, fingen die „Blumen“ an zu zittern und stiegen langsam in die Luft. Eine Weile hingen sie als flatternde Schar über ihren Köpfen und gaben dabei ein leises Klirren von sich, das Weiß ihrer wirbelnden „Kelche“ blitzte in der Sonne, dann ließen sie sich auf der anderen Seite des Baches im Dickicht der hellen Kugeln nieder.
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