„Das schaffen wir.“
„Ja.“ Die Blicke des Ingenieurs, die blind über die Umgebung schweiften, blieben dicht hinter dem Hügel an einer länglichen, nicht sehr hohen Aufschüttung hängen. Das war die Stelle, wo sie die Reste des Geschöpfes vergraben hatten.
„Ich hatte das völlig vergessen“, sagte er verwundert. „Mir ist, als wäre es vor einem Jahr geschehen, weißt du.“
„Ich nicht. Ich habe die ganze Zeit daran gedacht, das heißt an dieses Tier. Und zwar an diesen Gegenstand, den der Arzt in seiner Lunge fand.“
„Wie? Ach so, er sagte ja etwas darüber. Was ist es denn gewesen?“
„Eine Nadel.“
„Was?“
„Vielleicht auch keine Nadel. Du kannst es dir selbst ansehen. Es steht im Glas, in der Bibliothek. Ein Stück dünnes Rohr, abgebrochen, mit einem scharfen Ende, das schräg geschnitten ist, wie die Injektionsnadeln.“
„Was denn.…?“
„Mehr weiß ich nicht.“
Der Ingenieur stand auf. „Es ist erstaunlich, aber ich begreife selbst nicht, warum mich das so wenig interessiert. Eigentlich gar nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Weißt du, ich fühle mich jetzt so wie vor dem Start. Oder wie ein Flugpassagier, der für ein paar Minuten auf einem fremden Flughafen gelandet ist, sich unter die Menge der Einheimischen gemischt hat und Zeuge einer sonderbaren, unbegreiflichen Szene geworden ist, der aber weiß, dass er nicht zu diesem Ort gehört, dass er wenig später wegfliegen wird. Und so dringt aus der Umgebung alles wie aus großer Entfernung zu ihm, fremd und unfaßbar.“
„Wir fliegen nicht gleich weg…“
„Ich weiß, aber ich habe eben dieses Gefühl.“
„Gehen wir jetzt zu ihnen. Hinlegen können wir uns nicht, solange wir nicht die Provisorien ausgewechselt haben. Auch die Sicherungen müssen ordentlich befestigt werden. Die Säule kann dann im Leerlauf arbeiten.“
„Gut, gehen wir.“
Sie verbrachten die Nacht in der Rakete, ohne die kleinen Lichter zu löschen. Hin und wieder wachte einer von ihnen auf, überprüfte mit einem geistesabwesenden Blick, wie die Glühbirnen brannten, und schlief beruhigt wieder ein. Früh standen sie mit frischen Kräften auf. Zuerst machten sie den einfachsten Reinigungshalbautomaten flott, der alle paar Minuten klemmte, weil er machtlos in den Schutthaufen steckenblieb, die alles verrammelten. Der Kybernetiker war andauernd mit dem Werkzeug hinter ihm her, zog ihn wie einen Dackel aus einem Fuchsloch, beseitigte das Gerumpel, das zu groß für den Rachen des Greifers war, und brachte ihn wieder in Gang. Der Halbautomat scharrte emsig vor sich hin, fraß sich in den nächsten Gerümpelberg, und alles ging von vorne los.
Nach dem Frühstück erprobte der Doktor seinen Rasierapparat, mit dem Erfolg, dass die Freunde glaubten, er trage eine braune Maske: Die Stirn, die Haut rings um die Augen und die obere Gesichtshälfte waren von der Sonne verbrannt, die untere dagegen war völlig weiß. Die anderen folgten seinem Beispiel und erkannten einander in den Hungerleidern mit den hervortretenden Kiefernkaum wieder. „Wir müssen uns besser ernähren.“ Der Chemiker musterte entsetzt sein Bild im Spiegel.
„Möchtest du frisches Wildbret?“ fragte der Kybernetiker. Der Chemiker schüttelte sich. „Danke, nein. Sprich bitte nicht davon. Mir ist es erst jetzt eingefallen. Ich habe davon geträumt, von dieser… von diesem…“
„Von dem Tier?“
„Wer weiß, ob es ein Tier war.“
„Was dann?“
„Welches Tier wäre imstande, einen Generator in Gang zu setzen?“ Die anderen hörten dem Gespräch zu.
„Man hat festgestellt, dass alle Wesen auf einer höheren Entwicklungsstufe Kleidung erfinden“, sagte der Ingenieur. „Dieses Doppelwesen dagegen war nackt.“
„Was sagst du? Nackt?“ fragte der Doktor nachdenklich. „Warum zweifelst du?“
„Von einer Kuh oder von einem Affen würdest du nicht sagen, dass sie nackt sind.“
„Weil sie ein Fell haben.“
„Ein Flußpferd oder ein Krokodil hat kein Fell, dennoch würdest du sie nicht nackt nennen.“
„Was tut's? Ich habe es nur so gesagt.“
„Eben.“ — Sie verstummten für eine Weile.
„Es wird zehn“, sagte der Koordinator. „Wir sind ausgeruht, ich denke, wir machen diesmal einen Ausfall in eine andere Richtung als neulich. Der Ingenieur sollte die Elektrowerfer vorbereiten. Wie steht's damit?“
„Wir haben fünf Stück. Alle sind geladen.“
„Gut. Das letztemal gingen wir nach Norden, jetzt gehen wir nach Osten. Und zwar mit Waffen, natürlich werden wir uns bemühen, sie nicht zu benutzen. Vor allem, wenn wir diesen Doppelwesen begegnen sollten, wie der Ingenieur sie genannt hat.“
„Doppelt? Doppelt?“ wiederholte der Doktor unzufrieden, wie um den Namen auszuprobieren. „Das scheint mir wenig geglückt und wird sich deshalb wohl halten. Das ist immer so.“
„Gehen wir gleich?“ fragte der Physiker. „Ich denke, ja. Wir müssen nur die Klappe sichern, um neuen Überraschungen vorzubeugen.“
„Könnten wir nicht den Geländewagen mitnehmen?“ schlug der Kybernetiker vor.
„Kaum. Ich brauche mindestens fünf Stunden, um ihn flottzumachen“, entgegnete der Ingenieur. „Es sei denn, wir verschieben den Ausflug auf morgen.“ Keiner hatte jedoch Lust, die Expedition zu verschieben. Also zogen sie gegen elf Uhr los, weil noch etwas Zeit für die Vorbereitung des Gepäcks draufging. Sie marschierten paarweise, als ob sie es abgesprochen hätten, in geringem Abstand voneinander, obwohl keiner so etwas vorgeschlagen hatte. Der Doktor, der als einziger ohne Waffe war, ging in der Mitte. Ob der Boden tatsächlich günstigere Bedingungen für eine Fußwanderung bot oder ob sie munterer ausschritten, jedenfalls hatten sie vor Ablauf einer Stunde die Rakete aus den Augen verloren. Die Landschaft änderte sich allmählich. Immer mehr schlanke graue „Kelche“
tauchten auf, um die sie einen Bogen machten. In der Ferne zeigten sich Hügel, kuppeiförmig im Norden, zur Ebene hin in ziemlich steilen Furchen und Brüchen abfallend, in Höhe ihrer Marschlinie mit dunklen Flecken von Flora bedeckt. Unter ihren Füßen raschelten die trockenen Flechten, grau, wie mit Asche zugeschüttet, aber das war ihre natürliche Farbe; ihre jungen Triebe waren weißlich geäderte Röhrchen, aus denen kleine perlenartige Bläschen wuchsen.
„Soll ich euch sagen, was hier am meisten fehlt?“ sagte der Physiker plötzlich. „Gras. Gewöhnliches Gras. Ich hätte nie geglaubt, dass es so…“, er suchte nach dem richtigen Ausdruck, „dass es so unentbehrlich sein kann…“ Die Sonne brannte. Als sie sich den Hügeln genähert hatten, drang ein gleichmäßiges fernes Rauschen zu ihnen.
„Eigenartig, es weht kein Wind, und dort rauscht es“, bemerkte der Chemiker. „Das kommt von dorther.“ Der Koordinator, der hinter ihm ging, deutete mit der Hand auf die Hügel. „Offenbar ist derWind weiter oben. Aber das sind ja ganz und gar irdische Bäume!“
„Sie haben eine andere Farbe und glänzen so…“
„Nein, sie sind zweifarbig“, warf der Doktor ein, der ein gutes Auge hatte.
„Sie sind abwechselnd zweifarbig, mal mehr violett, mal blau mit einer gelben Schattierung.“ Die Ebene blieb hinter ihnen zurück. Sie betraten auf gut Glück den breiten Hals einer Schlucht mit lehmigen, abbröckelnden Wänden. Die Wände waren im Schatten mit einem zarten Nebel bedeckt, der sich, aus der Nähe gesehen, als eine Art Flechte oder auch als Spinnweben erwies. Die Meinungen waren geteilt, die Gebilde erinnerten an lockere Knäuel von Glaswolle, die nur lose an den Hängen befestigt waren. Sie hoben die Köpfe, weil sie gerade die erste Ansammlung von Bäumen passierten, die am Rande des Bruches, etwa ein Dutzend Meter über ihnen, wuchsen. „Das sind ja gar keine Bäume!“ rief der Kybernetiker enttäuscht aus.
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